„Die Musik muss gewinnen“Wie Frauen in der Rock- und Metal-Szene zurechtkommen

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20210923_Frauen in Rock und Metal (c) Marcus Flesch (4)

Katharina Heldt, Doro Pesch und Insa Reichwein behaupten sich in Rock und Metal gegen die männliche Übermacht.

Köln – Auf ihrer musikalischen Spielwiese sieht sich Insa Reichwein alleine auf weiter Flur. Im Progressive Rock, der wegen seiner Komplexität über eine vergleichsweise kleine Szene verfügt, ist die männliche Übermacht erdrückend. Ähnlich verhält es sich im Sektor Heavy Metal. „Wenn mal eine Frau dabei ist sind es fast nur Sängerinnen“, stellt Reichwein fest. „Zwar singe ich auch, aber es ist meine Band. Ich scheibe alle Songs. Diese Kombination fehlt mir zu oft.“

Sie vermisst Frauen, die ihre Bands in den Bereichen Metal, Rock und Progessive anführen. Für ihre eigene Gruppe „Pinski“ wünscht sie sich seit Jahren eine Instrumentalistin. Bis zum heutigen Tag vergebens.

Viele weibliche Fans bei Rock- und Metal-Shows

Eine Erfahrung, die eine der international erfolgreichsten Frauen im Heavy Metal teilt. „Wenn ich Musiker für meine Band gesucht habe hat sich nie eine Frau vorgestellt“, erzählt Doro Pesch. Dabei werden viele Rock- und Metal-Shows inzwischen von immer mehr weiblichen Fans besucht. Doch den Wechsel aus dem Publikum auf die Bühne wagen immer noch nur wenige.

Alles zum Thema Carolin Kebekus

Bei Konzerten wird Katharina Heldt von der Kölner Formation „Galactic Superlords“ häufig von Frauen angesprochen: „Die bewundern was ich mache, sagen aber im gleichen Satz, dass sie das nicht könnten und sich nicht trauen.“ Dem entgegen sieht Reichwein genug Frauen, die sich in anderen Musiksparten sehr wohl trauen.

Kindheit in der Männerwelt

Betrachtet man den prozentualen, steigenden Anteil bei Konzerten gibt es nicht wenige Frauen, denen härtere Musik gefällt. Dagegen hat anscheinend eine deutliche kleinere Anzahl Frauen Interesse, diese Musikrichtung selbst zu spielen oder zu kreieren. Wie lässt sich diese Diskrepanz erklären?

Eine Ursache sehen Pesch und Heldt in der Sozialisierung. „Es muss einen Anfangsfunken geben, damit man einen Grund hat überhaupt dahin zu kommen“, sagt Heldt. In der Kindheit bewegte sich Pesch beispielsweise häufig in der Arbeitswelt ihres Vaters. Der Fernfahrer mit eigenem Lastwagen fuhr Güter vom heimischen Düsseldorf ins gesamte Ruhrgebiet und nahm die Tochter wann immer es möglich war mit.

Zweifel mit Können zerstreut

So war es für Pesch selbstverständlich, überwiegend mit Männern zu tun zu haben. Anfängliche Zweifel einiger Band-Kollegen konnte Pesch mit Leidenschaft und Können zerstreuen. „Ich habe mich immer respektiert und unterstützt gefühlt. Vor allem, von den großen Gruppen, bei denen wie wir anfangs als Vorband auftraten“, erinnert sich Pesch an ihren Karrierestart, in denen ihre damalige Gruppe „Warlock“ mit Stars wie „Judas Priest“ oder „Motörhead“ auf Tour ging.

Weibliche Vorbilder waren zwar nicht im Überfluss vorhanden, doch gab es schon in der noch jungen Rock-Bewegung Pionierinnen. Bereits in den 1930er und 1940er Jahren war Rosetta Tharpe erfolgreich. Die gerne auch als „Godmother Of Rock’n’Roll“ bezeichnete Musikerin beeinflusste mit ihrem Stilmix aus Blues, Jazz und später Rock’n’Roll Künstler wie Elvis Presley, Jerry Lee Lewis und Chuck Berry.

Weibliche Präsenz inmitten der männlichen Domäne

Allesamt Wegebereiter für moderne Rockmusik und nicht zuletzt auch für Heavy Metal. Auf Tharpe folgten in den 1960ern weibliche Stars wie Grace Slick von Jefferson Airplane und Janis Joplin. In der folgenden Dekade waren es unter anderem Stevie Nicks bei Fleetwood Mac, Suzie Quatro, Joan Jett und Patti Smith, die sich inmitten der männlichen Dominanz ihren Platz erarbeiteten.

