Vom absoluten Tiefpunkt zum künstlerischen Gipfel, von der Baukatastrophe zum Carlsgarten – So war das vergangene Vierteljahrhundert am Schauspiel Köln
25 Jahre Theater in KölnSkandale, Fanale – und Deutschlands beste Bühne

Szene aus „Das Werk / Im Bus / Ein Sturz“, Karin Beiers größtem künstlerischen Triumph am Schauspiel Köln
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Das neue Jahrtausend begann im Kölner Theater, wie sollte es anders sein, mit einer Krise. Und was für einer! Günter Krämer, seit Mitte der 1990er Alleinherrscher über die Städtischen Bühnen, gratuliert Fritz Schramma (CDU) per offenem Brief zu seiner Wahl als Kölner Oberbürgermeister und fährt dann fort: „Ich verbinde diese Glückwünsche mit der vorzeitigen Kündigung meines Generalintendantenvertrages zum 15. August 2002.“
Der OB ist brüskiert, der Intendant, dem man unter anderem das Schauspielensemble halbiert hat, frustriert über die nicht enden wollenden Sparrunden, die ihm die Politik – „eine provinzielle Lachnummer“, so Krämer – in den vergangenen Jahren aufgezwungen hat. Dem damaligen Generalmusikdirektor James Conlon dagegen hatte die Stadt freigestellt, wie oft er in der Oper dirigieren muss. Er entscheidet sich für die glatte Null. Nur eine von vielen Merkwürdigkeiten in den Verträgen, die die Stadt mit ihrem künstlerischen Personal ausgehandelt hat. Nach einem Hin und Her von Abmahnungen und Prozessen kann sich Krämer die Hände reiben: Einen tollen Krach hat er da provoziert. Trotzdem darf er laut Klausel bis 2005 in Köln weiter inszenieren, ebenso sein Schauspieldirektor Thorsten Fischer.
Günter Krämer provoziert den Eklat, sein Nachfolger bleibt glücklos
Keine schöne Ausgangsposition für Marc Günther, den „Nobody aus dem Breisgau“ (laut „Express“), der Krämer im Schauspiel ersetzen soll. Aber: Es könne ja nur besser werden, kommentiert der „Stadt-Anzeiger“ hoffnungsfroh. Und immerhin, die Publikumsauslastung erholte sich. Doch nach künstlerisch eher mageren Jahren unter Krämer rutschte das Schauspiel unter Günther endgültig in die Bedeutungslosigkeit. Köln bot gediegenes Mittelmaß, inszenierte der Hausherr selbst, wurde es peinlich. Nach fünf Jahren musste Günther gehen, heute betreibt er eine „Praxis für astrosophische Mäeutik“ in Frankfurt am Main.
Vieles sprach für die Nachfolgerin Karin Beier – ihre Kölner Biografie, ihre englischsprachigen Shakespeare-Inszenierungen, für die sie noch als Studentin für überregionale Aufmerksamkeit bekommen hatte, ihre gefeierten Arbeiten in Düsseldorf, Bochum, Hamburg und als Hausregisseurin an der Wiener Burg. Aber Leitungserfahrung besaß die erste Frau an der Spitze des Kölner Stadttheaters keine und gleichzeitig war sie gerade Mutter geworden.

