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Machtmissbrauch beim FilmDer Fall Schweiger und die Folgen – Wie groß ist der Druck am Set wirklich?

Lesezeit 6 Minuten
Der Schauspieler Til Schweiger guckt in die Kamera.

Die Vorwürfe rund um den Dreh des Films „Manta, Manta – Zwoter Teil“, bei dem Til Schweiger Regie führte, haben die Branche in Aufruhr versetzt.

Die Vorwürfe gegen Til Schweiger haben die Filmbranche in Aufregung und ins Nachdenken versetzt. Wird sich etwas zum Besseren wenden?

Die Preisgala ist ein Pflichttermin. Bis zu 1800 Gäste werden erwartet – in jenem Kino, in dem auch die Berlinale ihre wichtigsten Premieren feiert. Beim Deutschen Filmpreis geht es keineswegs nur um Ruhm und Ehre. Filme wie der für gleich zwölf Lolas nominierte Oscarsieger „Im Westen nichts Neues“, Fatih Akins Gang-Film „Rheingold“, das packende Schuldrama „Das Lehrerzimmer“ und der im Iran spielende Frauenmörderthriller „Holy Spider“ konkurrieren um viel Preisgeld.

Vergeben werden an diesem Abend beinahe 3 Millionen Euro. Der Filmpreis ist der höchstdotierte deutsche Kulturpreis. Allein der Siegerfilm erhält eine halbe Million – zu verwenden für künftige Projekte. Es ist also durchaus zu empfehlen, sich auf dem roten Teppich blicken zu lassen.

Schweiger-Kumpel Jan Josef Liefers zum Beispiel hat zugesagt. Im heißen Corona-Sommer 2021 stieg er auf Mallorca mit Schweiger zur „Eisbecken-Challenge“ in den Pool, als der Erfolgsregisseur noch nicht als Problemfall in der Filmbranche galt und deutsche Medienprominenz gern in seiner Finca vorbeischaute (Schweiger hielt es rekordverdächtige 5:30 Minuten im Eiswasser aus). Nach der Aufregung um sein mutmaßliches Fehlverhalten bei Dreharbeiten soll sich Schweiger nun auch in sein Domizil auf der Mittelmeerinsel zurückgezogen haben.

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Die Vorfälle rund um „Manta, Manta – Zwoter Teil“ haben die Branche erst in Aufruhr und nun auch ins Nachdenken versetzt. Zuerst hatte der „Spiegel“ darüber berichtet. Es geht um Schweigers angebliche Aggressivität bis hin zu einem Faustschlag, mit dem er in alkoholisierten Zustand einen Mitarbeiter der Produktionsfirma Constantin traktiert haben soll.

Inzwischen hat Constantin-Chef Martin Moszkowicz angekündigt, dass eine unabhängige Kanzlei beauftragt worden sei, „die Fehler und Probleme bei dieser Produktion zu analysieren“. Die „Tätlichkeit“ Schweigers gegenüber einem Constantin-Mitarbeiter hat Moszkowicz bestätigt. Schweiger habe eine Abmahnung erhalten.

Längst geht das Thema über die Person Schweiger hinaus: Debattiert wird nun über Machtmissbrauch in der Unterhaltungsbranche und die strukturellen Probleme dahinter. Diese sind offenbar groß. Jedenfalls will kaum jemand offen darüber sprechen.

Tschirner für „faireres Filmsystem“

Zumindest Schauspielerin Nora Tschirner hat sich zu Wort gemeldet, zuletzt mit der wohl nicht nur an Constantin gerichteten Forderung: „Ihr könntet eure hohen Positionen in der Industrie nutzen, um mitzuhelfen, ein neues faireres Filmsystem mitzubauen.“ Tschirner stand bei den Schweiger-Filmen „Keinohrhasen“ und „Zweiohrküken“ vor der Kamera.

Constantin-Chef Moszkowicz hat in der „FAZ“ gesagt, die größten Missstände gebe es nicht bei den „Kinoproduktionen mit einem Budget im zweistelligen Bereich“ wie eben „Manta, Manta 2″, sondern bei Fernsehproduktionen. Die Herstellung eines TV-Krimis für 1,5 Millionen Euro beispielsweise sei „fast nicht darstellbar, ohne die Crew massiv in Anspruch zu nehmen“. In kaum mehr als 20 Tagen müsse ein Neunzigminüter in der Regel abgedreht werden.

Der Druck beim Drehen rührt daher, dass immer mehr Player auf dem Markt mitmischen. Der zu verteilende finanzielle Kuchen ist aber nicht mitgewachsen. Und da kommen die Streamingdienste ins Spiel, die auch die Qualitätsansprüche noch einmal in die Höhe geschraubt haben. In der Branche ist die Forderung laut geworden, weniger zu produzieren, dafür aber einzelnen Filmen mehr Geld zur Verfügung zu stellen.

