Der ehemalige Kölner Generalmusikdirektor François-Xavier Roth kehrte als Leiter des SWR-Symphonieorchesters nach Köln zurück - Protest blieb aus.
François-Xavier Roth zurück in KölnKonzert mit Elefant im Raum

François-Xavier Roth mit dem SWR Symphonieorchester bei seinem Antrittskonzert im September in Stuttgart
Copyright: SWR/Wolf-Peter Steinheisser
Ja, er hat sich in den anderthalb Jahren seiner Abwesenheit von Köln etwas verändert: François-Xavier Roth trägt mittlerweile einen Bart und erschien auf dem Podium der Philharmonie in einem langen schwarzen, gown-artigen Gewand – was der ganzen Erscheinung etwas leicht Guru-Mäßiges verpasste. Und sonst? Dem Auftritt des früheren Kölner Generalmusikdirektors war äußerlich nichts anzumerken – er dirigierte mit undurchdringlicher Professionalität das Konzert des von ihm jetzt geleiteten Stuttgarter SWR-Symphonieorchesters.
Naheliegend aber standen sie als unsichtbarer Elefant im Raum: die gegen ihn erhobenen Vorwürfe sexueller Belästigung zumal weiblicher Mitglieder seines Pariser Originalklang-Ensembles „Les Siècles“, die zuerst in der französischen Zeitung „Le Canard enchaîné“ erhoben, dann aber auch im Umfeld des Gürzenich-Orchesters laut geworden waren und zur vorzeitigen Aufgabe seines Kölner Postens geführt hatten. Freilich: Juristisch ist die Sache erledigt, Roth wurde weder angeklagt noch verurteilt. Und sein neues Orchester ist ihm ganz offensichtlich treu ergeben – weil er es, wie jetzt auch an seinem früheren Wirkungsort, zuverlässig zu künstlerischen Höhepunkten führt.
Nicht ausverkaufter Saal
Und der Elefant im Raum? Nun ja, das Konzert war bei weitem nicht ausverkauft – wofür aber mehrere Gründe vermutet werden können: die adventlich verstopfte City, ein Programm mit dem 50-minütigen „Ausklang. Musik für Klavier mit Orchester“ von Helmut Lachenmann (dem gefeierten, diesmal persönlich anwesenden, vom Traditionspublikum wahrscheinlich aber nur distanziert geschätzten 90-Jährigen des laufenden Jahres) und eben auch durch eigene Abwesenheit zu Protokoll gegebene moralische Missbilligung. Wer in der Philharmonie saß, war indes offenkundig nicht gekommen, um zu protestieren – wenngleich der Auftrittsapplaus etwas verhaltener schien als bei früheren Roth-Gelegenheiten.
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Noch im September, kurz vor seinen Antrittskonzerten als SWR-Chefdirigent, hatte die Schauspielerin Janina Picard auf ihrem Instagram-Account Roth der sexuellen Belästigung während einer SWR-Produktion im Jahr 2012 und den Jahren danach beschuldigt. Der Dirigent widersprach ihrer Darstellung „vehement“, legte eine eidesstattliche Versicherung vor. Der SWR entschied nach einem Gespräch mit der Schauspielerin, die Antrittskonzerte wie angekündigt stattfinden zu lassen. Aber war die „Causa Roth“ damit aus der Welt? „Der Beifall ist verhalten, viele Plätze sind leer“, schrieb die „Stuttgarter Zeitung“ nach dem Antrittskonzert des Symphonieorchester-Chefs. Begeisterung ginge anders. Und als Roth Mitte Oktober mit dem SWR-Orchester die Donaueschinger Musiktage eröffnete, begleiteten ihn Buhrufe auf dem Weg zum Pult.
Eine – freilich nicht repräsentative – Pausenumfrage des Rezensenten im Kölner Publikum ergab dagegen, dass dieses die ganze Causa ziemlich cool nahm. „Klar hat er Mist gebaut“, war da zu hören, „aber er ist eben ein großartiger Dirigent, und das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.“ Eine zweite Stimme: „Das Konzert ist in meinem Abo drin, das kann ich nicht gut verfallen lassen.“ Oder auch: „In Köln gab es viele Gerüchte, aber konkret nachgewiesen wurde Roth nichts.“ Einige Besucher – etwa York Höller und Georg Kröll als prominente Vertreter der Kölner Musikavantgarde – waren wohl gerade gekommen, um das Lachenmann-Stück zu hören.
