29 Premieren, neue Spielstätten, investigative Enthüllungen: Kay Voges, Köln neuer Schauspiel-Chef, klotzt richtig ran.
Alles neu am Schauspiel KölnKay Voges eröffnet mit dieser dritten Spielstätte

Kay Voges Kay Voges Spielzeit 2025/26 Foto: Kay Voges // © Marcel Urlaub / Volkstheater; Kay Voges, Ensemble Schauspiel Köln
Copyright: Kay Voges // © Marcel Urlaub /
„Wir sind nicht die Guten“, so lautet die erste These, mit der Kay Voges am Freitag seine Ära am Schauspiel Köln einläutete. Oder, wie es laut neuem Logo heißt: „SPL KLN“. Im Spielzeitheft, so der künftige Intendant, folgen der ersten These 95 weitere, „eine mehr als Luther“. Schaut man dort nach, sind es freilich nur 26 Postulate. In denen wird das Stadttheater unter anderem als „Medienhaus“ beschrieben und, mit Heiner Müller, als „Stellplatz der Widersprüche“. Außerdem heißt es, man sei nicht gekommen, um liebgehabt zu werden, aber auch: „Das SPL KLN ist ein Zufluchtsort, ein Kraftwerk und eine Party für alle.“
Voges jedenfalls war auf der Spielzeitkonferenz die Freude darüber anzumerken, jetzt bald endlich in seiner Sehnsuchtsstadt anfangen zu können. Anfang der Woche ist der Noch-Volkstheater-Intendant von Wien endgültig nach Köln gezogen. Theater, so Voges, sei die Kunst der Gegenwart, und er wolle mit dem Schauspiel Köln gegenwärtiges Theater machen, in Formen und Inhalten nach der Relevanz fürs Hier und Jetzt suchen.
Und er will ranklotzen, die Zahl der Premieren übersteigt die der steilen Thesen. Von Ende September 2025 bis Ende Mai 2026 sollen stolze 29 Uraufführungen, Premieren und Übernahmen am Schauspiel gefeiert werden, eine kaum zu bewältigende Zahl an neuen Eindrücken, Handschriften und thematischen Ansätzen.
Kay Voges will Theater und Journalismus verknüpfen
Dazu gehört der Aufbau einer eigenen Abteilung „Theater und Journalismus“, laut Chefdramaturg Alexander Kerlin der größte institutionelle Versuch, den das Schauspiel in den nächsten fünf Jahren unternehmen wird. Mindestens so lange verbündet sich das Theater mit dem Recherchenetzwerk Correctiv, Voges hatte Anfang 2024 bereits die Theaterfassung der Correctiv-Recherche zum Geheimtreffen der Rechtsextremen in Potsdam inszeniert.
Dabei bekommt man allein in der ersten Spielzeit Stücke über das verzweigte Milliardärsklüngel-Imperium des Bankrotteurs René Benko zu sehen, über den Prozess der Pariser Terroranschläge von 2016 – Stephan Kimmig inszeniert nach der Gerichtsreportage von Emmanuel Carrère, und über die leidige Kölner Stadtplanung – Anna-Sophie Mahlers „Requiem für eine marode Brücke“ setzt Infrastrukturprobleme mit Brahms „Requiem“ und zwei Kölner Chören um. Auch der neue Kölner Hausautor und -regisseur Calle Fuhr nutzt musikalische Mittel, nämlich karnevaleskes Liedgut, um das Publikum in „Dat Wasser vun Kölle es jot“ über den tatsächlichen Reinheitszustand des Rhein aufzuklären. Dazu kommen noch mehrere partizipative Projekte, in denen die Stadtbevölkerung direkt am Bühnengeschehen beteiligt wird.
Dritte Spielstätte eröffnet
Die Premienfülle – ursprünglich für die Neueröffnung des Hauses am Offenbachplatz geplant – ist nur umsetzbar, weil es ab der nächsten Saison noch eine dritte Spielstätte im Depot geben wird. Das Depot 3 mit 120 Plätzen wird dort eingerichtet, wo sich heute noch die lange Reihe der Toiletten befindet. Wenn (oder falls) das Schauspiel zur übernächsten Spielzeit in sein angestammtes Haus zurückkehrt, wird die kleine Bühne zum Tanzstudio umgewidmet. Für ein Projekt – das bereits erwähnte Brücken-Requiem – wird sogar das Kolumba zur temporären Außenspielstätte.
