Blog zur Kölner lit.Cologne71.000 Besucher trotz Corona auf dem Kölner Lesefestival

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Sven Regener

Sven Regener

Köln – 2020 musste die lit.Cologne wegen Corona ausfallen. Im Frühjahr 2021 wurde sie digital abgehalten. 2022 findet sie nun wieder live statt – mit 180 Veranstaltungen unter 2G-Bedingungen. Wir begleiten das Literaturfestival vom 15. bis zum 26. März in unserem Newsblog.

  • Samstag, 26. März

Frank Schätzing und Peter Wohlleben gegen die Klimaproblembären

Man hätte gern gewusst, wie Friederike Otto die Welt retten würde. Leider musste die renommierte Physikerin und Klimaforscherin ihren Auftritt im Tanzbrunnen krankheitsbedingt absagen. Also bestritten der Bestseller-Autor Frank Schätzing, der sein Herzensanliegen vor einem Jahr in das Sachbuch „Was, wenn wir einfach die Welt retten?“ gegossen hat, und Förster Peter Wohlleben die finale Veranstaltung der lit.Cologne zu zweit. Ein Schlussakkord in Dur: Das war die unüberhörbare Absicht des Klima-Abends, auch wenn zur Weltenlage eher ein donnerndes Moll passen würde.

Schätzing, als Moderator und mündlicher Erzähler ebenso souverän und unterhaltsam wie als Autor, führte durch den Abend. Alle Menschen 24 Stunden lang in die Natur schicken: So lautete Wohllebens Antwort auf die fiktive Einstiegsfrage des Thriller-Königs, was er tun würde, wenn er als Weltherrscher für einen Tag lang die Macht hätte, das große Rad fürs Klima zu drehen. Jeder Einzelne kann und muss etwas tun: Diese Botschaft wurde über den Abend immer wieder neu variiert. Wohlleben wies auf die Widersprüche in Sachen Selbst- und Fremdwahrnehmung der reichen Industrienationen und Klimavernichter hin: Es sei wohlfeil, die Rodung von Regenwald in Brasilien zu verurteilen, wenn der letzte deutsche Quadratmeter Urwald längst in Ackerfläche umgewandelt sei.

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Frank Schätzing (rechts) und Peter Wohlleben

Dass Tesla-Erfinder Elon Musk unlängst 100 Millionen Dollar Preisgeld für die Entwicklung einer Technik ausgelobt habe, die Kohlendioxid aus der Luft hole, findet der in der Eifel lebende Autor („Das geheime Leben der Bäume“) grotesk: Bäume seien schließlich schon lang erfunden.

Schätzing berichtete vom wachsenden Verantwortungsbewusstsein großer Klima-Problembären wie der Stahlindustrie und zeichnete Köln im Jahr 2050: idealerweise eine Stadt ohne Individualverkehr, aber mit viel Grün, weiß reflektierendem Straßenasphalt und Häusern, die über ihren Anstrich Solarenergie aufnehmen. Zwei glänzende Erzähler, ein informativer Abend, lediglich der eine oder andere Appell an die freiwillige Solidarität wirkte unfreiwillig naiv: Es werden deutlich radikalere Schritte nötig sein als ein wenig Fleischverzicht oder ein Aufkleber am Briefkasten, um unnötige Papier-Reklame zu verhindern. Jüngere Generationen, deren lebenswerte Zukunft alles andere als sicher ist, können zu recht größere Anstrengungen verlangen. Auch von jedem Einzelnen.

  • Samstag, 26. März

71.000 Besucher trotz Corona auf der lit.Cologne

Die 22. Ausgabe der lit.Cologne zählte nach Angaben der Veranstalter rund 71.000 Besucherinnen und Besucher bei den insgesamt 156 Veranstaltungen. Dies entspreche einer Auslastung von 89 Prozent. Das Kölner Literaturfestival fand unter Pandemiebedingungen statt: Es galt als Zugangskontrolle die 2G+-Regel, in einigen Spielorten konnten zudem aufgrund der Coronaschutzverordnung weniger Plätze als üblich vergeben werden. Rainer Osnowski, Leiter der lit.Cologne, zeigte sich sehr zufrieden mit der Resonanz: „Wir sind zurück! Es ist großartig, mit derartig großem Zuspruch die lit.Cologne live und in Präsenz verwirklicht zu haben. Wir danken insofern umso deutlicher in diesem Jahr den in allen Veranstaltungen so überaus aufmerksamen und präsenten Besucherinnen und Besuchern. Besser hätte sich die Rückkehr ins Live-Geschäft nicht anfühlen können.“ Im nächsten Jahr solle die lit.Cologne vom 1. März bis zum 11. März stattfinden, hieß es.