Lachenmanns Donaueschinger Hardcore-Moderne
Diese Komposition aus den Jahren 1984/85 ist unbestreitbar harter Tobak, sprichwörtliche Donaueschinger Hardcore-Moderne. Alles, was der musikalische Durchschnittsliebhaber erwartet, wird hier verweigert: Es gibt keine „schönen“ Melodien (allenfalls melodische Kerne) und süffigen Klangekstasen, nicht einmal die Form greift die Usancen des traditionellen Klavierkonzerts auf. Dabei ist die Tradition als abwesende überall anwesend, ist halt wie bei einem Palimpsest radikal überschrieben. Da gibt es zum Beispiel eine Stelle gegen Ende, wo punktuell Strauss' „Zarathustra“ aufzuglimmen scheint. Tatsächlich ist Lachenmann über seinen Lehrer Luigi Nono direkt-indirekt mit Schönberg und seiner Schule verbunden; mehr ehrwürdige schaffensbiografische Traditionsbindung geht ja wohl nicht.
50 Minuten „Ausklang“
So oder so ermöglicht konzentriertes Zuhören immer wieder faszinierende, „strukturklanglich“ wie „klangstrukturell“ (Lachenmanns eigene Terminologie) getriggerte Hörerlebnisse. Dann wird man – vielleicht – der komplexen Zeitschichtungen der Komposition inne, der musikalischen Inselverhältnisse in einem Meer von Pausen und Schweigen. Das Werk heißt, wie gesagt, „Ausklang“ – welcher Titel auf Enden wollen und Verklingen verweist, physikalisch gesprochen: auf Ausschwingvorgänge. Sind 50 Minuten, könnte man ironisch fragen, für einen „Ausklang“ nicht ein bisschen üppig? Aber hier wird eben ein ganzer Parcours von stets veränderten „luftbewegten Zuständen“ installiert, zu denen nicht nur die althergebrachte Tonlichkeit gehört, sondern auch, ja vordringlich, das Geräusch, dessen „Schallchancen“ Lachenmann bis zur Neige auskostet. Schnarchen, Gluckern, Sägen mit allem möglichen Instrumentarium, das der fabelhafte Solist Jean-Frédéric Neuburger an seinem Flügel zum Einsatz brachte – bei all dem entsteht ein Soundscape von in Bann schlagender Intensität und Unverwechselbarkeit.
Ob das Stück – jenseits der korrekten Umsetzung der Partiturvorgaben – „gut“ gespielt wurde, ist allerdings schwer zu sagen. Wann wird so ein Werk „gut“ gespielt? Hier Kriterien für ein Urteil mit Anspruch auf intersubjektive Zustimmungsfähigkeit zu formulieren, dürfte gar nicht so einfach sein.
Magistrale Aufführung von Beethovens siebter Sinfonie
Leichter fiel da schon das Urteil über die Aufführung von Beethovens siebter Sinfonie nach der Pause – sie darf als in jeder Hinsicht magistral bezeichnet werden. Der Grundklang des Stuttgarter Orchesters ist, das zeigte gleich die spannungssatte langsame Einleitung, fabelhaft: Die sprechende Eleganz der Streicher und der kernige Sound der Bläser, das substanzreiche Piano und die große Kraftentfaltung, die aber entspannt kommt und nicht zu brutalen Verfestigungen führt (die geschärfte Brillanz im Klangbild war auch den Naturhörnern und -trompeten geschuldet) – die Lobrede könnte so fortgesetzt werden. Und vieles geht – selbstredend, möchte man sagen – auf das Konto des Dirigenten: Wie Roth Pausen, Verlangsamungen und Umschwünge platziert (bei einem Durchschnittstempo eher an der Oberkante); wie er unvermutet Details aufblitzen lässt, die gleich wieder weg sind; wie er das dialogische Mit- und Gegeneinander von Bläsern und Streichern dramaturgisch zum Aufbau einer explosiven Spannung zwischen gefährdeten Idyllen und einem alles mitreißenden rhythmischen Drive nützt – all das vermag zu begeistern und vergessen zu machen, dass man diese Sinfonie im Konzert schon hundert Mal gehört hat.
Am Ende war dann auch der Elefant aus der Philharmonie gewichen: Stehend feierte das Publikum den Ex-GMD.


