Ein Loblied aufs AnalogeWarum es gut ist, dass es das Dschungelcamp gibt

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Die beiden Moderatoren der Reality-Show «Ich bin ein Star - Holt mich hier raus», Sonja Zietlow und Jan Köppen.

Die beiden Moderatoren der Reality-Show „Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!“ Sonja Zietlow und Jan Köppen.

Wer meint, das RTL-Dschungelcamp diene nur zur Berieselung, der irrt. Es ist zwar Trash, dennoch kann man viel von der Show lernen. 

Wenn vom linearen Fernsehen die Rede ist, dann fällt über kurz oder lang ein Stichwort: Lagerfeuer. Sendungen wie „Wetten, dass..?“ versammelten früher Millionen Zuschauer zur selben Zeit vor dem Fernseher. Man saß vielleicht allein zu Hause im Wohnzimmer, wusste sich aber mit vielen anderen durch das gemeinsame Erlebnis verbunden. Und diskutierte es am nächsten Tag im Freundeskreis oder Büro, denn die Sozialen Medien gab es noch nicht.

Doch dieses Lagerfeuer ist längst erloschen. Versuchen Sie mal, heutigen Kindern oder Jugendlichen zu vermitteln, dass sie zu einer bestimmten Uhrzeit vor dem Fernseher sitzen müssen, wenn sie eine Sendung sehen wollen. Die Fragmentierung des Fernsehmarktes ist weit vorangeschritten, und die immer zahlreicher werdenden Streamingdienste verstärken den Trend noch.

Doch es gibt sie noch, die eine Sendung, über die dann irgendwie doch alle reden. Wenn in „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ mehr und vor allem minder prominente Promis ums echte Lagerfeuer im fernen Australien sitzen, entsteht vor deutschen Fernsehern wieder dieses Gemeinschaftsgefühl, das man eigentlich schon verloren glaubte. Und das sich dank Twitter heute sogar noch stärker ausleben lässt als zu den goldenen Zeiten der Fernseh-Unterhaltung.

Nach zwei Jahren Ausnahmesituation durch die Corona-Pandemie, die der Show eine gruselige Stippvisite im tristen Januar ins noch tristere Hürth und einen Ausflug nach Südafrika bescherte, ist das RTL-Format nun also zurück an alter Wirkungsstätte. In Australien soll die Show zu altem Glanz und alter Größe zurückfinden.

Die Voraussetzungen scheinen gut, die Liste der zwölf Teilnehmerinnen und Teilnehmer liest sich vielversprechend. Neben den üblichen Trash-TV-Sternchen, die RTL selbst heranzüchtet, sind auch ein paar Namen dabei, die auch Menschen jenseits des RTL-Kosmos kennen: Claudia Effenberg, Lucas Cordalis oder „Ich will Spaß“-Sänger Markus Mörl etwa. Wobei Dschungel-Profis aus Erfahrung wissen, dass es nicht die „großen“ Namen sind, die garantieren, ob eine Staffel ein Erfolg wird. Am spannendsten sind oft die, von denen man es vorher nicht gedacht hätte.

Und entgegen einer weit verbreiteten Meinung ist es auch nicht der möglichst hohe Ekelfaktor bei den Dschungelprüfungen. Wer die Show nur deshalb schaut, um andere Kakerlaken essen zu sehen, hat sie nicht verstanden. Die Prüfungen braucht es für die Schlagzeilen und Bilder. Das eigentlich Interessante am Dschungelcamp ist die Chance, einer Gruppe von Menschen in einer Lebenssituation zuschauen zu können, die wir heute so nicht mehr erleben.

RTL-Dschungelcamp widersteht dem Trend zur Vereinzelung

In einer Zeit, in der in Restaurants allzu oft Menschen um einen Tisch sitzen und doch eher auf ihr Smartphone-Display als auf einander schauen, wirft das Dschungelcamp die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf sich selbst zurück. Es gibt in diesem Fernsehknast keine Ablenkung durch Instagram, Netflix oder Spotify. Auch wenn die Social-Media-Maschine jenseits des Camps auf Hochtouren läuft – rund ums Lagerfeuer inszeniert RTL ein Loblied aufs Analoge.

Wenn Menschen, die sich vorher nicht oder nur flüchtig kannten, ohne Ablenkung plötzlich rund um die Uhr Zeit miteinander verbringen müssen, entsteht oft eine interessante Dynamik. Zumal man sich zwar vorher eine Strategie zurechtlegen kann, wie man wirken möchte, diese aber von den Umständen regelmäßig über den Haufen geworfen wird, wie die Vergangenheit lehrt.

Das Dschungelcamp widersteht in gewisser Weise dem Trend zur Vereinzelung. Aber doch nur für Quote und Kommerz, werden nun manche entgegnen. Da ist natürlich was dran. Aber anders als bei „Germany’s Next Topmodel“, wo jungen Mädchen auf toxische Weise vermittelt wird, dass sie nicht gut genug sind, wie sie sind oder bei Reality-TV-Formaten, in denen unbedarfte Laiendarsteller vorgeführt werden, weiß hier nach so vielen Jahren und so vielen Staffeln nun wirklich jeder, worauf er sich einlässt.Und der – wenn auch oft nur kurzfristige – Ruhm lässt sich hinterher zu Geld machen, wenn man durch andere Shows und Formate tingelt.

Es war immer schon leicht, auf die herabzublicken, die ihre 15 Minuten Ruhm offenbar so sehr herbeisehnen, dass sie bereit sind, sich dafür zum Affen zu machen. Aber vielleicht sind die, die zwei Wochen lang Reis und Bohnen (und ein paar fiese Dinge) essen, ja auch einfach nur ehrlich. Für die große Karriere hat es nicht gereicht, da muss eben Plan B her. Und diesen Gedanken kennen ja die meisten von uns. Und sitzen dann also ab Freitagabend wieder alle vorm Lagerfeuer – die einen im australischen Dschungel, die anderen im heimischen Wohnzimmer. Und sind sich dabei näher, als sie dachten.

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