  • Donnerstag, 24. März

Als Sven Regener im Arschloch Trompete spielte

Ein Paradies muss Berlin in den 1980er Jahren gewesen sein, glaubt man Sven Regener. Zumindest für junge Künstler und andere selbsternannte Taugenichtse: „Egal was man machte, es war erstmal okay.“ Also dachte sich der Trompeter Regener: „Wenn man mit so einem Scheiß hier durchkommt, mach ich das auch.“ Der jungen Amerikanerin Danielle de Picciotto ging es nicht anders, als sie 1987 die Mauerinsel besuchte, eigentlich nur, um eine Freundin zu besuchen. Zur Vorbereitung hatte sie sich Wim Wenders „Der Himmel über Berlin“ angeschaut, und „jetzt waren da alle, die in dem Film aufgetreten sind in diesem Loft“. Auch de Picciotto: für 15 Mark Monatsmiete zog sie in die Künstler-WG, in die Kofferablage über dem Klo.

Seit 35 Jahren oder länger wirken sowohl der Element-of-Crime-Sänger wie die Loveparade-Miterfinderin in der Stadt, sie haben, so Regener, zwei Millionen gemeinsame Bekannte. Und doch begegnen sie sich an diesem Donnerstagabend auf der lit.Cologne zum ersten Mal persönlich, was Moderator Thomas Böhme als kleine Sensation ankündigte.

Was folgte war immerhin sensationell unterhaltsam. Ob de Picciotto von ihrer Frisörinnenfreundin erzählte, der Subkulturgrößen wie Blixa Bargeld und Nick Cave vertrauten, weil sie die Kunst der „Unfrisur“ beherrschte: Haare, die aussahen, als wären sie mit der Häckselmaschine geschnitten, aber eben perfekt. Oder Regener alte Songtitel – „Der U-Bahnhof ist schon wieder 100 Meter weiter weg“ – und sagenhafte Sätze aus seinem Gedächtnis kramte: „Wir spielen in zwei Stunden mit den Toten Piloten im Arschloch.“

Wobei man wissen muss, dass letzteres der Name einer Baugrube an der Manteuffelstraße war, die ab und an als ruinöse Open-Air-Bühne herhalten musste, und ersteres der Name einer Band, deren Sänger Dr. Motte war, mit dem wiederum de Picciotto zusammenlebte.

So eine Anekdotenschau über Berlins Geniale Dilletanten – der Schreibfehler war selbstredend Absicht – könnte auch schnell ins Onkelige abdriften. Doch dafür erweisen sich die beiden Szenegänger viel zu reflektiert und selbstkritisch. Regener hat diese Jahre in seinem neuen Roman „Glitterschnitter“ verarbeitet, de Picciotto in ihrer Graphic Novel „Die heitere Kunst der Rebellion“. Eine softe Stadt, sagt sie, sei Berlin damals gewesen, in der man auch als Frau nie Angst haben musste. Und überhaupt habe sie hier viele tolle, unerschrockene Frauen getroffen: Gudrun Gut, mit der sie später den Ocean Club betrieb oder Elke „Käthe“ Kruse von der Avantgarde-Band Die tödliche Doris.

Aber das sorglos-kreative Leben – „Alles Lustige hat man nachts erlebt, tagsüber hat man sich davon erholt“ –, so Regener, schloss auch eine erschreckende Empathielosigkeit mit ein, eine Kälte gegen die Bewohner der kriegsgeschockten Stadt. Für die einen war die Mauer die willkommene zweite Grenze zum leistungsorientierten Westen, für die anderen ein tiefer Riss durch ihr Leben.

