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Acht Brücken FestivalVon grotesken Erzählungen bis zu expressiven Klangkaskaden

Lesezeit 3 Minuten

Acht Brücken Festival, Boglárka Pecze

Die Sinfonieorchester von WDR und SWR rückten beim Acht Brücken Festival Werke der Porträtkomponistin Kaija Saariaho in den Fokus.

Im Zentrum der beiden Konzerte bei Acht Brücken standen Werke der diesjährigen Porträtkomponistin Kaija Saariaho. Die sechs Sätze ihres Klarinettenkonzerts „D'om le vrai sens“ thematisieren die fünf Sinne des Menschen sowie den „Sechsten Sinn“. Dem WDR-Orchester auf der Bühne antwortet Solistin Boglárka Pecze im ersten Satz „Hören“ unsichtbar aus der Ferne hinter dem Auditorium mit energetischen Rufen. Für den zweiten Satz „Sehen“ tritt sie aus dem Verborgenen und schreitet im Scheinwerferlicht auf die Bühne. Zur dominierenden Klangfarbe kommt dann auch die Dimension des Rhythmus mit markanten Schlägen hinzu.

Musik als Medium von Stimmungen und Gefühlen

Mit den folgenden Sätzen wechselt die Klarinettistin von hinter dem Orchester zwischen die Instrumente und schließlich nach vorne zum Dirigenten Christian Karlsen. Im sechsten Satz „A mon seul désir“ (Zu meinem einzigen Wunsch) schwärmt sie in den Saal aus und führt wie der Rattenfänger von Hameln sämtliche ersten und zweiten Violinen hinter sich her, sodass sich ein sanftes Tönen im Raum verbreitet. Neben der leer wirkenden Virtuosität von wuchernden Ranken und blitzenden Intervallketten von Xylo-, Vibra- und Marimbaphon entfaltete Saariahos Musik auch magisch dunkle Akkorde, die aus einem romantischen Urgrund dringen, der Musik nicht auf reinen Sonorismus reduziert, sondern expressiv als Medium von Gefühlen, Stimmungen, Ahnungen versteht.

Hèctor Parras Werk mit grotesker Erzählung

Uraufgeführt wurde im Konzert „Musik der Zeit“ des WDR Sinfonieorchesters Hèctor Parras „Ich ersehne die Alpen / So entstehen die Seen“ auf einen Text von Händel Klaus. Während die ausgezeichnete Sopranistin Lavinia Dames dramatische Opernarien über die Sehnsucht einer schwitzenden Frau nach kühlen Bergen singt, spricht und spielt Schauspieler Thomas Loibl mit faszinierender Befremdlichkeit einen offenbar irrsinnigen Förster, der auf einem Gletscher zuerst einen, dann einen zweiten Erfrorenen und schließlich noch ein totes Liebespaar entdeckt, mit denen er wie mit guten Freunden spricht, die er neckt, liebkost, umarmt, herumträgt. Das groß besetzte Orchester rollt dazu mit wuchtigen Trommelwirbeln und Klangkaskaden an. Die glaziale Klangmasse und Dauer von 75 Minuten wirkte der grotesken Erzählung gegenüber jedoch unangemessen.

Am nächsten Abend rahmte das SWR Symphonieorchester unter Leitung von Bas Wiegers zwei Werke Saariahos mit packenden Aufführungen von Witold Lutosławskis früher neoklassizistischer „Kleinen Suite“ und Claude Debussys meisterhafter Huldigung an Wind und Wasser „La mer“. In Saariahos Violinkonzert „Graal théâtre“ scheint sich die Geige gleich zu Beginn zwischen extrem schnellen und weiten Lagenwechseln förmlich zu zerreißen. Die von Carolin Widmann exzellent gespielten Kapriolen werden durchweg von dunklen Paukenschlägen kontrastiert, als klaffe unter der Akrobatin ein tragischer Abgrund. Saariahos frühes Orchesterstück „Verblendungen“ von 1984 überlagert alle Instrumente zu einer dichten Klangwolke, die verdämmert und sirrender Elektronik weicht, bis sich das Orchester am Schluss mit sanftem Rauschen zurückmeldet und in klirrenden Höchstlagen der Streicher verglimmt. Großer Applaus für einen großartigen Klangkörper.