Panikattacken und BurnoutKurt Krömer spricht auf der Lit.Cologne über Depressionen

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Kurt Krömer auf der Bühne in Köln.

Köln – Jahrelang war Kurt Krömer schwer depressiv. Irgendwann ging nichts mehr, und Krömer ließ sich behandeln. Antidepressiva, acht Wochen Klinik, Leben und Wahrnehmen und Grenzen erkennen neu lernen. Heute sagt er: Ich habe die Depression überwunden. Jetzt war Krömer mit seinem Buch bei der Lit.Cologne.

Outing bei „Chez Krömer”

Knapp zehn Minuten. So lange nimmt Kurt Krömer Anlauf. Nach fast zehn Minuten, Krömer hat sich grade Wasser aus dem kleinen Kühlschrank geholt und eine Zigarette angemacht, sagt er zu Torsten Sträter, der ihm gegenüber hinter der Glasscheibe sitzt: „Wir haben eine Sache gemeinsam. Wir haben beide schwere Depressionen gehabt.”

Wenn man diese Sendung „Chez Krömer” aus dem März 2021 heute schaut, dann meint man, das Anlaufnehmen sehen zu können. Kurt Krömer, der im bürgerlichen Leben Alexander Bojcan heißt, war jahrelang depressiv und im Herbst 2020 acht Wochen lang in einer Klinik. Heute sagt er: Diese Sendung war mein Outing. Und heute sagt er auch: Das Anlaufnehmen hat sich gelohnt, es hat etwas sehr Befreiendes, über die Depression zu sprechen. In Köln hat er am Montagabend genau das gemacht – im Rahmen der Lit.Cologne.

Ein heiterer Abend über schwere Depressionen

Darüber zu sprechen, ist dann auch kein Problem: Krömer und sein langjähriger Freund Jakob Hein (Psychiater und Autor) kündigen einen „heiteren Abend über schwere Depressionen” in den ausverkauften Balloni-Hallen in Ehrenfeld an – und das wird es dann auch, immer wieder wird gelacht.

Das Vorlesen, sagt Krömer, sei schon problematischer. Köln ist darum auch die erste und letzte Lesung. Beim Lesen kämen alle gefühlten Gefühle direkt wieder hoch – auch beim Einlesen des Hörbuchs ging ihm das so: Immer wieder musste er weinen. Krömers erster Impuls damals war: Lasst uns das Weinen doch drin lassen in der Aufnahme. „Aber dann hätte man ja nichts verstanden”, erzählt er in Köln. Und wischt sich über die Stirn, nachdem er aus dem ersten Kapitel vorgelesen hat. 

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Dieses Buch, das Krömer geschrieben und nun mit nach Köln gebracht hat, heißt „Du darfst nicht alles glauben, was du denkst”. Es ist, so Krömer, ausdrücklich kein Ratgeber, er sei schließlich kein Psychologe, kein Therapeut, er habe einfach seine Geschichte erzählt, und das Ganze sei nun eher so etwas wie lesbare Gruppentherapie. Indem er seine Geschichte erzählt, könnten sich womöglich Menschen darin erkennen. Symptome vielleicht, Gedankengänge vielleicht, Handlungsweisen vielleicht. Womöglich sogar Lösungsansätze.

„Man darf nie klagen”

Krömer hat vier Kinder, für drei ist allein er zuständig, er hat ein großes Haus mit großem Garten, im Job läuft es rund, finanzielle Sorgen hat er nicht. Wenn ihn früher jemand fragte, wie es ihm geht, sagte er immer: Gut, und dir? „Ich dachte: Man darf nie klagen, man muss immer sagen, dass es einem gut geht, anderen geht es doch schließlich viel schlechter”, sagt Krömer in Köln. In Wahrheit ging es ihm sehr lange nicht gut. Krömer war alkoholabhängig, seit mittlerweile elf Jahren ist er trocken.

Heute weiß er, dass das Trinken ein verzweifelter Versuch war, mit der „schwarzen, schweren Hexe, die nach Kacke stinkt”, wie er die Depression nennt, klarzukommen, sie wegzuschieben. Funktioniert hat es nicht. Andere Werkzeuge stehen ihm damals nicht zur Verfügung. Also geht die Psyche eigene Wege.

Panikattacken, Burnout, Erektionsprobleme

Krömer bekommt Panikattacken, ein Burnout, Beziehungen gehen in die Brüche, er hat Erektionsprobleme und arbeitet und arbeitet bis über die Erschöpfungsgrenze hinweg, weil er sie gar nicht spürt. Er hat wahnsinnige Angst, dass die Leute erfahren, dass es ihm nicht gut geht, will nicht, dass sie ihn als schwach wahrnehmen, er will einfach nur funktionieren.

Heute hasst Kurt Krömer das Wort funktionieren – weil das nach Roboter klingt und Maschine und weil Menschen keine Roboter und Maschinen sind.

Und heute ist er ein leidenschaftlicher Verfechter des Hose-Runterlassens, davon, wirklich ehrlich miteinander zu sein und zu sprechen. „Wenn du ein Problem hast, hast du ein Problem, es geht nicht ums Aufwiegen oder ums Vergleichen.”

