Da wurde die Achte zur zweiten „Eroica“

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Schon dreimal seit der Jahrtausendwende haben die Wiener Philharmoniker alle neun Beethoven-Sinfonien eingespielt: Unter Leitung von Simon Rattle, Christian Thielemann und Andris Nelsons, dessen Version pünktlich zum Jubiläumsjahr auf den Markt kam. Die Gesamtaufnahme ist ein schönes Souvenir für die Besucher der Beethoven-Zyklen, die das prominente Team demnächst in Hamburg, München und Wien geben wird. Mit den Sinfonien Nr. 3 („Eroica“) und 8 war in der Kölner Philharmonie eine repräsentative Auskopplung aus dem prestigereichen Großprojekt zu erleben – und selbstverständlich lag die schlanke rote Box der Deutschen Grammophon auch hier zum Verkauf aus.

Mit den beiden Sinfonien greift man den Titan an höchst unterschiedlichen Stellen seiner künstlerischen Persönlichkeit. Die „Dritte“ – das ist Heldentum, Tragik, komponierte Zeitgeschichte zwischen Revolution und Resignation. Die „Achte“ wiederum ist ganz und gar heitere Skepsis, Maskenspiel, sich selbst genügendes formales Experiment. Zu Recht nannte das philharmonische Programmheft hier Joseph Haydn als Referenzgröße.

Vielleicht hätte man das aber besser mit Andris Nelsons abgesprochen, der das Stück offenbar ganz anders sieht: Unter den Händen des Leipziger Gewandhaus-Kapellmeisters wurde die „Achte“ zur zweiten „Eroica“, so füllig, breit und gesättigt kam sie daher. Natürlich zeigen die Kopfsätze beider Sinfonien Gemeinsamkeiten, etwa bei den konfliktfreudigen Akzentverschiebungen innerhalb des Dreiermetrums. Aber gerade hier wäre es doch sinnvoller, die Unterschiede in Machart und Ausdruck zu zeigen – kaum ein Stück ist geeigneter, dem Heroismus der napoleonischen Epoche eine Absage zu erteilen, als eben diese „Achte“.

Dass Nelsons Beethovens (durch Metronomzahlen fixierte) Originaltempi deutlich unterbietet, wäre an sich kein Problem, das tun viele Dirigenten. Aber hat er sich überhaupt gefragt, was der Meister damit meinte und wollte? Und was meint und will eigentlich Nelsons selbst, abgesehen davon, ein wuchtig-opulentes Klangbild aufzuziehen, das die Kapazitäten der Wiener Philharmoniker bis an die Grenzen ausfährt?

In der „Eroica“ war das alles viel stimmiger, überzeugender – aber hier ist Beethoven natürlich auch deutlich näher an seinen romantischen Nachfolgern Brahms und Bruckner, aus deren Perspektive Nelsons das Stück unverkennbar gestaltete. Den Kopfsatz dirigierte er fast durch-gehend in Vierteln; damit lag sozusagen die kleine Übersetzung auf der Kette, was den Nachdruck erhöhte, aber zugleich den Durchfluss reduzierte.

Als sich dann in der Krisis der Durchführung die Schichten verkeilten, die Dissonanzen schmerzlich ins Gemüt fuhren - das war natürlich eindrucksvoll. Und als im Trauermarsch des langsamen Satzes die Kontrabässe ihre breiten Auftakt-Schlieren zogen, da hatte das schon eine Räumlichkeit, eine Intensität im Zugriff, wie sie nur wenige Orchester hinbekommen.

Aber setzte sich dagegen die lichte C-Dur-Utopie der Holzbläser über den pochenden Triolen der Violinen hinreichend ab? Wurde da unter der schönen Fassade wirklich in Tönen gesprochen, entstand da irgendwo, was der selige Nikolaus Harnoncourt für die klassische Epoche immer wieder als „Klangrede“ reklamierte?

Wie auch immer, die Besucher in der ausverkauften Philharmonie waren’s zufrieden; das Orchester nahm den Jubel mit gewohntem Gleichmut entgegen und verließ das Podium, als es genug davon hatte. So sind sie, die Wiener Philharmoniker.

Foto: dpa

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