Kölner Sängerin NicoDer Traum vom Abgrund

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Nico, die Göttin der Sixties 1966 in Los Angeles

Nico, die Göttin der Sixties 1966 in Los Angeles

Mythen sind wie Untote. Zu ihrem Wesen gehört, dass sie selbst die ungerechteste Behandlung nicht zu zerstören, sondern nur fortzuerzählen vermag. Nico ist so ein Mythos. Mag man ihr noch so viele skandalöse Geschichten andichten, ihre dunkelsten Nächte waren schöner als die unseren, ihre Lust an der Selbstzerstörung, die Verachtung des perfekten Scheins gewöhnungsbedürftiger als jede Scheinprovokation aus Madonnas stets auf Hochtouren laufender Image-Fabrik.

„Ich erschieße mich nur deshalb nicht, weil ich einzigartig bin.“ Ins Schwarze treffende Selbsteinschätzungen wie diese kamen nicht oft über ihre Lippen. Sie galt als rätselhafte Sphinx, die nicht viel sagte, selbst wenn sie einmal lange sprach. Eine überirdisch schöne Frau, immer unterwegs zwischen Paris, New York und Ibiza. Ein deutsches Girl, das sich in keiner Sprache gut artikulieren konnte, dafür aber ihre eigene Stilisierung zur Göttin der Sixties perfekt betrieb als Fotomodell bei Coco Chanel, Schauspielerin in Fellinis „La dolce vita“, Mutter eines Kindes von Alain Delon, Geliebte von Jim Morrison und nicht zu vergessen Muse von Andy Warhol, der sie zur Sängerin der New Yorker Band „Velvet Underground“ kürte. Heute wäre sie siebzig Jahre alt geworden - Nico: der einzige Popstar, den Deutschland je hatte.

Geboren wurde Christa Päffgen, wie sie mit bürgerlichem Namen hieß, 1938 in Köln, in einer Stadt, deren Ratsmehrheit vor nicht allzu langer Zeit die Ikone der Rockgeschichte für unwürdig erklärte, einen Platz mit ihrem Namen zu schmücken. Wenigstens der runde Geburtstag wird ab kommender Woche im Museum für Angewandte Kunst angemessen gefeiert. Kurator Uwe Husslein ist ein Kenner der Materie. Mode, Film und Musik, die drei wichtigsten Säulen von Nicos Leben, vereint er zu einer multimedialen Schau, die mit manch einer wunderbaren Trouvaille aufwarten kann. Porträts der jungen langhaarigen Blonden von Richard Avedon etwa, Proben mit Velvet Underground in Warhols Factory oder Sequenzen ihres Konzerts im Stollwerk Anfang der 80er Jahre.

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Das seltsame Lebenskunstwerk des vaterlosen Kriegskindes begann, als die Mutter vor den Bomben aus Köln nach Berlin floh. Christa schmiss die Schule und brach auf nach Paris - um zu modeln. Schnell fand sich ihr frühreifes Gesicht auf den Titelseiten der „Vogue“. Sie erfand sich neu, nannte sich Nico. Das unstete Leben zwischen den Kontinenten begann, als sie sich in New York an der Schauspielschule von Lee Strasberg einschrieb, im Swinging London die Gefährtin von Brian Jones abgab und durch ihn Bob Dylan kennen- lernte, der sie mit Andy Warhol zusammenbrachte. Der angesagte Kunstguru wählte sie zur Frontfrau seiner Hausband Velvet Underground, obwohl sie gar nicht singen konnte, wie viele Zeitgenossen meinten - allen voran Lou Reed, der kreative Kopf der Band, der für sie Klassiker wie „Femme Fatale“ und „I´ll Be Your Mirror“ schrieb und dennoch die melancholische Deutsche mit dem starken Akzent nur widerwillig duldete.

Unter all den männlichen Egos lief Nico zur Hochform auf. Sie stürzte sich in eine Solokarriere und begann auf Anraten von Jim Morrison, ihre Texte selbst zu schreiben. Sie lernte mit dem Harmonium zu experimentieren, einem monströsen Instrument, das auf der Bühne ähnlich aus der Zeit gefallen wirkte wie seine Spielerin. Die glich zunehmend einem kapriziösen Engel der Apokalypse. Mit einer grotesk dunklen Bassstimme trug sie ihre nihilistischen Klagelieder vor, verortete sie zwischen Volksmusik und Bach'schen Chorälen und stilisierte sich zur Rätselfrau, die andere auch schon mal als typisch deutsche Wiedergängerin der Nibelungen verhöhnten. Brian Eno und John Cale begleiteten sie als Produzenten und Musiker ihrer zahlreichen Platten auf diesem sonderbaren Trip, einen Weg fern des Massengeschmacks, den mit dieser disziplinierten Todessehnsucht niemand vor ihr im Rockzirkus gegangen ist.

In dem Maßstäbe setzenden Dokumentarfilm „Nico Icon“ der Kölnerin Susanne Ofterdinger gab Cale zu Protokoll: „Sie veränderte ihr Image total, von der weiß gewandeten Blondine zur Dunkelhaarigen in schwarzen Klamotten - und lebte ihren Traum.“ Der wurde zum Alptraum, als sie Heroin zu spritzen begann. Zurück in Paris lebte sie mit dem französischen Avantgarde-Regisseur Philippe Garrel in einer dunklen Absteige, angefüllt mit Aschenbechern und schwarzen Gedanken. In den 80ern tingelte sie als Junkiewrack durch die europäische Provinz und erfreute sich an ihrer Hässlichkeit. Es war der Höhepunkt eines Kreuzzugs gegen das eigene Spiegelbild, den Makel, in einer hässlichen Welt schön genannt zu werden.

Als Nico 1988 auf Ibiza tot vom Fahrrad stürzte, war sie nach jahrelangem Entzug mit Methadon clean. Die Musikbranche hatte sie gerade als Vorreiterin von Punk und Gothic wiederentdeckt. Es hätte ihr Comeback werden können. Seitdem ist ihr Mythos kaum verblasst. Im Gegenteil, er lebt wie noch nie. Unzählige junge Songwriterinnen nennen Nico heute als Vorbild und versuchen sich an nicht annähernd so eigenwilliger Musik. Nico war, so scheint es, viele und keine. Sie steht für die dunkle Seite des Pop, narzisstisch, exzentrisch und reif für die Ewigkeit. Einzigartig eben.

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