Arcade Fire in Lanxess-ArenaSexvorwürfe reißen nach Konzert nicht ab

Lesezeit 3 Minuten
Neuer Inhalt (1)

Arcade-Fire-Frontmann Win Butler auf der Bühne.

Köln – Es soll Leute geben, zum Beispiel den Autor dieser Zeilen, die finden die messianischen Ambitionen von Bono nur schwer erträglich, besuchen aber gerne Konzerte der kanadischen Indie-Rock-Band Arcade Fire. Und das, obwohl deren Frontperson Win Butler doch nicht weniger zum Predigen neigt. Ihr aktuelles, sechstes Album haben Arcade Fire konsequenterweise „We“ betitelt, als wären wir alle eins, Band wie Fans.

Die Sehnsucht nach dem großen Wir-Gefühl war vielleicht auch eine Reaktion auf das enttäuschende fünfte Album „Everything Now“, auf dem zutiefst unironische Ehrlichkeit einer schalen Medienkritik weichen musste. Die Ehrlichkeit und Grundanständigkeit, die Arcade Fire zu Zeiten ihres Debüts „Funeral“ so originell aus der Musiklandschaft herausstechen ließen, versuchen sie auf „We“ erneut heraufzubeschwören.

Die Krönung von 20 Jahren Bandgeschichte

Mit einigem Erfolg: Kritiker begrüßten die Rückkehr zu den Wurzeln, das Album verkaufte sich halbwegs anständig in einer Zeit, in der niemand mehr Alben kauft. Vor allem aber sollte eine Arenatour folgen, ein großes postpandemisches Zusammenkommen, die Krönung von mehr als 20 Jahren Bandgeschichte.

Alles zum Thema Lanxess Arena

Am Mittwoch, den 14. September, spielten Arcade Fire in der Lanxess-Arena, zuletzt hatte man sie 2017 im Tanzbrunnen erleben können (und Mitte der Nuller Jahre noch im viel intimerem Rahmen im Gebäude 9 und im Jugendpark). Auf das Konzert hatte man sich lange gefreut, auch auf die kanadische Sängerin Feist im Vorprogramm.

Jetzt hält sich die Freude jedoch in Grenzen: Das mächtige Online-Musikportal Pitchfork hatte am 27. August einen detailreichen Artikel veröffentlicht, in dem drei sehr viel jüngere Frauen und eine nichtbinäre Person Win Butler sexuelles Fehlverhalten vorwarfen.

Unerwünschte Sex-Nachrichten und Nötigung

Die Anschuldigungen reichen von unerwünschten Sex-Nachrichten bis zur Nötigung. Butler bestätigte dem Musikmagazin, sexuelle Kontakte mit den erwähnten Personen gehabt zu haben, diese seien jedoch allesamt einvernehmlich gewesen. Seine Frau und Bandkollegin Regine Chassagne fügte ein versöhnliches Statement hinzu, es endete mit den Worten: „Er ist vom Weg abgekommen und hat den Weg zurückgefunden.“

Als könne das jedem Heiligen mal passieren, oder wenigstens jedem Fernsehprediger. Aber natürlich ist Imageschaden immens, gerade weil Butler jahrzehntelang seinen Gutmenschenstatus unangefochten genießen konnte. Er besaß die moralische Integrität des Do-it-yourself-Punks, den es nur in die Arenen verschlagen hatte, weil so viele seine zeitkritischen Botschaften hören wollten. In ihrer kanadischen Heimat weigern sich derzeit viele Radiostationen, Arcade-Fire-Songs zu spielen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Feist hat sich nach den beiden Auftakt-Konzerten in Dublin von der Tour verabschiedet, mit einem langen Statement, in dem sie ihren Zwiespalt öffentlich macht: „Wenn ich auf der Tournee verbliebe, würde das bedeuten, dass ich den von Win Butler verursachten Schaden entweder verteidige oder ignoriere, und wenn ich die Tournee verlasse, würde das bedeuten, dass ich der Richter und die Jury bin.“ In diesem Zwiespalt befinden sich nun auch die Fans der Band, denn Arcade Fire haben offensichtlich beschlossen, die Auswirkungen der Anschuldigungen zu ignorieren und einfach weiterzumachen wie bisher.

Letzten Endes hat sich Win Butler, wenn die Vorwürfe zutreffen, exakt so eklig und egoistisch benommen, wie Dutzende Rockstars vor ihm. Das entschuldigt selbstredend nichts.

In einem Interview mit der „New York Times“ hat Nick Cave gerade eine neue Perspektive auf die häufig fallende Frage „Wie kann ich noch die Musik von Menschen hören (oder deren Bücher lesen, etc.), die sich als schlecht entpuppt haben?“ formuliert: „Für mich“, sagte Cave, „liegt der Punkt ihrer Kunst manchmal genau in der Entfernung, die sie zwischen ihr und ihrem schlimmsten Selbst zurücklegen mussten.“

KStA abonnieren