Kölner Stadtbibliothek„Unsere wichtigste Ressource ist das Wissen“

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Hannelore Vogt beim Redaktionsbesuch im Neven DuMont Haus

Hannelore Vogt beim Redaktionsbesuch im Neven DuMont Haus

Köln – Frau Vogt, herzlichen Glückwunsch zur Karl-Preusker-Medaille. Was bedeutet Ihnen die Auszeichnung?

Hannelore Vogt: Ich freue mich unglaublich und bin überwältigt vom wertschätzenden Feedback hier in Köln und aus aller Welt. Ich war völlig überrascht, als ich die Nachricht bekam, die Medaille ist einer der renommiertesten Preise im Bibliotheksbereich. Ich habe die Auszeichnung für besondere Innovationskraft bekommen – das ist jedoch nicht nur eine Einzelleistung, sondern auch eine Würdigung für die großartige Arbeit des Teams der Kölner Stadtbibliothek. Außerdem ist es ein Preis, der nicht rein branchenspezifisch allein an Bibliothekare vergeben wird.

An wen zum Beispiel?

2004 ging der Preis ebenfalls nach Köln, und zwar an Frauen, die sich gegen die Schließung von Schulbibliotheken ausgesprochen haben. Aber auch Prominente wie Horst Köhler und Ranga Yogeshwar wurden mit der Preusker-Medaille ausgezeichnet.

Warum Yogeshwar?

Sein Großvater war eine Kapazität in Indien, sozusagen der Gandhi des dortigen Bibliothekswesens. Und auch sein Enkel ist der Institution Bibliothek sehr zugewandt und Botschafter bei unserem MINT-Festival, das während der Herbstferien mit über 100 Programmen Zugang zu Naturwissenschaften und Technik bietet.

Es ist nicht das erste Mal, dass Sie einen Preis erhalten. In Ihrer Zeit in Würzburg erhielten Sie die Auszeichnung „Bibliothek des Jahres“, das hat sich dann in Köln 2015 wiederholt. Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis?

Ich denke, das liegt in meiner Leidenschaft für die Sache begründet. Ich gehe meine Aufgaben mit großem Engagement an und liebe es, mit den unterschiedlichsten Menschen zu arbeiten. Was gibt es denn Spannenderes? Ich glaube, dass sich diese Begeisterung auch auf andere überträgt. Außerdem sehe ich eine hohe gesellschaftliche Relevanz und einen tiefen Sinn in meiner Arbeit. Von der klassischen Leseförderung bis hin zu digitalen Angeboten, also von den Aktivitäten wie das „Junge Buch für die Stadt“ bis zu 3-D-Druck und Robotics gehört alles dazu.

Mitunter besitzen Bibliotheken die Aura des Hermetischen. Wie ist Ihr Ansatz, was die Rolle Ihres Hauses im Stadtleben betrifft?

Die Stadtbibliothek ist ein offener, innovativer und partizipativer Ort mitten in der Stadtgesellschaft. Und im Mittelpunkt aller Überlegungen und Angebote steht immer der Mensch. Natürlich ist das Buch auch heute noch wichtig, aber die ganz spezifischen Bedürfnisse unserer Besucherinnen und Besucher sind relevant. Ich sehe unser Haus als einen zutiefst demokratischen Ort, den jeder besuchen kann und der unterschiedlichste Lernzugänge bietet. Die Bibliothek gehört den Bürgerinnen und Bürgern, deshalb sollen sie in der Bibliothek auch aktiv werden. Die Bibliothek bietet die Plattform für jedermann, auf der man Neues entdeckt, sich vernetzt und sein Wissen austauscht. Ein Beispiel dafür ist unser 3-D-Drucker, damals der erste öffentlich zugängliche in Köln. Viele Menschen kamen, um sich das anzuschauen, und viele wussten mehr als wir. So kam es zur Idee der Junior-Experten, also Schüler als Lehrende heranzuziehen. Das gemeinsame Lernen und die Weitergabe von Wissen sind uns ein wichtiges Anliegen.

Ihre Aktivitäten sind vielfältig. Wie viel macht das klassische Geschäft aus, also das Buch?

Medien auswählen und bereitstellen ist unsere Basisaufgabe, die wir noch stärker professionalisiert haben. So kann ich für jedes Buch sagen, wie stark und von welcher gesellschaftlichen Gruppe es genutzt wird, und ein nachfrageorientiertes Angebot bereitstellen. Aber auch bei der E-Book-Ausleihe waren wir Vorreiter in Deutschland und werden demnächst auch ein Streamingangebot für Filme bereitstellen. Wir haben Routinetätigkeiten automatisiert, um Kapazitäten für die kulturelle und digitale Bildung und für medienpädagogische Programme freizusetzen. Denn im digitalen Zeitalter müssen wir uns auch verstärkt um die digitale Vermittlung kümmern. Ich würde es so sagen: Unsere Kerngeschäft ist Bildung, unsere wichtigste Ressource ist das Wissen. Und da ist mein Lieblingsspruch: You have to change to stay the same.

Welche Chancen haben Sie als Bibliothek, Menschen an Bildung heranzuführen, die dieser eher fremd gegenüberstehen?

