„Sensation des Sehens“Das Wallraf zeigt, wie eine Holzkiste die Malerei ausstach

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Ein Maler stößt mit seinem Kopf durch eine Leinwand und schaut auf dieser heraus.

Das „Porträt eines Mannes“ (1883) von Georges Méliès ist jetzt wieder im Kölner Wallraf-Richartz-Museum zu sehen.

Das Kölner Wallraf-Richartz-Museum zeigt Geräte aus der Kinosammlung von Werner Nekes und lässt die impressionistische Malerei dabei ziemlich alt aussehen. 

Geht es nach einem berühmten Philosophen, umsorgt uns der Weltgeist wie die Mutter das liebe Kind. Liegt eine Idee, eine Entwicklung oder Erfindung nur lange genug in der Luft, macht es „Puff!“ und das historisch Notwendige fällt der Menschheit wie reife Früchte in den Schoß. Leider hat diese schöne Hegel’sche Theorie den Makel, dass sie lediglich aus der „Hinterher-ist-man-immer-schlauer“-Perspektive funktioniert.

Auch die Erfindung des Films im Jahr 1895 erscheint im Rückblick so folgerichtig wie nur irgendwas. Nachdem sich die Menschheit über mehrere Jahrhunderte hinweg mit Daumenkinos, magischen Laternen, sogenannten Wundertrommeln oder läppischen Kaiserpanoramen begnügen musste, durfte sie ihre Sehnsucht nach bewegten Bildern endlich in angemessener Weise stillen. Die letzten Jahrzehnte vor dem Cinematographen der Gebrüder Lumière müssen quälend gewesen sein: Die Idee des Kinos schwängerte die Luft, aber es machte einfach nicht Puff.

Die Sammlung Werner Nekes wandert einmal durchs Kölner Museum

Jetzt liegt der erlösende Holzkasten mit Handkurbel und halber Flügelblende in einer Vitrine des Kölner Wallraf-Richartz-Museums und sieht eigentlich nach gar nichts aus. Auch die laufenden Bilder, die er an die Wand warf, waren eher unscheinbar und keinesfalls von einem Format, das abgebrühte Städter vor einem gefilmten, in den Bahnhof einfahrenden Zug die Flucht ergreifen lässt. Trotzdem ist der von Werbemythen umrankte Cinematograph derzeit die Hauptattraktion im reich bestückten Impressionisten-Saal des Wallraf. Da müssen Gauguin, Van Gogh oder Signac ganz tapfer sein: Verglichen mit dem Medium Film wirken ihre Meisterwerke nicht nur leblos, sondern klein.

Der Lumiére’sche Filmschreiber hält bei den Impressionisten im Rahmen einer Ausstellungstournee, die unter dem Titel „Sensation des Sehens“ Objekte aus der legendären Sammlung von Werner Nekes einmal durch die Abteilungen des Wallraf führt. Zum Auftakt im vergangenen Jahr waren ausgesuchte Exemplare aus der 25.000 optische Geräte umfassenden Nekes-Sammlung im Barock zu Gast, jetzt ist die Wundertrommel der Früh- und Vorgeschichte des Kinos weiter ins 19. Jahrhundert gerollt – und gleichsam am Ziel angekommen.

Eine magische Laterne in Eifelturmform steht auf einem Tisch.

Louis Auberts Eifelturm mit Laterna magica (1889) aus der Sammlung Werner Nekes

Schließlich war das 19. Jahrhundert „eine Epoche in Bewegung“, wie es im Begleitheft zur Ausstellung heißt. Eisenbahn und Fluggeräte beschleunigten das Sehen, der Handel florierte, aus dem Reisen wurde ein touristisches Vergnügen und aus optischen Geräten für die höheren Stände wurden Spielzeuge für das Bürgertum. Im Wallraf ist ein hübsches hausmusikalisches Motiv aus Biskuitporzellan zu sehen, das, durch eine Kerze beschienen, vor den Augen der Betrachter plötzlich lebendig wurde. Diese leuchtenden Steine bildeten ein ähnlich attraktives Heimvergnügen wie theaterhafte Schattenspiele oder Transparentbilder, die mithilfe einer Lichtquelle im Hintergrund eine verborgene Wirklichkeit enthüllen.

So wird im Wallraf aus einem Pferderennen unter freiem Himmel durch Drücken eines Lichtschalters eine Manege unterm Zirkuszelt und ein Familienvater malt mithilfe einer magischen Laterne den Teufel buchstäblich an die Wand. Mit dem Teufel tanzt auf diesem Bild ein schwarzer Mensch, der allen gängigen Kolonialklischees der damaligen Zeit entspricht. Offenbar fand sich in der Nekes-Sammlung kein unverfängliches Motiv im Transparentbildfundus. Im Begleitheft wird auf den rassistischen Charakter der Darstellung hingewiesen, in der Ausstellung vor der Eröffnung nicht.

Auch die Malerei folgte der Sehnsucht nach dem bewegten Bild, sei es in einer wunderbar vertrackten Augentäuscherei des späteren Filmpioniers Georges Méliès oder in den flüchtigen Augenblicken des Impressionismus. So revolutionär das flirrende Licht auf den Leinwänden der Maler war, so wenig waren es eben „Bilder einer fließenden Welt“, wie sie auf japanischen Holzschnitten beschworen wurden. Am weitesten trieben die Pointillisten die Suche nach dem Fließen in der getrockneten Farbe voran, indem sie unzählige, sich aneinander stoßende Farbpunkte auf die Leinwand setzten. Allerdings erwies sich ihre Hoffnung, die einzelnen Punkte würden sich im menschlichen Auge mischen und so in Bewegung bleiben, dann doch als trügerisch.

Gegenüber den optischen Geräten sind die Gemälde freilich insofern im Vorteil, als sie ihre Vorzüge nicht verstecken. Der Cinematograph der Gebrüder Lumière mag eine wahre Wunderkiste sein – die Magie seiner laufenden Bilder sieht man ihm nicht an.


„Sensation des Sehens. Die Sammlung Werner Nekes. Vol. 2 Impressionismus“, Wallraf-Richartz-Museum und Fondation Corboud, Obenmarspforten, Köln, Di.-So. 10-18 Uhr, bis 27. Oktober 2024. Das Begleitheft zur Ausstellung kostet zwei Euro.

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