Selbst von Suzi Quatro inspiriert gehört Pesch zur weiblichen Speerspitze im Metal, der über die Jahrzehnte immer härtere Varianten hervorbrachte. Neben Pesch nahm beispielsweise Sabina Classen eine Vorreiterrolle ein. Mit der Band „Holy Moses“ gehörte sie zu den ersten Vertretern des Subgenres „Thrash Metal“, einer schnelleren, extremeren Spielart.

Wie Classen ist die gebürtige Kölnerin Angela Gossow eine der wenigen Frauen im Extrem-Metal-Bereich. Sie erlangte internationale Bekanntheit mit der schwedischen Death-Metal-Band „Arch Enemy“. Inzwischen ist Gossow als Managerin der Gruppe „Amaranthe“ tätig. Ihren Platz am Mikrofon bei Arch Enemy nahm mit Alissa White-Gluz erneut eine Frau ein. Im gleichen Genre hat sich Jo-Anne Bench als Bassistin der Kult-Formation „Bolt Thrower“ einen Namen gemacht.

Aussehen vor Können?

Ebenso rar wie Frauen an Mikrofon oder Instrument sind im Metal komplett weiblich besetzte Bands. Zu den ersten gehörte das 1978 in London gegründete Quartett „Girlschool“. Mittlerweile gibt es zwar eine ganze Reihe erfolgreiche Frauen in diesem Musiksektor, doch in der Gesamtbetrachtung sind sie nach wie vor unterrepräsentiert.

„Ich denke, die Beteiligung von Frauen in Rock und Metal wächst inzwischen schneller. Das Internetzeitalter bietet mehr Möglichkeiten für alle“, vermutet Prika Amaral, die Gründerin der brasilianischen Thrash-Metal-Truppe „Nervosa“. Die Gitarristin sieht die Ursache für den geringen Frauen-Anteil in mangelnder Unterstützung durch das soziale Umfeld von Musikerinnen. „Ein großer Teil beurteilt immer noch das Aussehen und nicht die Fähigkeiten, wobei ich denke, dass das weniger wird“, sagt Amaral weiter.

20161013_Nervosa_Kubana (c) Marcus Flesch (13)

Die Brasilianerin Prika Amaral spielt mit ihrer Band „Nervosa“ Thrash Metal.

Ein Ansatz, den auch Reichwein verfolgt. „Die Musik muss gewinnen. Wenn alle Frauen-Bands schlecht sind, ist es okay das da nur Männer spielen. Es muss aber nach Qualität gehen“, fordert die Bandleaderin. Ähnlich wie ihre brasilianische Kollegin sieht sie aber grundsätzlich die gleiche Chance, musikalisch aktiv zu werden. „Harte Musiksparten scheint aber doch eher Männer anzusprechen. Mann und Frau unterscheiden sich dann doch irgendwo“, ergänzt Reichwein.

Ungleiche Behandlung dagegen sieht nicht nur Reichwein in der Musikindustrie. Dort haben überwiegend Männer das Sagen. Das äußert sich vor allem in der Vergabe von Plattenverträgen und der Besetzung von Shows sowie Festivals. Zu diesem Thema äußerte sich auch Comedian Carolin Kebekus im vergangenen Juli in ihrer TV-Show. Bei der einige Wochen zuvor veröffentlichten vorläufigen Besetzung von „Rock am Ring“ fanden sich lediglich zwei Musikerinnen.

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Zum einen Bassistin Ines Maybaum von den „Broilers“ aus Düsseldorf sowie Gitarristin Rose Mazzola von der US-Gruppe „The Distillers“. „Kein Rock am Ring wäre passender“, befand Kebekus. Ihre Redaktion hatte einen durchschnittlichen Frauen-Anteil auf Festivals von 4 Prozent errechnet. Letzter Headliner des Festivals, in der eine Frau am Mikrofon ist, waren 2005 „Wir sind Helden“.

Dazu erzählte deren Sängerin Judith Holofernes, dass sie lediglich als Ersatz für „Limp Bitzkit“ angefragt wurden. So stand auf den Ankündigungsplakaten: „Wir sind Helden (Limp Bizkit haben abgesagt!)“. Schließlich kündigte Kebekus das eigentlich nur als Witz gedachte Festival „Ring am Rock“ am 9. Mai 2022 in Köln veranstalten zu wollen. Ein Festival, bei dem hauptsächlich Frauen auf der Bühne stehen werden. Es wäre ein Anfang.

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