Als Berlins Schutt, Asche und Heroin-Jahre endgültig vorbei waren, stellte de Picciotto zusammen mit Dr. Motte die erste Loveparade auf die Beine: „Wir wollten der Berliner Melancholie Freude entgegensetzen, waren extrem naiv und idealistisch.“ Erst kam man sich doof vor, doch dann platzte der Knoten, Hausfrauen ließen ihre Einkäufe stehen und tanzten mit den Freaks auf der Straße. Im nächsten Jahr fiel die Mauer. (Christian Bos)

  • Mittwoch, 23. März

Monika Helfer und Michael Köhlmeier: Ein Paar schreibt auch seine Bücher im Gleichtakt

„Wenn ich ein Buch lese, bin ich Zeuge eines Menschen“: Das sagt der Kater Matou in Michael Köhlmeiers neuem Roman. Die Zuhörer im WDR-Funkhaus wurden gleich Zeugen von zwei Büchern. Mit „Matou“ kam auch „Löwenherz“ von Monika Helfer auf die Bühne. Pointe des Abends, den Denis Scheck munter moderierte: Nicht nur die Bücher, auch Köhlmeier und Helfers sind ein Paar, und das schon seit nahezu 40 Jahren. Zwei Schreibhandwerker, die sich als verwandt in dem sehen, was sie tun. Er repariert ihre Zeichensetzung und schreibt gargantueske Romane, sie hat den Kolumnenblick und verfasst kurze Familiengeschichten.

Und lässt ihren Mann gleich mit auftreten in „Löwenherz“. Der Roman, der nach „Die Bagage“ (2020) und „Vati“ (2021) die Familientrilogie Monika Helfers abschließt, ist inniger Nachruf auf ihren Bruder Richard, einen stets passiven Zuschauer und „Schmähtandler“. Das ist einer mit guter Einbildungskraft, aber ohne Ehrgeiz. Seine eigene Geschichte geht nicht gut aus.  

Das ist in Köhlmeiers „Matou“ etwas anders. Dieser Homer der Katzen strolcht mit sieben Leben durch den Roman und hat, mit Rabelais„ mythischem Romanriesen „Gargantua“, das letzte Wort: „Zieh den Vorhang, die Komödie ist aus!“ Matou wächst im Schatten der Guillotine auf. Er lernt sprechen bei einem Revolutionär, das Lesen und Schreiben bringt ihm E.T.A. Hoffmann in Berlin bei. Auf der Katzeninsel Hydra spielt er einen Diktator, im Kongo verwandelt er sich in einen Leoparden. In Prag diskutiert er mit Kafkas gebildetem Affen Rotpeter über das moralische Gesetz Kants, in New York geht er mit Andy Warhol auf Partys.

Köhlmeier las den Anfang seines Katerromans und erklärte im Gespräch, was beim Erzählen mit einer Tierstimme passiert, warum der Kater Geschichte nur studieren, nicht erleben will und wie der Autor dazu gekommen ist, die Pfotenschrift seines Katers so riesenhaft auszuwalzen: um damit abends seine Frau zu beeindrucken.

Das Vergnügen am Geschichtenerfinden war Michael Köhlmeier, ebenso wie seiner Frau, auch bei seiner Zugabe anzumerken, als er das Kapitel über einen „privaten Privat-Besuch“ Konrad Adenauers bei Charles de Gaulle vorlas. Zwei alte Staatsmänner haben, so die Story, gemeinsam dicke Bohnen mit Speck gekocht und streitbare Gespräche geführt. Keine Frage, hier schlägt das Löwenherz geborener Erzähler. Und das war genau richtig für das Kölner Publikum, denn, so Köhlmeier, „was ist ein Zuhörer anderes als ein Zeuge“. (Michael Braun)

  • Montag, 21. März

Tobias Schlegl über sein sehr persönliches Buch "See.Not.Rettung"

Tobias Schlegl könnte ein angenehmes Leben als Moderator haben – es wäre vermutlich gemütlicher und auch besser bezahlt als sein Job als Notfallsanitäter.

Trotzdem entschied er sich  2016  gegen seine Moderatoren-Karriere. Er wollte etwas „wirklich Relevantes“ machen, sagte er einmal – und vermutlich war es auch dieser Impuls, der ihn an Bord der „Sea-Eye 4“ brachte. Über mehrere Wochen half er dort als Notfallsanitäter bei der Seenotrettung Geflüchteter vor der Küste Libyens. Und erzählt davon in seinem Buch „See.Not.Rettung“, dass er in der Kölner Kulturkirche vorstellte.

