„Hart aber fair“ zu Asyl-Plan der CDU„Das ist eine Abrissbirne für die Menschenrechte“

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ARD/"hart aber fair" vom 14.08.2023
abgebildete Personen v.l.n.r. Ruud Koopmans (Professor für Soziologie und Migrationsforschung, Humboldt-Universität Berlin, Buchautor „Die Asyl-Lotterie“), Lars Castellucci (SPD, Sprecher der Arbeitsgruppe Migration und Integration der SPD-Bundestagsfraktion), Wiebke Judith (Rechtspolitische Sprecherin bei Pro Asyl)

„Hart aber fair“ mit Ruud Koopmans (v.l.n.r.), Lars Castellucci und Wiebke Judith

Bei „Hart aber fair“ diskutierten die Gäste über den Vorschlag des CDU-Politikers Thomas Frei, das Recht auf individuelles Asyl abzuschaffen. 

Laut dem UNHCR sind zur Zeit über 100 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht vor Krieg, Konflikten und Verfolgung - so viele wie nie zuvor. Deutschland gehörte 2022 mit 2,1 Millionen Schutzsuchenden zu den führenden Aufnahmeländern weltweit.

Der CDU-Politiker Thomas Frei stellte wegen dieser Entwicklung das Asylrecht in Frage - und bot damit reichlich Diskussionsstoff für die erste Sendung von „Hart aber fair“ nach der Sommerpause („Neue Härte: Kommt die Wende in der Asylpolitik?“). Wegen des Pokalspiels zwischen dem 1. FC Köln und VFL Osnabrück wurde der Start der Sendung zunächst auf 23:15 Uhr, dann wegen der Verlängerung des Spiels auf 00:00 Uhr verschoben.

Die Gäste der Sendung am 14.08.

  • Prof. Lars Castellucci, Sprecher der Arbeitsgruppe Migration und Integration der SPD-Bundestagsfraktion
  • Thorsten Frei, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
  • Wiebke Judith, Rechtspolitische Sprecherin bei Pro Asyl
  • Cansin Köktürk, Sozialarbeiterin und Buchautorin und Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen
  • Ruud Koopmans, Professor für Soziologie und Migrationsforschung, Humboldt-Universität Berlin, Buchautor "Die Asyl-Lotterie“

CDU-Politiker Thomas Frei verteidigt sich bei „Hart aber fair“

Frei ist selbst am Montagabend bei „Hart aber fair“ zu Gast. Mit der jetzigen Lage werde ein starkes Recht ins Schaufenster gestellt, dass viele Menschen nach Deutschland locke. Er schlägt vor, das Individualrecht auf Asyl abzuschaffen und stattdessen ein Kontingent von 300.000 bis 400.000 Schutzbedürftigen aus dem Ausland zu holen und in Europa zu verteilen. Eine Antragstellung in Europa sei damit nicht mehr möglich, so würden Menschen die gefährlichen Routen über das Mittelmeer nicht mehr nutzen.

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Zudem hätten die Menschen in Deutschland bereits mit Wohnungsnot und fehlenden Kitaplätzen zu kämpfen, der ländliche Raum zudem mit der ärztlichen Versorgung. „Ich glaube wir brauchen Ordnung, Steuerung und auch Begrenzung, damit die Gesellschaften in Europa, aber eben auch die Kommunen in der Lage sind, die Herausforderung zu bewältigen, Integration zu ermöglichen und damit Menschen Schutz zu geben.“

Migrationsforscher plädiert für neue Flüchtlingsabkommen mit der Türkei und Tunesien

Der Professor für Soziologie und Migrationsforschung Ruud Koopmans meint, viele Menschen würden oft nur aus wirtschaftlichen Gründe nach Deutschland kommen, etwa syrische Geflüchtete, die aus der Türkei nach Deutschland weiterreisen, oder „die ganzen Menschen aus Nigeria.“ Er begrüßt die Schaffung eines Kontingents für Geflüchtete, die man aus dem Ausland nach Europa holt.