Diese Schauspieler bleiben in Köln
Im neuen, 30-köpfigen Ensemble finden sich viele Voges-Vertraute, die er direkt aus seiner vorigen Intendanz am Wiener Volkstheater mitbringt, oder mit denen er während seiner Dortmunder Zeit zusammengearbeitet hat, zum Beispiel Andreas Beck, Bettina Lieder oder Anke Zillich, die „Grande Dame des NRW-Theaters“, wie Voges schwärmt. Aber er hat auch Schauspieler vom Hamburger Thalia-Theater, vom Berliner Ensemble, der Schaubühne oder der Volksbühne abgeworben. Thomas Dannemann gehört zu den gefragtesten deutschen Schauspielern, wie ihn kennt man auch Bastian Reiber aus Film und Fernsehen, ebenso Lavinia Nowak, die gerade für ein ZDF-Biopic Katarina Witt verkörpert hat. Claude De Demo spiele bereits Anfang der Nuller Jahre in Köln, sie bringt ihr Solo „#motherfuckinghood“ mit, das bereits in der aktuellen Spielzeit zu sehen war. Die fünf Akteure, die aus dem alten Ensemble geblieben sind, gehören zu den beliebtesten und verlässlichsten Kölner Kräften: Nikolaus Benda, Andreas Grötzinger, Benjamin Höppner, Anja Laïs, Katharina Schmalenberg. Glück gehabt! Es sind noch mehr bekannte Namen beteiligt: Die Autorin Traudl Bünger moderiert eine Talk-Reihe, der Künstler Jonathan Meese, der Musiker PeterLicht und der Horrorfilmer Jörg Buttgereit betreuen eigene Formate.
Von „Faust“ bis „Liebes Arschloch“
Und selbstredend finden sich unter den 29 Stücken nicht nur investigative Projekte, sondern auch Kanon-Texte mit Wiedererkennungswert. Der israelische Regisseur Itay Tiran gibt nach Arbeiten am Burgtheater sein Deutschland-Debüt mit Tschechows „Onkel Wanja“, auch die Australierin Adena Jacobs zeigt nach gefeierten Antike-Bearbeitungen in London und Wien mit Aischylos' „Orestie“ ihre erste deutsche Produktion. Freuen kann man sich auf Dramatisierungen von Döblins „Berlin Alexanderplatz“, Rolf Dieter Brinkmanns Köln-Suada „Die Wörter sind böse“ und Virginie Despentes' „Liebes Arschloch“. Kay Voges selbst transferiert seine Inszenierungen von Jon Fosses „Der Name“ und Goethes „Faust“ nach Köln.
Das wird das erste Stück
Zur Spielzeit-Eröffnung am 26. September hat sich Voges aber zusammen mit seinem Chefdramaturgen Alexander Kerlin ein eigenes Stück ausgedacht: In „Imagine“ will er die ganze Welt in einem Dorf zeigen, einem friedlichen Dorf, man muss es sich nur, frei nach John Lennon, vorstellen: „Das wird ein Abend über Begegnung, über das Miteinander, über unsere Gegenwart, über Krieg, Konflikte, aber vielleicht auch ein Abend über die Utopie“, so der Intendant. „Musikalisch, meditativ, rauschhaft, ein Wimmelbild für die Zuschauer.“ Das Thema „Krieg und Frieden“ ziehe sich durch die gesamte Spielzeit.
Vor neun Jahren hat Voges am Theater Dortmund einen ganz ähnlichen Abend gewagt und gewonnen: „Die Borderline Prozession“ wurde damals zum Berliner Theatertreffen eingeladen und begründete seinen Ruf als gegenwärtigster Macher des deutschsprachigen Theaters.
Der Kartenvorverkauf beginnt am 7. Juli. Das gesamte neue Programm finden Sie auf der neuen Seite des Kölner Schauspiels: https://splkln.de