„Ich lasse da ganz schön die Hosen runter, ich bin da wirklich nicht der strahlende Held“, sagte Schlegl im Gespräch mit Moderator Joachim Frank. 

Und tatsächlich schreibt er sehr persönlich und nachdenklich, auch über Ängste und Fehler. Denn ursprünglich  sei sein Tagebuch von diesem Einsatz nicht zur Veröffentlichung gedacht gewesen, sondern er habe es geschrieben, um seine Erlebnisse zu verarbeiten.

Aber hoffentlich helfe es nun, noch mehr Menschen klar zu machen, wie wichtig die Seenotrettung ist. „Die Menschen haben es verdient, dass man über sie redet und dass man Ihnen hilft.“

Karten-Verlosung

Je 5 x 2 Karten für folgende Veranstaltungen  am 22. März verlosen wir unter allen Lesern und Leserinnen, die bis 14 Uhr am  Dienstag eine Mail mit dem Betreff „LitCologne“ und Angabe ihrer Wunsch-Veranstaltung im Betreff an Gewinner-koeln@dumont.de schicken. Für diese Veranstaltungen sind auch noch regulär Karten erhältlich. 

- Elke Heidenreich und Marion Karausche (18 Uhr, WDR Funkhaus, großer Sendesaal) - Hendrik Streeck und Yael Adler  (18 Uhr, Comedia) - Anne Gesthuysen  (19.30 Uhr, Oper Köln im StaatenHaus) - Can Dündar, Mohamed Anwarund Günter Wallraff  (21 Uhr, WDR Funkhaus, großer Sendesaal)

Gerade stehe zwangsläufig der Krieg in der Ukraine sehr im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Aber: „In anderen Ländern ist auch Krieg und diese Leute dürfen wir nicht vergessen.“

Beinahe täglich sterben Menschen auf dem Mittelmeer und da schaue Europa einfach weg. Das habe auch mit Rassismus zu tun, glaubt Tobias Schlegl: „Wenn es hellhäutige Menschen wären, würde das so nicht passieren.“

Die Tatenlosigkeit der Politik mache ihn fassungslos: „Die Menschen steigen in Boote aufgrund von Hunger, Not und Verzweiflung. Die meisten gehen davon aus, dass sie sterben werden. Und wir lassen es einfach geschehen.“

Es sind dramatische Momente, die Tobias Schlegl in seinem Buch beschreibt. Wie sich die „Sea-Eye 4“ zum Beispiel ein „ganz zynisches Katz- und Maus-Spiel“mit der libyschen Küstenwache liefert. Denn wenn die die Geflüchteten einsammelt, droht ihnen ein furchtbares Schicksal. Davon erzählen auch einige der Geretteten an Bord: „Folter, Vergewaltigung, Zwangsprostitution, Menschenhandelterror, Terror  und Krieg.“

Viele Frauen und Kinder sind unter den  mehr als 400 Menschen, die die „Sea-Eye 4“ schließlich nach quälender Suche in einen sicheren Hafen bringen kann.  

Aber es sind nicht nur dramatische, sondern auch glückliche Momente, die Tobias Schlegl auf dieser Reise erlebt. Die Szenen, die er aus dem Alltag an Bord schildert, sind bisweilen „eine Kombination aus Tragik und Komik“.

Tobias Schlegls Forderung an die Politik: „Wir brauchen eine staatliche Seenotrettung!“.  Und wenn man diese Aufgabe schon den Hilfsorganisationen wie „Sea-Eye“ überlasse, sollte man ihnen nicht auch noch unnötig das Leben schwer machen. (Kerstin Meier)

