Eine Ausstellung des Kölnischen Stadtmuseums im LVR-Landeshaus widmet sich Köln zwischen 1918 und 1926, wo Rück- und Fortschritt erstaunlich nah beieinander lagen.
Neue Ausstellung des StadtmuseumsAls Köln gemütlich in die Moderne aufbrach

Symbolbild des Aufbruchs in die Moderne: Im Mai 1926 lässt sich Oberbürgermeister Konrad Adenauer zur Eröffnung Linie Köln–Paris auf dem Butzweilerhof im Cockpit eines Flugzeugs fotografieren.
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Entstellte Gesichter, abgetrennte Gliedmaßen, auf Stöcken aufgespießte Leichen – Otto Dix' „Schützengraben“ ist ein Tableau des Grauens. Ungeschönt zeigt es die Schrecken des Ersten Weltkrieges, die der Künstler hautnah erfahren hatte. 1923 kauft der Leiter des Kölner Wallraf-Richartz-Museums, Hans Friedrich Secker, das Gemälde, hängt es in seine gerade neu geschaffene Abteilung für zeitgenössische Kunst und schafft damit nichts weniger als einen handfesten Skandal. Die Presse spricht von „Entwürdigung“ der Kunst, das „Monstrum“ wird hinter einen Vorhang verbannt und nur noch auf Nachfrage gezeigt – was nur umso mehr neugieriges Publikum anzieht. Doch es hilft nichts, 1925 muss Secker das Werk zurückgeben, die Nationalsozialisten werden es später als „entartete Kunst“ ausstellen, bevor es ganz zerstört wird.
Der komplizierten Gemengelage zwischen Tradition und Aufbruchsstimmung, zwischen Kriegstrauma und Zukunftsträumen, politischen Umbrüchen und Modernisierung in Köln nach dem Ersten Weltkrieg widmet das Kölnische Stadtmuseum aktuell eine Ausstellung im Deutzer LVR-Landeshaus – das Schicksal des Dix-Gemäldes kann als ein Symptom dieser bewegten Zeit gelten. „Das Erbe des Krieges lastete auf allen“, so der Kurator und ehemalige Direktor des Museums, Mario Kramp, „die Männer kamen zurück von der Front und hatten dieses Gewalterlebnis im Kopf. Das hat die Gesellschaft sehr geprägt. Sei es, dass sie sich heroisch als Kämpfer für ein altes System inszeniert haben und gegen die Republik waren, sei es im Gegenteil, dass sie als Pazifisten zurückgekommen sind.“ Kramp entwirft mit der Tafelschau über die Jahre der britischen Besatzung zwischen 1918 und 1926 ein breites Panorama der politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Ambivalenzen dieser Zeit.
Zwischen moderner Kunst und Rheinpatriotismus
Während sich etwa die Kölner Dadaisten rund um Max Ernst mit ihrer subversiven Anti-Kunst gegen das spießige Bürgertum auflehnten und 1920 eine eigene Dada-Messe im Brauhaus Winter in der Schildergasse organisierten, planten wenig später patriotische Rheinländer sogenannte „Jahrtausendfeiern“, die rückwärtsgewandter kaum sein konnten. In einer historischen Randnotiz – namentlich, dass seit 925 rheinische Gebiete zum Ostfrankenreich gehören – sah man die perfekte Gelegenheit, eine tausendjährige „Deutschheit der Rheinlande“ zu konstruieren. Das Datum war an sich nicht sonderlich bedeutend, aber reichte aus, um mit großen Feierlichkeiten, zu beweisen, dass der Rhein zu Deutschland (und nicht zu Frankreich!) gehörte.
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Eine Postkarte aus dem Kölnischen Stadtmuseum zeigt die erste deutsche Rolltreppe im Kölner Kaufhaus Tietz im Jahr 1925.
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Von Koblenz bis Aachen wurden Umzüge, Konzerte, Sportwettbewerbe und Ausstellungen ausgerichtet. Seinen Höhepunkt fand das Ganze in der Kölner „Jahrtausendausstellung“ 1925, für die Oberbürgermeister Konrad Adenauer ordentlich die Werbetrommel rührte. Rund zehntausend Objekte sollten in den gerade fertiggestellten neuen Messehallen – von den Kölnern liebevoll „Adenauers Pferdeställe“ getauft – die Geschichte und Kultur des Rheinlands präsentieren. Gezeigt wurde wenig überraschend vor allem Mittelalterliches, aber auch eine jüdische Abteilung wurde eingerichtet. Außerdem waren rheinische Unternehmen und Vereine vertreten. Im selben Jahr als ganze 1,4 Millionen Messebesucher in die „Jahrtausendausstellung“ strömten, wird im Kölner Kaufhaus Tietz die erste Rolltreppe Deutschlands in Betrieb genommen, in der Innenstadt laden mondäne Geschäfte zum Flanieren ein.