Hier beginnen wir sehr früh – wir starten bereits bei den Krabbelkindern, den Bücherbabys, und bieten dann modular aufeinander aufbauende Programme für alle Altersgruppe an. Hier arbeiten wir gerne mit Kitas, Kindergärten und Schulen zusammen, damit wir möglichst alle Kinder eines Jahrgangs erreichen. Deshalb ist es mir sehr wichtig, dass die Bibliotheksnutzung für Kinder und Jugendliche kostenfrei ist. Schon bei der Schulanmeldung bekommt jede Kölner Familie einen Gutschein für einen Bibliotheksausweis und im Laufe des ersten Schuljahres kommen die Grundschulen mit den Kindern in unsere Häuser. Alle Studien sind sich einig, wie wichtig und prägend die frühe Förderung für die Sprach- und Leseentwicklung ist. Lesen und Medienkompetenz sind Schlüsselqualifikationen für das Leben, und die Bibliothek ist ein Ort, der kreativen Zugang dazu bietet.

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Gibt es in dieser Hinsicht noch andere Projekte?

Wir werden im Spätsommer in Chorweiler mitten zwischen den Hochhäusern gemeinsam mit unserem Förderverein eine minibib eröffnen. Das sind hübsch gestaltete Bücherbüdchen, die niederschwelligen Zugang zu Programm- und Medienangeboten bieten. Freiwillige Helfer stehen auch zu ungewöhnlichen Zeiten zur Verfügung und bieten ein kleines Grundangebot an Medien, aber auch Hausaufgabenhilfe oder Unterstützung bei Bewerbungen an. Minibibs sind erste Anlaufstationen, eine Vorstufe zu den elf Stadtteilbibliotheken und dem Bücherbus. Eine weitere minibib gibt es im ehemaligen Wasserturm in Kalk.

Es geht also darum, Neugier zu wecken, zum Beispiel bei Jugendlichen, die sonst auf dem Spielplatz herumhängen würden.

Genau, wir wollen die Hemmschwelle senken, damit wir möglichst viele erreichen und zum eigenen Tun anregen. Der spielerische Wissenserwerb durch Ausprobieren steht im Vordergrund – Tüfteln statt Büffeln. Neu konzipierte Veranstaltungsreihen wie MINT-Vorlesepaten mit kleinen naturwissenschaftlichen Experimenten, Virtual-Reality-Kurse oder „Science Slams“ gehen weit über traditionelle Lernformate hinaus und nehmen auch die digitale Bildung in den Fokus.

Aber gelingt es tatsächlich, die sogenannten bildungsfernen Schichten anzusprechen?

Gehen Sie einmal nach Kalk! Dort haben wir die schönste Bibliothek Deutschlands, und da geht Ihnen wirklich das Herz auf. Dort sitzen junge Männer, die mit ihren Baseball-Caps nicht unbedingt dem Bild des klassischen Bibliotheksbesuchers entsprechen. Die lernen dort gemeinsam, nehmen an Programmen teil oder chillen einfach, genauso ist es in Mülheim, Nippes oder in der Zentralbibliothek.

Gibt es besondere Herausforderungen, die nun anstehen?

Was dringend ansteht, ist die Optimierung der Räumlichkeiten der Zentralbibliothek am Neumarkt. Die Sanierung bei laufendem Betrieb ist eine große Herausforderung für die kommenden Jahre. Wir werden unser Bestes tun – mit kreativen Methoden wie Sonderöffnungszeiten in den Abendstunden oder besonderen Medien- und Workshopangeboten.

Was wird sich konkret an der Architektur des Gebäudes ändern?

Zum Beispiel wird auf der vierten Etage eine Dachterrasse mit angegliedertem Cafébereich entstehen. Die Kinderbibliothek wird vom Untergeschoss in den ersten Stock ziehen: Kinder ans Licht! Sie bekommen dort viel mehr Fläche und Spielmöglichkeiten. Auch im Eingangsbereich wird eine Cafézone mit einem attraktiven Zeitschriften- und Zeitungsangebot entstehen. Die Aufenthaltsqualität wird entscheidend verbessert, so entstehen doppelt so viele Sitzplätze und Aktionsflächen als bisher – die Bibliothek wird noch stärker ein nichtkommerzieller Wohlfühlort im Herzen der Stadt.

Zur Person und zur Bibliothek 

Hannelore Vogt wurde 1958 im bayerischen Marktbreit geboren. Sie erhält in diesem Jahr die Karl-Preusker-Medaille des Dachverbands der Bibliotheksverbände. Seit 2008 leitet sie die Stadtbibliothek Köln, eines der größten Bibliothekssysteme in Deutschland. 2015 wurde ihr Haus als „Bibliothek des Jahres“ gewürdigt – eine Auszeichnung, die Vogt bereits als Direktorin der Stadtbücherei Würzburg gewonnen hatte.

Für das neue Projekt in Chorweiler, die minibib, suchen der Förderverein und die Stadtbibliothek ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die minibib ist ein Ort für Bücher und andere Medien, sie ist Veranstaltungsort und Treffpunkt für den Stadtteil. Wer sich für eine Mitarbeit interessiert, kann sich persönlich in der Stadtteilbibliothek Chorweiler melden oder eine Mail schreiben:

gies@stbib-koeln.de

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