  • Montag, 21. März

Arno Steffen und Gerd Köster sind „tolerant gegen alles“

Eine lit.Cologne-Veranstaltung, die mit „Leck ens am Arsch“ beginnt, dürfte es in 22 Jahren auch noch nicht gegeben haben. Kölscher als der Abend mit Arno Steffen und Gerd Köster – Motto: „Für et Hätz un jäje d’r Kopp“ – dürfte es beim Literaturfestival jedenfalls noch nicht zugegangen sein. Und obwohl es viel tolle Musik gab auch dank der kongenialen Gitarristen Frank Hocker und Helmut Krumminga, so stand doch das Wort im Vordergrund, gesungen wie gesprochen. Mit feiner Feder und durchaus groben Worten sezieren die beiden Südstadtoriginale liebevoll und bissig den skurrilen Alltag, der sie umgibt. Man sei „tolerant gegen alles“, wie Steffen die Losung grinsend formulierte. Und die Südstadt als „kölscher Hotspot für Sozialdarwinismus“ hat so einiges zu bieten. Etwa, wenn es um die „Zweieinhalb Zentner, ziemlich früh Rentner“ geht, die zumindest solange in sich ruhen, bis die vietnamesische Gespielin, die er sich aus dem Katalog besorgt hat, das Handtuch schmeißt: „Bye, bye, Schmock, dein Hund liegt im Wok…“ Da ist von penetranten Mutanten und dem Ordnungsamt genauso die Rede wie dem Nachwuchs beim Domprobst, dem Karnevalsprinz als „Frohsinns-Zombie“, oder dem Jugendheld Juppi, der mit dem Velosolex nach London fährt, um sich Glitzerhosen zu kaufen. Von der brüllend blond gefärbten Blondine in Pelzmantel und Lederbotz („Die soh us wie Lindenthal“), die sich beim Thema „Falschkölsch“ allen Ernstes darüber streitet, ob es jedresse oder jedrisse heißen muss. „Jedrisse, Baby!“ Oder vom Schäng, der sich in der Pandemie einen Hund zulegt, um trotz Ausgangssperre weiter Skat kloppen zu können. Apropos Hund: die vorgelesenen O-Töne aus dem „Herz der Kölner“ zum Thema Hundehaufen sind herrlich, zeitlos und urkölsch. Da spricht der Mensch von der Straße: „Die Partei, die das in den Griff kriegt, die wähle ich.“ Wenn dann zum Finale noch „Sein lassen“ angestimmt wird und „Schnieke Prunz“, dann gibt es stehende Ovationen von den rund 800 Besuchern im ausverkauften Theater am Tanzbrunnen. Die Lit ist im Kölsch angekommen. (Stefan Worring)

Deniz Yücel nach lit.Cologne-Auftritt in der Kritik

Der Vorsitzende der Schriftstellervereinigung PEN-Zentrum Deutschland, Deniz Yücel, hat Rücktrittsaufforderungen anderer PEN-Mitglieder nach seinem Auftritt bei der Lit.Cologne abgelehnt. 

Es gehe in dem Streit um „ganz andere Dinge, aber das klären wir intern“, erklärte Yücel in einem Beitrag bei Twitter am Montag und verwies auf ein Zitat des deutschen Journalisten und Satirikers Kurt Tucholsky: „Stubenreine Dackel kann fast jeder züchten –, die Seele des Vereins ist der Knatsch.“ Lesen Sie hier die Hintergründe zu der Kontroverse.

  • Sonntag, 20. März

Cordula Stratmann und Bjarne Mädel im Theater am Tanzbrunnen

„Ich bin kein Schnürsenkel, darum kann und darf ich nicht über Schnürsenkel reden“, sagt Cordula Stratmann mit ernster Miene. Ein Satz, mit dem die Kölner Komikerin am Samstagabend im Tanzbrunnen das Übertreibungs-Potential mancher identitätspolitischer Debatte auf den Punkt bringt.

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Bjarne Mädel (l.) und Cordula Stratmann

Wer darf wen übersetzen oder spielen? Klimakrise, Coronakrise, Ukraine-Krise, Energie-Krise: „Wir leben in übertriebenen Zeiten“, stellen Stratmann und Schauspieler Bjarne Mädel fest. Weshalb das Das lit.Cologne-Dreamduo einen ganzen Abend zu dem Thema bestreitet, endlich wieder - nach zwei Jahren Corona-Pause.

