Interview mit Anke Engelke„Ich bin gerne devot“

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Anke Engelke übernimmt Show von Helge Schneider.

Anke Engelke übernimmt Show von Helge Schneider.

Wir treffen Anke Engelke an einem sonnigen Morgen im Kölner Stadtgarten, wo sie auch ihre neue Show "Anke hat Zeit" präsentiert. Helge Schneider, den die Moderationsenergie nach nur zwei Ausgaben von "Helge hat Zeit" verlassen hat, sitzt bei Engelkes Premiere noch kurz an der Orgel - weitere, streng nach Lustprinzip ausgewählte Gäste sind unter anderen die Schweizer Sängerin Sophie Hunger, die Schauspielerin Caroline Peters und Deutschlands jüngster Philosophieprofessor, Markus Gabriel. Die Entertainerin blickt gespannt dem Nachmittag entgegen, dann werden sie und ihr Team die Sendung kritisch durchsprechen. Zu Selbstkritik ist Anke Engelke immer aufgelegt, ob sie den "Eurovision Song Contest" moderiert, den "Ladykracher" gibt oder zu zahllosen anderen Anlässen vor der Kamera steht.

Anke Engelke, der Titel Ihrer neuen Sendung, "Anke hat Zeit", ist angesichts Ihres Terminkalenders doch ein Witz, oder?

Anke Engelke: Ich muss mir diesen Titel sehr bewusst machen, ich muss ihn sozusagen leben - ich muss Zeit zulassen und mich selbst so zugunsten der Gäste zurücknehmen, dass ich zwar nicht verschwinde, aber helfe. Das ist vielleicht ein Problem, wenn man selbst Fan ist, wie das bei mir zum Beispiel im Fall von Sophie Hunger der Fall ist ...

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Aber das ist keine Bedingung für die Einladung der Gäste - dass Sie Fan sind?

Engelke: Nein, zum Beispiel Katja Brunner, die Gewinnerin des Mülheimer Dramatikerpreises, kannte ich gar nicht. Und ich finde sie auch unglaublich sperrig, und genau so etwas möchte ich im Fernsehen sehen. Wenn Fernsehen für irgendetwas da ist, dann dafür, dass irritiert wird, dass informiert wird und dass man hinterher denkt: Moment mal, jetzt muss ich erst mal was sortieren.

Wie schaut Anke Engelke eigentlich fern?

Engelke: Ganz wenig und ganz gezielt. Aber da habe ich vielleicht eine spezielle Haltung, weil ich das seit über 35 Jahren mache. Ich sehe sehr filmisch Fernsehen, auf eine Weise: Ich bin die Kamera, ich gucke und gucke und gucke, und was stelle ich fest? Wenn ich was Großes sehen möchte, gehe ich lieber ins Kino, und wenn ich was Großes hören möchte, gehe ich in ein Konzert. Aber wenn ich etwas leicht filtriert haben möchte, dann schaue ich fern. Ist aber vielleicht auch eine Erziehungssache.

Was heißt das? Wie haben Ihre Eltern Sie zum Fernsehen erzogen?

Engelke: Gar nicht.

Kein Fernsehen zu Hause?

Engelke: Doch, der Apparat war da, und wir wurden auch gerufen zum "Tor des Monats", zum, äh ...

"Wort zum Sonntag"?

Engelke: Nee, nee, nee! Wir haben in Rösrath gelebt und empfingen dort einen belgischen Sender, der Monty Python im Original zeigte. Das durften wir sehen, und Loriot. Und Eiskunstlauf - aus irgendeinem Grund fanden meine Eltern das spannend.

Dann hat Sie der Eiskunstlauf zu Ihrem heutigen selektiven Sehverhalten gebracht?

Engelke: Wissen Sie, als Abonnentin einer Zeitung habe ich früher gedacht, ich habe ein Recht darauf, alles an dieser Zeitung zu lieben - das ist aber Quatsch. Es ist gut, dass es bestimmte Artikel gibt, aber ich muss sie nicht lesen. Genauso ist es beim Fernsehen. Danke für Sarah Kuttner, danke für "Schlag den Raab", danke für bestimmte Kulturmagazine und "Druckfrisch". Gut, dass es das gibt, aber ich muss nicht alles anschauen.

Anke Engelke wurde 1965 als Tochter eines Lufthansa-Managers und einer Fremdsprachen-Korrespondentin im kanadischen Montreal geboren. 1971 zog die Familie um nach Rösrath bei Köln. Ihre ersten Auftritte hatte sie bereits als 11-Jährige im ZDF-Kinderprogramm. Sie ist eine gefragte Komikerin, Schauspielerin und Musikerin. Im Kinofilm "Findet Nemo" ist sie die deutsche Stimme von Dorie.

"Anke hat Zeit" feierte am Samstag, 27. Juli, um 22.45 Uhr im WDR Premiere. (F. O.)

Ein Quotenbringer sind Sie demnach nur auf dem Bildschirm, nicht als Zuschauerin.

Engelke: Genau, ich bin schuld, wenn die Quote nicht stimmt und die Sendung abgesetzt wird. Das ist ja ein wahnsinniger Druck, der auf den Zuschauern lastet. Bin ich schuld, dass Harald Schmidt jetzt bei Sky ist? Was habe ich falsch gemacht? Ich will den doch haben, nach wie vor, aber ich gucke halt Sky nicht.

Als Kind in Rösrath waren Sie Mitglied eines Chores und haben sogar mit Udo Jürgens gesungen. War das der Startschuss für Ihre Karriere?

