Der Dirigent Christian Karlsen über die Porträtkomponistin Kaija Saariaho beim Acht-Brücken-Festival.
Festival Acht Brücken„Musik ist eines der Weltwunder“

Dirigent Christian Karlsen.
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„Ihre Musik ist einzigartig, wie Debussy oder Mussorgsky hat sie keine Vorläufer. Ihre Musik ist einfach magisch. Es gibt Akkorde, die einen wie als Kind bei ,Die Chroniken von Narniaʻ in eine mystische Welt führen“, sagt der Dirigent Christian Karlsen über seinen ersten Eindruck von der Musik der finnischen Komponistin Kaija Saariaho. Das war 2001 als das Philharmonische Orchester Stockholm ein Festival mit Musik von ihr und Magnus Lindberg veranstaltete, bei dem Christian Karlsen sehr viele Konzerte hörte - er war damals sechzehnjähriger Gymnasiast.
Saariahos Musik wird zuweilen als französisch oder impressionistisch bezeichnet. Nach dem Studium bei Brian Ferneyhough in Freiburg ging sie 1982 an das Klangforschungszentrum Ircam nach Paris, wo sie seitdem lebte. „Ich finde ihre Musik“, so Karlsen, „sehr direkt, klangfarblich und emotional. Alle Ihre Werke sprechen von menschlichen Gefühlen und haben ihren eigenen Klang. Kaija Saariaho erzählte einmal, dass sie als Kind aus dem Bett zu ihrer Mutter lief und fragte, warum aus ihrem Kopfkissen Musik kommt. Schon damals höre sie im Kopf ihre eigene Klangwelt.“
Köln ist zweifellos eine der großen Musikstädte der Welt und das Festival Acht Brücken gehört zur DNA der Stadt.

Kaija Saariaho
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Saariaho wird häufig mit ihrer finnischen Herkunft in Verbindung gebracht. Die Komponistin selbst sprach davon, dass die Natur und Atmosphäre des hohen Nordens, die hellen Sommer- und schwarzen Winternächte ihre Musik beeinflusst hätten. „Ich komme“, so Karlsen, „aus Schweden, aber meine Mutter aus Tschechien und mein Vater aus Norwegen, und ich selbst lebe in den Niederlanden. Kaija hatte Gründe, Finnland zu verlassen, kehrte mit ihrer Familie aber ein Jahr lang dorthin zurück, um dann doch wieder nach Paris zu gehen. Wenn man als Skandinavier in einem anderen Land lebt – so geht es jedenfalls mir –, fühlt man sich viel mehr als Skandinavier, weil die Erfahrung der Natur dort unvermeidlich ist.“
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Die Sätze von Saariahos Klarinettenkonzert sind mit den fünf menschlichen Sinnen betitelt: Hören, Sehen, Riechen, Schmecken, Tasten. Der sechste Satz „A mon seul Désir“ ist eine Widmung (An meinen einzigen Wunsch). „Saariahos Musik ist human“, erklärt Karlsen. „Ihre Musik ist menschlich in einem emotionalen, physischen und mentalen Sinne. Auch die von ihr verwendete Elektronik atmet, gibt Echos, schafft Räume.“ Im Klarinettenkonzert erklingt das Soloinstrument zunächst unsichtbar aus der Ferne, kommt im zweiten Satz näher zur Bühne, und wird schließlich Teil des Orchesters. „Ihre Musik ist magisch in dem Sinne, dass sie sich anderes verhält als Dinge, die wir schon kennen.“
Saariaho gilt heute als ausgewiesene Opernkomponistin. Dabei äußerte sie in den 1980er Jahren, nie so etwas Reaktionäres wie eine Oper schreiben zu wollen. Ihren Opernerstling „L’amour de loin“ schrieb sie 2000 für die Salzburger Festspiele im Auftrag des damaligen Intendanten Gérard Mortier. An der Oper Köln war das Stück 2021 in einer Neuinszenierung zu erleben. Später komponierte sie sechs weitere abendfüllende Opern. „La passion de Simone“ entstand 2006 ebenfalls auf ein Libretto des französisch-libanesischen Autos Amin Maalouf. Für Karlsen ist dies ihr persönlichstes Werk, auch weil sie es ihren Kindern widmete.
Titelfigur der Oper ist Simone Weil. Die französische, jüdische, katholische Mystikerin und Philosophin setzte sich auch als Sozialrevolutionärin für die Rechte von Fabrikarbeitern ein. „Saariaho las schon als Teenager Weils mystische Schriften über Licht, Schwerkraft, Gnade und warum es so schwer ist, im Leben Gottes Gegenwart zu erfahren.“ 1942 floh Weil vor den Nazis ins Exil nach London, wo sie sich im Jahr drauf zu Tode hungerte. „In der Oper“, so Karlsen, „meinen die ,Passionenʻ sowohl Leiden als auch Willen und Leidenschaften. Die Oper schildert in fünfzehn Stationen das Leben und Denken dieser besonderen Persönlichkeit.“
Die 15. Ausgabe von Acht Brücken wird die letzte sein, weil die Stadt ihre Förderung gestrichen hat. Karlsen hat Köln immer schon als Musikstadt wahrgenommen: „Für mich ist es eine große Ehre, mit dem WDR Sinfonieorchester und dem Gürzenich Orchester arbeiten zu dürfen, zwei Weltklasseorchester. Das erste Mal, dass ich vom Gürzenich Orchester erfuhr, war durch Briefe von Johannes Brahms.“ Für den Dirigenten haben beide Orchester und die Oper Köln Musikgeschichte geschrieben. „Köln ist zweifellos eine der großen Musikstädte der Welt und das Festival Acht Brücken gehört zur DNA der Stadt. Es ist Teil dieses Erbes. Denn wie nichts anderes verbindet uns Musik mit der Vergangenheit und Zukunft. Das ist eines der Weltwunder. Wer einmal ein großes Orchester erlebt hat, kann nicht mehr davon lassen.“
Christian Karlsen ist ein ausgewiesener Interpret der Musik von Kaija Saariaho. Bei ACHT BRÜCKEN | Musik für Köln dirigiert er zwei große Werke der 1952 geborenen finnischen Komponistin. Das Festival präsentiert vom 9. bis 18. Mai insgesamt vierzehn ihrer Stücke, die zwischen ihrem Studium in Paris 1982 und ihrem Tod 2023 entstanden. Der schwedische Dirigent dirigiert am Samstag, 10. Mai in der Philharmonie das Klarinettenkonzert „Dʼom le vrai sens“ mit der Solistin Boglárka Pecze und dem WDR Sinfonieorchester. Zum Festivalabschluss leitet er die Premiere von „La passion de Simone“ an der Oper Köln.