Leider, so eine Erkenntnis des Abends, neige der Mensch dazu, sich in Krisen „übertrieben dumm“ anzustellen. „Warum fährt man mit Maske Fahrrad? Oder wenn man allein im Auto sitzt“, fragt Stratmann Bjarne Mädel, der darauf auch keine Antwort weiß, aber aus unterschiedlichen Passagen von Literatur zitiert, in dem die Dinge ausarten, Goethes „Die Leiden des jungen Werther“ natürlich oder die gruselige Körperpflege-Beschreibung in Bret Easton Ellis‘ „American Psycho“.

Wiehernder Amtsschimmel

Stratmann und Mädel zeigen Verkehrsschild-Ansammlungen aus der Behörden-Hölle, philosophieren über den wiehernden Amtsschimmel, auch die soziale Praxis des Grillens darf an diesem Abend nicht fehlen.

Am Ende des Auftritts, der wegen der großen Nachfrage gleich zweimal hintereinander stattfand, verabredeten die beiden mit ihrem Publikum Standing Ovations für einen extra übertriebenen Abgang. Bekommen hätten sie die allerdings auch so. (Sarah Brasack)

Der Rathenau-Mord und der Beginn des rechten Terrors in Deutschland

War es eine Zwangsläufigkeit, dass das Dritte Reich passieren musste? Diese Frage stellte sich der Autor Thomas Hüetlin und die Antwort ist ausführlich mit staunenswerten Details nachzulesen in seinem daraufhin entstandenen Buch: „Berlin, 24. Juni 1922. Der Rathenaumord und der Beginn des rechten Terrors“. Publizist Sebastian Haffner lieferte eine erste Spur, indem er darlegte, dass es nach dem Ersten Weltkrieg zwei große charismatische Figuren gegeben habe: Hitler und Rathenau und mit ihnen die Alternative zu unfassbarer Gemeinheit und Barbarei oder zu unfassbarer Kultiviertheit, für die Rathenau stand.

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Cem Özdemir (l.) mit Buchautor Thomas Hüetlin am Sonntag in der Mülheimer Stadthalle.

Hüetlin hat in seiner meisterhaften historischen Reportage erklärt, was alles gegen diesen Demokraten in einer aufgewühlten Zeit sprach: Das war vor allem dessen Erfüllungspolitik in Bezug auf den Versailler Friedensvertrag und die von ihm gewünschte Anbindung an den Westen. Dazu kam es nicht, Rathenau wurde von Tätern der rechtsterroristischen „Operation Consul“ ermordet. Zu schlimmer Letzt auch, weil er Jude war.

Die Koranschulen der Weimarer Zeit

Bei der lit.Cologne war Hüetlin nun Gast und referierte eindrucksvoll aus der Geschichte, las aus seinem Buch über die Gehirnwäschen der Kadettenanstalten, die er als Koranschulen der Weimarer Zeit klassifiziert. Die Dinge des Alltags seien daraufhin schnell entglitten – „und das Land ist an dieser Stelle falsch abgebogen“ – nach rechts, Hitler entgegen. Hüetlin sieht und zieht aber auch Parallelen zur Gegenwart, etwa dem Lübke-Mord, was an einem aufschlussreichen Vormittag in der Mülheimer Stadthalle erst recht funktionierte, weil Landwirtschaftsminister Cem Özdemir ebenfalls zu Gast ist, den auch schon Morddrohungen erreicht haben.

Sprung in die Gegenwart

Die Rolle des Verfassungsschutzes wird diskutiert – „ist die Rolle des einstigen Präsidenten Maaßen aufgeklärt?“, fragt Özedemir rhetorisch. Und natürlich auch die ukrainische Tragödie. Hüetlin hat sein Urteil gefällt: „Putin ist ein Faschist“, sein Feind sei die EU, weshalb er den Brexit unterstützt habe, zur Destabilisierung aber auch Donald Trump. Putins Einflussbereich solle von Wladiwostok nach Lissabon reichen. Özdemir sagt, die Politik habe nicht reagiert, obwohl es Zeichen genug gegeben habe: Tschetschenien, Georgien, die Annexion der Krim 2014, zuletzt Putins Einmischung in Syrien.“ Um Putins Einfluss auf den Export von Gas oder Weizen zu bremsen müsse die nächste Aufgabe sein, sich so aufzustellen, dass man wirtschaftlich unabhängig von autoritären Regimen werde. „Wir haben lange geschlafen“, sagt Özedemir, „nun zahlen wir und vor allem die Menschen in der Ukraine den Preis dafür“.