Engelke: Nein, nein. Die öffentlichen Auftritte fanden ja schon vorher statt, das war nur einer der Fernsehauftritte. Wenn man bei mir sucht, dann muss man eher bei meinem Verhältnis zum Publikum suchen. Vor Publikum zu stehen - da teilt sich was. Da gibt es im Chor die Kinder, die aufgeregt sind, und Kinder, die das nicht sind. Warum sind die nicht aufgeregt? Finden die das interessant, fühlen die sich dabei groß oder schauen die fasziniert in Gesichter? Oder bringt ihnen die Überwindung der Nervosität einen Kick?

Sie waren nie aufgeregt?

Engelke: Ich fand es immer toll, unhysterisch zu sein. Dann kamen die nächsten Stufen: das Einsingen von Liedern in den Emi-Studios und das Fernsehen.

Und wirklich nie aufgeregt, zum Beispiel, wenn Sie auf der Berlinale moderieren? Kann ich mir nicht vorstellen.

Engelke: Nein, wirklich nicht. Das ist kein Gendefekt - es geht nicht nur mir so, und bei den meisten liegt das am frühen Beginn. Ich bin eher interessiert an den Phänomenen, die dahinter liegen, und da kann man direkt den Sprung zu heute, zu "Ladykracher" machen. Mich fasziniert, Dinge zu verstehen: Kapiere ich, was mir mein Regisseur sagt, warum der Kostümbildner mich in ein bestimmtes Kleid steckt - wie sieht der die Frau? Muss ich mich umstellen? Das finde ich toll, das ist mein Hobby, und das ist das Einzige, was ich kann.

Und was fasziniert Sie an der Moderation?

Engelke: Mich in den Dienst einer Sache zu stellen, zum Beispiel der Berlinale. Ich bin wahnsinnig gern devot und muss immer aufpassen, damit nicht zu übertreiben. Das muss ich mir abgewöhnen. Ich habe mal bei "Aspekte" ein Interview mit dem von mir bewunderten Schriftsteller Michael Kumpfmüller gemacht, und ich lag so was von auf dem Boden. Da mussten mir Kolleginnen danach sagen: Das ist nicht schön, und das ist auch für den Gesprächspartner ekelhaft. Oder jetzt in Berlin: Wong Kar-Wai! Ich verehre Sie so! Oh Gott, bloß nicht zu sehr verehren ...

Welche Rolle spielt denn das Publikum?

ENGELKE: Ich liebe es, vor so einer Amöbe zu stehen, vor so einer Riesenwabermasse, die ich nicht greifen kann. Ich sehe ein paar bekannte Gesichter, auf der Berlinale, und dann sind da Inder, Koreaner, Armenier - was ist deren Humor, was verstehen die, wann erschießen die mich?

All das findet innerhalb eines großen Rahmens statt, schon die Technik stellt einen gigantischen Apparat dar. Ist es manchmal anstrengend, sich in diesem Rahmen das ehrliche Interesse am Gegenüber, am Menschen zu bewahren?

Engelke: Wenn mir in der Bahn einer blöd kommt, bin ich regelrecht unfreundlich. Aber grundsätzlich bin ich interessiert an Menschen und daran, wie sie sind - auch auf der Bühne, auch im Fernsehen, und zwar nicht bloß, damit ich das zum Spielen nutzen kann. Ich möchte wissen, wer jemand ist, was er zu sagen hat. Und wenn ich den Eindruck habe, dass beim Publikum die Türen aufgehen, dann geht da im wahrsten Sinn des Wortes Luft durch.

Sie haben aber auch den "Eurovision Song Contest" moderiert. Geht da Luft durch?

Engelke: Da bleibt für Improvisation kein Raum. Das war getaktet auf die Sekunde - das finde ich aber auch total geil. Wenn du weißt: Bist du jetzt zwei Sekunden zu lang, steigen die Italiener aus, weil bei denen Werbung kommt. Das ist das Tollste, und wenn es so technisch ist, befinde ich mich in einem anderen Modus. Dann muss ich nicht originell sein, dann muss ich nicht spontan etwas aufgreifen. Dann kommt aber für den Leistungskurs hinzu: Doch! Vielleicht bekomme ich doch etwas Spontanes mit hinein, und wenn es sich nur körperlich äußert.

Können Sie sich vorstellen, auch Politiker zu Ihrer Sendung einzuladen? Sind Sie politisch interessiert?

Engelke: Sehr. Ich weiß nur nicht, ob ich die Mischung aus Unterhaltung und Politik mag oder ob ich das nicht bedenklich finde. Und ich weiß auch nicht, ob ich mir zutraue, einem professionellen Redner, Kalkulierer, Phrasendrescher das Phrasendreschen auszutreiben.

Was ist es, was Sie an Politik interessiert?

Engelke: Der Mensch. Und die Frage, ob ich den wählen würde. Ich habe eigentlich kein klassisches parlamentarisches Wahlverhalten: Ja - Nein. Ich stehe zum Beispiel sehr unter dem Eindruck zweier Aufenthalte in Tempelhof, einem alternativen Dorf bei Crailsheim. Dort leben nur 110 Menschen, die ich jetzt für eine Reportage für die ARD besucht habe. In Tempelhof wird Demokratie so verstanden, dass das Dorf alles entscheidet: Wenn ein neues Haus gebaut wird, müssen alle darüber abstimmen, und zwar in sechs Stufen der Abstimmung. Das ist mehr als basisdemokratisch. Bei nur einem Veto wird das Haus nicht gebaut. Das geht natürlich im Bundestag nicht.

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