Gleichzeitig bestreitet er, dass Freis Vorschlag allein dazu führen würde, dass keine Menschen mehr im Mittelmeer sterben würden. Deutschland müsse vielmehr Flüchtlingsabkommen neu verhandeln, etwa mit der Türkei oder Tunesien, damit Schutzsuchende dort Anträge auf Asyl stellen können. Damit würde man „Anreize“ wegnehmen, nach Europa zu kommen und das Massensterben im Mittelmeer und der Sahara reduzieren.

Frei spricht von 35 Millionen Geflüchteten aus Afghanistan

Koopmans schildert, dass laut einer Umfrage 37% der Befragten aus Subsahara-Afrika gerne ausreisen würden. Die Kosten und die Gefahren würden viele Menschen aber abhalten und so eine natürliche Obergrenze schaffen. „Wir können nicht allen Menschen auf der Welt helfen.“ Man müsse also denjenigen helfen, „die unseren Schutz am meisten brauchen.“ Frei wirft eine Zahl von 35 Millionen afghanischen Flüchtlingen in den Raum, die ein Recht hätten, in Deutschland aufgenommen zu werden.

SPD-Politiker Castelucci kritisiert diese Spekulation als ein Wettbieten um die höchsten Zahlen, bei dem vor allem Angst geschürt werde. Er erinnert daran, dass der überwältigende Großteil der Geflüchteten in ihrem eigenem Heimatland Schutz suchen. „Es ist eben nicht so, dass wir vor der neuen Völkerwanderung stehen.“

Sozialarbeiterin und SPD-Politiker Castellucci sehen im Vorschlag eine Aufhebung der Menschenrechte

Die Sozialarbeiterin und Buchautorin Cansin Köktürk („Unsozialstaat Deutschland: Warum wir radikal humanistisch werden müssen“, 2023) hat kein Verständnis dafür, dass in Deutschland an Menschenrechten gerüttelt werde. Freis Vorschlag würde unmöglich machen, in Fällen wie Bürgerkriegen angemessen zu reagieren. Zudem kritisiert sie, dass Geflüchtete immer wieder als Problem dargestellt werden. „Wir finden keine Lösung in der Migrationsdebatte, weil wir ständig die falschen Fragen stellen.“ Es gehe oft darum, sich abzuschotten, anstatt Migration in die Gesellschaft einzubauen und eine Willkommenskultur zu schaffen. Auch die Probleme der Kommunen würden mit Abschottung vor Geflüchteten nicht gelöst.

Castellucci geht argumentativ in eine ähnliche Richtung und stellt fest, dass die CDU sich von Angela Merkels „ungeliebten Erbe“ löse. Er erinnert daran, warum das Grundrecht auf Asyl überhaupt erschaffen wurde: Jedes Leben eines Menschen zähle etwas. „Es waren Deutsche, die auf den Schiffen über den Atlantik gefahren sind oder die Grenzen erreicht haben, abgewiesen worden sind und wieder in den Fängen der Nazis gelandet und umgekommen sind.“ Daraus habe man Lehren gezogen. „Das Individualrecht auf Asyl werden wir verteidigen.“ Sich davon zu lösen sei eine „Abrissbirne für die Menschenrechte“.

Pro-Asyl-Sprecherin sieht im Umgang mit Geflüchteten aus der Ukraine Vorbildcharakter

Wiebke Judith von Pro-Asyl stellt eine Diskursverschiebung nach rechts fest. Vorschläge wie die von Frei seien nur Scheindiskussionen, die den Kommunen nicht bei ihren Problemen helfen. Es gebe vielmehr auch Potentiale im Thema Migration. „Wenn wir Erzieherinnen suchen und keine Arbeitskräfte haben, warum werden dann Frauen in Erziehungsausbildung abgeschoben? Warum werden Männer abgeschoben, die eine Pflegeausbildung machen?“

Sowohl Judith als auch Köktürk sehen im Umgang mit ukrainischen Geflüchteten ein Vorbild für den weiteren Umgang mit Migration. Dadurch, dass sie von Anfang an privat wohnen und arbeiten durften, seien sie schnell in der Gesellschaft angekommen. Anderen Geflüchteten würde dieser Prozess sehr schwer gemacht, sie würden teilweise über Jahre in Unterkünften festhängen. „Statt die Debatte darauf zu lenken, die Menschen zu bekämpfen, die hierhinkommen, sollten wir uns um Fluchtursachen kümmern.“

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