Fragt man bei Filmförderern nach, heißt es, dass die Verbesserung der Arbeitsbedingungen schon lange Thema sei. Ebenso werde über Diversität und ökologisch nachhaltige Produktion diskutiert. Der Spagat zwischen ethisch-moralischen Ansprüchen und dem Eingriff in kreative Prozesse sei manchmal schwierig.

„Patriarchalische Macker“

Den nun auch von Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) generell geforderten Verhaltenskodex („Code of Conduct“) haben sich offenbar viele in der Branche schon verordnet, ohne dass sich deshalb die Situation grundsätzlich zum Besseren verändert hat. Roth kann sich vorstellen, künftige staatliche Förderungen an Arbeitszeit- und Arbeitsschutzregeln zu koppeln. Sie fand starke Worte: „Die Zeiten patriarchalischer Macker, die ihre Machtposition in übelster Form ausnutzen, sollten wirklich vorbei sein. Auch wenn das offenkundig noch nicht alle verstanden haben.“

Nach Ansicht der Antidiskriminierungsbeauftragten des Bundes, Ferda Ataman, tragen vor allem unsichere Arbeitsverhältnisse dazu bei, dass Belästigungen unter den Teppich gekehrt werden. Mitarbeiter seien abhängig vom Wohlwollen des Produzenten oder des Regisseurs.

Spätestens mit den Vorwürfen gegen den inzwischen verstorbenen Filmemacher Dieter Wedel bis hin zu Vergewaltigungen hatte die #MeToo-Debatte Deutschland erreicht. Passiert ist offenbar wenig: „Bei den Konsequenzen kommen wir kaum voran“, so Ataman. „Beim Thema Antidiskriminierung ist Deutschland im Vergleich zu anderen eher noch im Mittelalter. Und wenn es so ist, dann wäre der Kulturbereich sogar eher teilweise in der Steinzeit.“

Eine Beratungsstelle namens Themis, benannt nach der griechischen Göttin der Gerechtigkeit, hat die Filmbranche selbst vor fünf Jahren ins Leben gerufen. Dort können sich all jene melden, die sexuelle Belästigung oder Gewalt in der Kultur- oder Medienbranche erfahren haben. Bislang sind etwa 2000 Gespräche geführt worden. Fünf Beraterinnen arbeiten dort in Teilzeit – wohl zu wenige, um grundsätzlich Abhilfe zu schaffen, zumal sie zuerst für sexuelle Übergriffe und nicht für Diskriminierung und Schikane zuständig sind.

Ob nun ausgerechnet der Fall Schweiger etwas verändern wird? Die Produktionsfirma Constantin hat bereits einen weiteren Film mit ihm abgedreht. Die Buddy-Komödie „Das Beste kommt noch“ hat Ende des Jahres Kinostart. Eine weitere Zusammenarbeit mit Schweiger ist nach Worten von Moszkowicz nicht geplant. Viel dürfte davon abhängen, was bei der externen Untersuchung herauskommt. Schweiger streitet bislang die Vorwürfe ab.

Bundesverband Regie verteidigt Schweiger

Mittlerweile finden sich auch ausdrückliche Verteidiger Schweigers. Der Bundesverband Regie verweist auf all die, „die schweigend am Rand stehen und die Verantwortung für dieses System und seine Folgen tragen“. Was müsse denn noch passieren, damit „Aufnahmeleitung, Produktionsleitung, ein Produzent“ am Set auftauchten? „Wir sollten froh sein, dass es mit Schweiger einen sehr erfolgreichen Regisseur und Schauspieler gibt, der es versteht, die Kinos zu füllen. Wir wünschen ihm, dass er die Beine auf den Boden und sich selbst in den Griff kriegt.“

Demnächst ist noch ein anderer bedeutsamer internationaler Branchentreff anberaumt: Beim Filmfestival in Cannes Mitte Mai wird Schweiger offenbar vertreten sein – nicht als Bestandteil des offiziellen Festivalprogramms, sondern auf dem angeschlossenen Kinomarkt. Dort werden internationale Filmrechte gehandelt. Es geht zuerst ums Pekuniäre, nicht um Kunst. Dort sollen der neue Film unter dem Titel „Manta Manta: Legacy“ sowie der vor 32 Jahren gedrehte erste „Manta“-Film feilgeboten werden.

Auch wenn Schweiger dem Deutschen Filmpreis in diesem Jahr fernbleiben sollte, womit zu rechnen ist: Spätestens 2024 könnte er durchaus zu den Preisträgern zählen. In der Kategorie „Besucherstärkster Film“ ist Schweiger immer ein heißer Kandidat. Mit der Demenzkomödie „Honig im Kopf“ ließ er sich schon einmal feiern. Dem Thema Machtmissbrauch entkommt die deutsche Filmbranche so schnell nicht.

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