Köln als Metropole?
Oberbürgermeister Adenauer will Köln zur Metropole am Rhein ausbauen, treibt trotz wirtschaftlicher Krisen die Modernisierung der Stadt maßgeblich voran. Derselbe Adenauer, der letztlich die Entfernung Dix' Gemälde aus dem Museum bewirkte, lässt den alten Festungsgürtel zum Park umwandeln, in Müngersdorf ein neues Stadion mit 80.000 Plätzen errichten und hat schon damals Ambitionen, Köln für Olympia zu bewerben. In nur 15 Monaten Bauzeit errichtet Architekt Jacob Koerfer 1925 das expressionistische Hansahochhaus, das mit 65 Metern seinerzeit das höchste Gebäude Europas wird, mit einem von den neu eröffneten Werkschulen gestalteten Café im Art déco-Stil. Schon ein Jahr zuvor eröffnet Wilhelm Riphahns berühmtes Aussichtsrestaurant, die „Bastei“ am Rheinufer.
Doch mit der Stadt wachsen auch die sozialen Missstände. Die Wohnungsnot ist groß, viele Kölnerinnen und Kölner leben in Altbauten ohne Bad und Toilette. Der Querschnitt eines Kölner Mietshauses des Künstlers Franz M. Jansen aus dem Jahr 1921, heute Bestand des Kölnischen Stadtmuseums, porträtiert eine ungleiche Gesellschaft: Während sich reiche Bürger in der Beletage mit Prostituierten vergnügen, hausen im Unter- und Obergeschoss die Armen und Kranken, dazwischen schlägt ein betrunkener Mann seine wehrlose Ehefrau. Um der sozialen Not entgegenzuwirken, fördert die Stadt den Wohnungsbau im Grünen und Riphahn baut etwa 1923 unter dem Motto „Lich, Luff und Bäumcher“ die Rosenhofsiedlung in Bickendorf, in Mauenheim entsteht seine Nibelungensiedlung – statt auf verkünstelte Opulenz setzt der Kölner Architekt auf schlichte, zweckmäßige, aber qualitätvolle Gestaltung.
Erstaunlich bis erschreckend aktuell
Anschaulich und abwechslungsreich wird in der Ausstellung Kölns Aufbruch in die Moderne nachgezeichnet. Dass aufgrund des Platzmangels im Haus Sauer in der Kölner Innenstadt und dem zwar luftigen, aber klimatisch dafür nicht geeigneten Raum im LVR-Landeshaus, keine Originale gezeigt werden können, ist der einzige Wermutstropfen der Schau – die fotografischen Abbildungen zeigen den beachtlichen Bestand des Museums, der es verdient hätte, im Original ausgestellt zu werden.
So manches Thema, das Köln vor rund 100 Jahren beschäftigt, kommt einem erstaunlich aktuell vor. Wenn der bekennende Auto-Fan Adenauer beispielsweise 1930 sagt, er sei der Auffassung, das Auto dürfte nicht der Alleinherrscher der Stadt sein, dann wirkt das vor dem Hintergrund der Autostadt, die aus Köln später wurde und heute wieder hinterfragt wird, erstaunlich fortschrittlich. Im Übrigen gibt es mit dem „Dornröschen“ sogar im erzkatholischen Köln einen beliebten Schwulen- und Lesbenclub, obwohl ihnen zu dieser Zeit das Gefängnis droht. Und linke Kölnerinnen kämpfen schon damals gegen den Paragraph 218, der Abtreibung noch mit Zuchthaus bestraft.
Als die Briten 1926 aus Köln abziehen, beflügelt das die Aufbruchstimmung noch einmal. Die Weimarer Republik verheißt Fortschritt, 1925 hat die NSDAP in Köln gerade einmal 66 Mitglieder und kommt bei der Landtagswahl auf 0,5 Prozent. Im Niedergang der SPD, der Erosion der politischen Mitte und dem Aufstieg beider Ränder, insbesondere später des rechten, sieht Kurator Mario Kramp durchaus Parallelen zur heutigen Zeit. Trotzdem sei die Situation nicht einfach vergleichbar, so seien etwa die sozialen Missstände, die religiöse Prägung und die Präsenz des Krieges damals ganz anders gewesen: „Wir sollten uns davor hüten, die Weimarer Republik nur von ihrem Ende her zu denken. Das war noch nicht absehbar und hätte auch anders kommen können.“
„Gemütlichkeit und Moderne: Köln 1918–1926“, LVR-Landeshaus Köln-Deutz, Kennedy-Ufer 2, 50679 Köln, bis 15. März 2026, Montag bis Sonntag 10-18 Uhr, der Eintritt ist frei.
Die Ausstellung entstand in Kooperation mit dem Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte des Landschaftsverbands Rheinland und der Stiftung Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln.