Karin Beier, Kölner Schauspiel-Intendantin von 2007 bis 2013
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Das Risiko zahlte sich nicht nur aus, es wurde der Stadt hundertfach vergolten. Nur sechs Jahre lang blieb Beier in Köln, eine Ära möchte man es dennoch nennen, die erste bedeutende seit der Intendanz von Jürgen Flimm in den frühen 1980er Jahren. Neunmal wurde das Schauspiel unter ihrer Führung zum Berliner Theatertreffen – der alljährlichen Jury-Auswahl der zehn besten Arbeiten des deutschsprachigen Theaters – eingeladen, mehrfach wurde das Haus von Kritikerin und Kritikerinnen zur besten Bühne der Republik erklärt, und seine Leiterin zur besten Regisseurin. Ein Triumphzug. Auf einmal war es in Köln wieder hip, ins Schauspiel zu gehen. In die gewagten Endlos-Performances der dänisch-österreichischen Gruppe Signa einzutauchen, oder in Katie Mitchells hochartifizielle Versuchsanordnungen.
Als Elfriede Jelinek ankündigte, ein Stück zum Einsturz des Stadtarchivs zu schreiben, inszeniert von der Chefin selbst, zitterte die Stadtspitze vor dem vereinten Furor der österreichischen Nobelpreisträgerin und des Kölner Energiebündels. Zurecht: „Das Werk / Im Bus / Ein Sturz“ geriet zu Beiers größtem künstlerischen Triumph, die Kritiken überschlugen sich, die Kölner stürmen die Vorstellungen, die Stadt hat einen Teil ihres verlorenen Gedächtnisses wiedergefunden. Nur Fritz Schramma – der einst von Günter Krämer so rüde Brüskierte – forderte eine öffentliche Entschuldigung von Karin Beier, er fühlt sich aus dem Zusammenhang gerissen zitiert.
Die Intendantin dankte, in dem sie sich an die Spitze der Bürgerbewegung für den Erhalt des Schauspielhauses setzte. Das sollte abgerissen und neu gebaut werden. Im Gegensatz zur Riphahn-Oper, das Sanierungsdesaster wäre also sowieso gekommen. Die Politik knickte ein, die viel gelobte Theatermacherin verabschiedete sich nach Hamburg, wo sie noch heute – weiterhin mit großem Erfolg – das Deutsche Schauspielhaus leitet.

Stefan Bachmann, Intendant am Schauspiel Köln von 2013 bis 2024
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Es fiel dann ihrem Nachfolger, dem Schweizer Regisseur Stefan Bachmann, zu, ein neues Interimsquartier fürs Theater zu suchen (ein Intermezzo an der Krefelder Straße hatte sich als auf Dauer zu teuer erwiesen). Mutig entschied er sich für eine leerstehende Fabrikhalle auf einem so gut wie verlassenen Werksgelände in Mülheim. Rechtsrheinisch? Dat weed endoch nix, unkten die Kölner. Und der Anfang war tatsächlich schwer, die Regieführenden scheiterten regelmäßig an den Dimensionen des großen Depots, die Schauspieler schlugen sich die Kniescheiben am Betonboden kaputt, die Akustik blieb fragwürdig. Dann scheiterte der Rückzug an den Offenbachplatz.
Stefan Bachmann fühlte sich zu recht von der Stadt übertölpelt. Aber er fasste sich und begann das Depot für die Dauerbespielung umzurüsten. Und siehe da: Im Mülheimer Outback entstand, auch dank des Carlsgartens einer der schönsten Kulturorte Kölns. Bachmann überstand einen vom „Spiegel“ herbei geschriebenen Skandal, das Publikum einen von der theaterfernen Kulturdezernentin aus der Provinz herbeigerufenen Nachfolger, der wohl zwei Nummern zu klein für den Rhein war. Und jedes Mal verbesserte sich anschließend das Programm des Schauspiels, allein mit dem Berliner Theatertreffen wollte es einfach nicht klappen.
Nach kölngemäßen elf Jahren verließ der Intendant das Interim, das keines war, und ging ans Wiener Burgtheater, ein Hauptgewinn, sauer verdient durchs Durchhalten in dieser unmöglichen Stadt. Sein liebenswürdiger zweiter Mann, Rafael Sanchez, hielt für ein Übergangsjahr die Stellung in Mülheim. Er übernimmt im Herbst mit der ehemaligen Kölner Regieassistentin Pınar Karabulut das Schauspielhaus Zürich. Hamburg, Wien, Zürich: Aus Köln führt der Weg an die ersten Adressen, als Theaterstadt sollte man sich also nicht so klein machen.
Für Kay Voges, der sich kommenden September – immer noch im Interim – als neuer Intendant vorstellt, wechselt dagegen vom Wiener Volkstheater in seine Sehnsuchtsstadt Köln, verspricht politischeres, ruppigeres Theater. Irgendwann dann auch wieder am Offenbachplatz.