Der "Fliegende Holländer" gibt Hoffnung

Das alles zeige, sagt Thomas Hüetlin, dass jeder Einzelne mehr machen kann, wirtschaftlich und demokratisch. Özedemir beschließt die Veranstaltung mit einem Zitat des  „Fliegenden Holländer“: „Ohne Hoffnung, wie ich bin, geb‘ ich mich doch der Hoffnung hin.“ (Stephan Klemm)

  • Mittwoch, 16. März
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Joschka Fischer trat am Mittwochabend bei der lit.Cologne auf.

Joschka Fischer über den Krieg in der Ukraine

Joschka Fischer kennt Vladimir Putin noch aus seiner Zeit als deutscher Außenminister. Der ehemalige Spitzenpolitiker der Grünen stellte am Mittwochabend im Gespräch mit Louis Klamroth sein neues Buch "Zeitenbruch" in der ausverkauften Flora vor. Im Interview vor der Veranstaltung sprach er über den Krieg in der Ukraine, die Fehler des Westens in der Vergangenheit und seine Erwartungen an Nato und EU.

Zudem ist er überzeugt, dass der Klimawandel die Weltpolitik künftig zu einer Neuausrichtung zwingen wird.

Abdulrazak Gurnah über seine Literaturnobelpreis

Vor fünf Monaten erhielt Abdulkrazak Gurnah den Literaturnobelpreis. Ein Überraschungskandidat. Der in Sansibar geborene, im englischen Canterbury lebende Autor kann sich immer noch über die Auszeichnung freuen: Man weiß, dass viele der Menschen, die oder deren Arbeit man bewundert, auf dieser Liste stehen. Man weiß, dass man wegen der Qualität und der Leistung seiner Arbeit ausgewählt wurde, und es ist eine wunderbare Sache, wenn man das erfährt: Du bist jetzt Teil dieses Teams.“ 

Anschließend sprach Gurnah mit großem Ernst über die Folgen des Kolonialismus, vom unablässigen Strom der Geflüchteten bis zur fehlenden Auseinandersetzung des Westens mit den Konsequenzen des eigenen Handelns. 

  • Dienstag, 15. März

Fortuna Ehrenfeld philosophiert über Wein

Martin Bechler, bekannt als Kopf der Kölner Band Fortuna Ehrenfeld, und Sophia Fritz, Psychologie-Studentin und Autorin für die „Zeit“ und die „FAZ“, haben zusammen ein Buch über Wein geschrieben – „Kork“. „Dieses Buch ist der Weisheit letzter Stuss und eine Ode an die Önologie“, wirbt der Kanon-Verlag, in dem das Buch erscheint. Bechler freut sich im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ auf die Lesung am 23. März auf der lit.Cologne in der Comedia stattfindet.

„Da geht keiner nüchtern nach Hause, vor allem wir nicht. Auch Gummi ist dabei und es gibt einen eigenen Korkwein – selbstverständlich mit Schraubverschluss – und viel Musik.“

Orte für Buchliebhaber in Köln

Die lit.Cologne feiert ab dem 15. März in Köln wieder das geschriebene Wort. Fans und Bücherwürmer können sich auf zwölf Tage mit mehr als 150 Veranstaltungen wie Themenabende oder Lesungen mit internationalen und deutschsprachigen Autoren und Autorinnen freuen. Aber auch abseits von den Veranstaltungen findet man in Köln schöne Plätze rund ums Buch. Wir haben die schönsten Plätze gesammelt.

Solidaritätsveranstaltung für die Ukraine

Das Literaturfestival Lit.Cologne eröffnet um 19.30 Uhr mit einer Solidaritätsveranstaltung für die Ukraine. Mit dabei sind unter anderem der Schriftsteller Navid Kermani, der Journalist Deniz Yücel, die Pianistin Olga Scheps und der Schauspieler Ulrich Noethen.

Der Abend steht unter dem Motto „Nein zum Krieg!”, alle Einnahmen werden gespendet. Ein Interview mit Sasha Salzmann zu dem Abend lesen Sie hier (KStA PLUS).

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