Emotionale Leere in Kurt Krömers Kopf

Suizidgedanken hat er nicht damals, aber über Krömers Kopf hängt permanent eine schwarze Wolke, und da ist diese emotionale Leere. Im Buch beschreibt Krömer das so: „Der Freund oder die Freundin sagt zu dir ,Ich liebe dich’, und du merkst, das kommt gar nicht bei dir an. Für dich ist das einfach ein Spruch, als würde jemand sagen, ,Guck mal, da liegt ein Stück Holz.“

Im Juli 2020, Krömer geht häufig zu einer Familientherapeutin, weil es zu Hause nicht „funktioniert“, kristallisiert sich die Diagnose heraus: Depression. Seine frühere Therapeutin sorgt für einen Termin in einer Klinik. Krömer hat Angst davor, mit Dingen konfrontiert zu werden, von denen er gar nichts weiß oder die er sorgfältig verdrängt hat.

Und er setzt sich selbst unter Druck: Er will in der Klinik alles vollständig erzählen, darf nichts Wichtiges vergessen, er muss die Zeit optimal nutzen, um den Aufenthalt nicht verlängern zu müssen, er hat Angst davor, dass es wehtun könnte und weiß, dass es weh tun wird.

Psychiatrische Kliniken mit Image-Problem

Wie ihm gehe es vielen Menschen, sagt Hein auf der Bühne in Köln. Vor 50 Jahren waren psychiatrische Kliniken keine guten Orte, und heute haben sie häufig noch immer ein Image-Problem. „Filme wie ,Einer flog übers Kuckucksnest‘ haben sich ins kollektive Unterbewusstsein gefräst”, mutmaßt Hein.

Krömer hat dauerhaft einen riesigen Berg von Problemen im Kopf. „Ich dachte, ich muss 100 Probleme an einem Tag lösen“, sagt er. Mit der Zeit lernt er mehr Nachsicht mit sich, Achtsamkeit für die eigene Energie. „Vor meinem Haus lag gefühlt ein riesiger Berg Kohle. Ich habe auf die Kohle gestarrt und mich immer wieder gefragt, wie ich diesen Berg heute auf einmal in den Keller bekomme“, erzählt er. Heute weiß Krömer: „Jeden Tag ein Eimerchen, und dann wird der Berg kleiner.“ 

Endlich nicht mehr lügen müssen

Acht Wochen verbringt Krömer in dieser Tagesklinik. Das Schönste, schreibt er in seinem Buch, sei, dass man sich nicht erklären muss dort: „Endlich nicht mehr lügen müssen, nicht mehr ,alles gut' sagen und einfach Verständnis erfahren.“

Die Therapien haben geholfen, aber auch die Antidepressiva, die Krömer heute noch „mit großer Leidenschaft nimmt”, wie er in Köln auf der Bühne erzählt. Beim Annehmen unterstützt hat ihn dieses, sicher vereinfachte, Bild: Bei gesunden Menschen liefert der DHL-Bote eine Ladung des „Glückshormons“ Serotonin ab, die Tür geht auf, das Serotonin kommt an, wo es soll und erledigt seinen Job – „bei depressiven Menschen ist die Tür zu. Und die Tabletten lassen diese Tür aufgehen.”

Hilfestellen in psychischen Krisen

Telefonseelsorge: Anonyme Beratung (persönlich, am Telefon, im Chat oder per Mail) 24 Stunden am Tag, kostenlos aus ganz Deutschland. Per Telefon 0800-1110111 oder 0800-1110222 oder 116123. www.telefonseelsorge.de

Das SeeleFon ist eine Beratung für psychisch Erkrankte und Angehörige vom Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker. Unter der Rufnummer 0228-71002424 in der Zeit von Montag bis Donnerstag 10:00 bis 12:00 Uhr und 14:00 bis 20:00 Uhr, Mittwoch bis 21:00 Uhr und am Freitag von 10:00 bis 12.00 Uhr und 14:00 bis 18:00 Uhr. www.bapk.de

Nummer gegen Kummer ist ein kostenfreies, telefonisches Beratungsangebot für Kinder, Jugendliche und Eltern. Kinder- und Jugendtelefon 116 111,  Elterntelefon 0800-1110550. www.nummergegenkummer.de

Kliniken in Ihrer Nähe finden Sie über die Suchfunktion der Deutschen Depressionshilfe.

Weitere Kontakte hat die Eckhard Busch Stiftung für Sie hier gesammelt.

Und dann wird es ganz langsam besser, die negativen Gedanken werden weniger, Krömer beendet die Therapie, wird mit Geschenken von der Gruppe verabschiedet. Und findet heute, jeder sollte mal dieses Programm in der Klinik durchlaufen. Lernen, sich um sich selbst zu kümmern und um die seelische Gesundheit, „Muster erkennen und durchbrechen. Grenzen erkennen. Achtsam sich selbst gegenüber sein.”

Seine Depression hat er überwunden, sagt Kurt Krömer. Wenn sie eines Tages wiederkommt, weiß er, was er tun muss – und dass es etwas gibt, das er tun kann.

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