Eddie Van Halen ist totWie der Meistergitarrist in 100 Sekunden die 80er Jahre erfand

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Eddie Van Halen im Jahr 2004

Eddie Van Halen im Jahr 2004

  • Eddie Van Halen ist am Dienstag im Alter von 65 Jahren in Santa Monica an einer Krebserkrankung gestorben.
  • Der in Amsterdam geborene Musiker revolutionierte das Gitarrenspiel. Vielen galt er als bester Gitarrist aller Zeiten.
  • Wie Van Halen seine technische Finesse nutzte, um einem Jahrzehnt seinen Sound zu geben.

Los Angeles – Man kann Geist und Ungeist der 1980er Jahre auf zwei musikalische Ursprünge zurückführen: Der digital rückgekoppelte Schlagzeugsound, den Tony Visconti im Herbst 1976 für David Bowies Album „Low“ entwarf, war der Soundtrack zur Entsolidarisierung der westlichen Gesellschaft unter Ronald Reagan und Margaret Thatcher.

Die unbändige wenn auch rücksichtslose Lebenslust des Jahrzehnts aber kickstartete ein kaum 100 Sekunden langes Gitarrensolo von Eddie Van Halen, das unter dem ganz passenden Namen „Eruption“ seinen Weg auf das selbstbetitelte Debütalbum von Van Halen aus dem Jahr 1978 fand. Die Band hatte der Virtuose zusammen mit seinem älteren Bruder Alex im kalifornischen Pasadena gegründet.

Die Van Halens waren dorthin aus Nijmegen emigriert. Eddies Vater, ein Klarinettist, hatte seine Frau während einer Tour in Indonesien kennengelernt. Zurück in den Niederlanden sah sich die multiethnische Familie rassistischen Anfeindungen ausgesetzt, in den USA erhofften sich die Van Halens ein offeneres Klima, auch wenn sich der Musikervater hier als Hausmeister und Tellerwäscher verdingen musste.

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Die Söhne aber verinnerlichten den tiefenentspannten kalifornischen Lebensstil sofort, noch bevor sie fließend Englisch sprachen wurden sie allerdings vom Vater zum Klavierunterricht geschickt. Edward Lodewijk Van Halen war ein gelehriger Schüler, obwohl er nie lernte Noten zu lesen, stattdessen schaute er seinem Lehrer genau auf die Finger, und spielte die Stücke daraufhin nahezu perfekt nach.

Was uns wieder zu „Eruption“ bringt, dem Instrumental, eigentlich nur eine zufällig aufgenommene Spielerei auf seiner selbstgebastelten Gitarre, Frankenstrat getauft, vor einem Auftritt im West-Hollywood-Club Whisky a Go Go, in dem Van Halen eine derartige Fingerfertigkeit bewies, dass seine Konkurrenten technische Tricksereien vermuteten. Gewieftere Ohren haben in den ersten Sekunden Elemente von „Let Me Swim“ der amerikanischen Hardrockband Cactus und einer Etüde des französischen Violinisten Rodolphe Kreutzer ausgemacht, und schon allein diese Kombination von bleischweren E-Gitarren-Akkorden und klassischer Fingerübung ist ja ziemlich originell.

Doch nach eine kleinen Atempause explodiert das Stück in einem bunten Feuerwerk aus übermenschlich schnellen Arpeggios, es ist als wäre das neonbeleuchtete Raumschiff aus „Unheimliche Begegnung der dritten Art“ gerade auf deinem Kopf gelandet, oder als hätte dich ein Laserstrahl in Ataris „Human Cannonball“-Videospiel gebeamt.

„Tapping“ nennt man diese spezielle Anschlagtechnik; Eddie Van Halen hat sie zwar nicht erfunden, aber er hat sie zum Reden gebracht: Fortan kündete sie vom hedonistischen Spaß am Übermaß und von der digitalen Beschleunigung des allzu gemütlich gewordenen Rock’n’Roll.

So viel technische Finesse – das Fachmagazin „Guitar World“ kürte Van Halen noch 2012, lange nach seiner großen Zeit, zum besten Gitarristen aller Zeiten – führt im Regelfall zu schwer hörbarem Jazz. Der junge Mann aus Pasadena aber versteckte seine Bach’schen Harmoniespiele und Paganini-artigen Fertigkeiten in hormongesteuerten Hymnen über Jungs, die von privaten Nachhilfestunden bei ihrer blondierten Lehrerin träumen, oder davon mit hochgetunten Motoren und gefälschten Ausweisen zum nächsten Schnapsladen zu rasen.

Mit „Jump“ auf dem Höhepunkt 

Mit dem zur Selbstparodie neigenden Langhaar-Gockel David Lee Roth hatten Van Halen zudem den perfekten Frontmann gefunden. Schon das Debütalbum war ein Riesenerfolg. Der sich dann stetig steigerte, bis zum im Januar des titelgebenden Jahres erschienen Album „1984“, das mit „Jump“ auch die einzige Nummer-Eins-Single der Band enthält. Da waren die 1980er auf ihrem Höhepunkt angekommen und Van Halen die größte Rockband der Welt.

Den sprungbereiten „Jump“-Riff spielte Eddie Van Halen ausnahmsweise auf dem Synthesizer, er brauchte ein paar Jahre, um seine traditionell gesinnteren Bandkollegen von der Idee zu überzeugen. Dabei verstand es das Quartett von Anfang an, instrumentale Schwere mit zugänglicher Pop-Leichtigkeit zu verbinden.

Kein Geld für „Beat It“

Ähnliches gilt auch für Eddies anderen großen Beitrag zur Popgeschichte: Das Solo, das er auf Quincy Jones’ Anfrage für „Beat It“ einspielte und für das er noch nicht einmal Geld sehen wollte. „Sei kein Macho-Mann“, fordert Michael Jackson in dem Song. Und Eddie Van Halens Musik klang, den oft sexistischen Texten seiner Band zum Trotz, nie nach Macho-Gepose, sondern nach reiner kindlicher Freude. Freilich ging auch seiner Band der Zeitgeist nicht vorbei, spätestens mit dem Aufkommen des Grunge war die Zeit des konsequenzlosen Herumalberns vorbei. Jetzt wollte die Rockmusik den Kapitalismus bekämpfen und scheiterte folglich an ihren inneren Widersprüchen.

Eddie Van Halen hatte währenddessen mit seiner Alkoholsucht zu kämpfen. Aber so lange er spielen konnte, war er glücklich. Am Dienstag ist der Ausnahmemusiker im Alter von 65 Jahren in Santa Monica an einer Krebserkrankung gestorben.

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