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Kölner Opern-ErstaufführungWunderbare Musik, aber schwache Handlung

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Szene aus Béatrice et Bénédict 

Köln – Am Schluss wird eifrig das Bügeleisen geschwenkt. Signalisiert dies die hausfrauliche Zähmung der stacheligen Béatrice nach ihrem Entschluss, Bénédict doch zu heiraten? Keineswegs, denn der bügelt fleißig mit.

Ein auf Gleichberechtigung beruhendes Familienmodell etabliert sich da – insofern bemerkenswert, als man die  soziale Wirklichkeit ausgerechnet in Sizilien nach dem Zweiten Weltkrieg  anders einzuschätzen geneigt ist.

Gegen die patriarchialische Gesellschaftsmoral

Freilich: In diesen Umbruchsjahren auf dem Weg  in die Moderne mag auch im europäischen Süden einiges ins Rutschen gekommen sein. Dafür steht hier ein Paar, das provokativ wider den Stachel einer erdrückenden patriarchalischen Gesellschafts- und Geschlechtermoral löckt.

In Sizilien um 1950 also und  nicht  etwa   in der Renaissance (wie im Libretto des Komponisten und in seiner Shakespeare-Vorlage) situieren die Regisseurin Jean Renshaw und ihr Bühnen- und Kostümbildner Christof Cremer  auch ausweislich von Kleidern und Accessoires (Kinderwagen mit plärrenden Tittis) Berlioz’ „Béatrice et Bénédict“ im Saal 2 des Deutzer Staatenhauses.

Am Samstag lief die Kölner Erstaufführung   dieser Berlioz-Oper, die immer im Schatten ihrer Schwesterwerke „Benvenuto Cellini“ und „Les Troyens“ gestanden hat.

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Die ansteigende Bühne besteht aus  flachgelegten Häuserfassaden, die hinten wie in einer Quarterpipe hochgezogen werden und halbrealistisch  das  Ambiente eines mediterranen Dorfplatzes erzeugen.

Darauf begibt sich die Handlung um   Béatrice und Bénédict, die ihre  Liebe lange Zeit   hinter hasserfüllter  Anmache verstecken (mit einer Strindberg’schen Beziehungshölle hat das nichts zu tun, nach dem Happy End mag diese sich dann doch noch auftun).

Renshaw und Cremer haben die Bühnenvorgänge mit größter Sorgfalt und Detailintensität ausgestattet. Das betrifft das Kammerspiel der beiden Liebespaare, in denen die Personenführung und Gestik präzise und kleinteilig auf die Impulse der Musik antwortet und es keinerlei uninspiriertes Herumgestehe an der Rampe gibt.

Stückbrief

Musikalische Leitung: François-Xavier-RothInszenierung: Jean RenshawBühne und Kostüme: Christof CremerLicht: Andreas GrüterDarsteller: Luke Stoker, Sébastien Dutrieux, Jenny Daviet, Isabelle Druet, Charlotte Wulf/Thomas Dolié/Joel Soichez, Paul Appleby, Ivan Thirion, Lotte VerstaenDauer: 2 1/2 Stunden inklusive PauseWeitere Aufführungen: 5., 8., 11., 13., 15. Mai

Und es betrifft den die Dorfgemeinschaft vorstellenden Chor,  dessen Mitglieder  wie auf einem Brueghel’schen Wimmelbild   mit je eigenen köstlichen Geschichten ausgestattet werden.

Überhaupt ist der pantomimische Anteil hoch – bis hin zu der Episode um den Sänger, den man eines dringenden Bedürfnisses halber genervt ins Off entlässt. Und die  Massenführung über die Diagonale der Bühne  verrät Renshaws Vergangenheit als  Choreografin.

Mut der Verzweiflung

Freilich steckt in diesem hochprofessionellen Regieaktionismus auch der Mut der Verzweiflung, denn die Inszenierung muss gegen   das stückeigene Manko fehlender  szenischer Wirksamkeit  und typischer Komödieneffekte  ankämpfen.

Zweifellos: Berlioz liefert weithin eine wunderbare, klangauratische, von großem Atem und schwebendem Esprit erfüllte Musik (herrlich etwa Héros und Ursulas Notturno vor der Pause). Und François-Xavier Roth am Pult des rechts unterhalb der Bühne platzierten Gürzenich-Orchesters lässt diesen Zauber  kongenial lebendig  werden.

Aber die Aneinanderreihung von schönen Arien und Duetten macht allein  noch keine gute Oper. Zudem  stellt sich Berlioz hier als Librettist in eigener Sache  selbst ein Bein: Er dünnt  die prall-obszöne Drastik von  „Viel Lärm um nichts“ vornehm aus und führt  eine Nebenhandlung um einen absonderlichen Dorfkapellmeister namens Somarone ein, die freilich mit dem Hauptstrang kaum verbunden wird.

Die gute Regie vermag das Werk nicht zu retten

Renshaw  fährt im Sinne einer Vitalitätsspritze diese Farce stark hoch, ohne damit doch das Ganze  retten zu können.  „Verlorene Liebesmüh“ möchte  man da einen weiteren  Shakespeare-Titel zitieren.  Vielleicht entfaltet das Werk seine stärkste Wirkung in einer guten konzertanten Interpretation.

Unglücklicherweise hatte zudem Miljenko Turk als Claudio coronabedingt absagen müssen – sein dreifacher Ersatz durch stummes Spiel  auf der Bühne sowie Rezitation und Gesang vom Rand her (ausgezeichnet der Einspringer-Bariton Thomas Dolié) konnte umständehalber nur eine karge Notlösung sein.

Gesungen wird in dieser Produktion auch sonst sehr ordentlich: Gegen einen würdig-samtenen Luke Stoker als  Don Pedro ist genauso wenig einzuwenden wie einen mit  tenoraler Fülle und Geschmeidigkeit gesegneten Paul Appleby als Bénédict und einen gekonnt das verschrobene Genie gebenden Ivan Thirion als Somarone.

Gut tat man daran, die Frauenpartien mit Muttersprachlerinnen zu besetzen – deutsche Sängerinnen bekämen das  geforderte französische Flair  nicht so hin wie Isabelle Druet als Béatrice, Jenny Daviet als Héro und Lotte Verstaen als Ursule.

Herzlicher Beifall

Da mögen die Stimmen nicht in den absoluten vokalen Glückshimmel wachsen, aber die feine Ironie, mit der Daviet gegenüber ihrer Rolle aufwartet  (der muss man wohl auch das üppige Vibrato zuschlagen), überzeugt genauso wie    die genaue emotionale Doppelbödigkeit, mit der  Druet  ihre Partie ausstattet.  Der stark geforderte Chor, den Somarone sogar zu einer quasi-händel’schen Fuge anhält, lässt ebenfalls keine Wünsche offen. Herzlicher Beifall für alle Beteiligten.