Oscar-VerleihungWann wird der wichtigste Filmpreis der Welt endlich weiblich?

Cate Blanchett in ihrer Dankesrede zur Oscarverleihung 2014.
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Austin Cedric Gibbons war ein Mann mit vielen Talenten. Manche behaupten, er sei Ende des 19. Jahrhunderts im alten Irland geboren worden, als Spross lebenshungriger Auswanderer, die der Armut Europas auf der Suche nach Reichtum und Glück in Richtung Amerika entflohen. Dass Gibbons in Wahrheit dort zur Welt kam, ist ebenso wenig gesichert – ein wenig mythischer Rauch um die eigene Herkunft kann schließlich nicht schaden. Zumal in einem beruflichen Umfeld, das von Illusionen, Träumen und Erfindungen lebt: Als Art Director, Kulissenbauer und später auch als Regisseur ging Gibbons zum Film. Er war einer aus den Pioniertagen des Studios Metro Goldwyn Mayer und inszenierte einen Tarzan-Film mit Johnny Weissmuller („Tarzan and his Mate“). Doch bis auf den heutigen Tag bringt sich Gibbons der Nachwelt durch eine andere Großtat in Erinnerung. Er ist der Schöpfer der berühmtesten Filmtrophäe der Welt, die an diesem Sonntag zum 92. Mal verliehen wird.

Nominiert 2020 in der Kategorie Filmmusik: Hildur Guðnadóttir.
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Als der Oscar 1929 zum ersten Mal, damals noch im Hollywood Roosevelt Hotel, während einer nur 15 Minuten dauernden Zeremonie an den Kriegsfilm „Wings“ („Flügel aus Stahl“) von William A. Wellman ging, hätte er fast keinen Namen gehabt. Dieser wurde ihm erst von der Vorstandssekretärin der Academy of Motion Picture Arts and Sciences, Margaret Herrick, gegeben, die beim Anblick der Statuette ausrief: „Der sieht ja aus wie mein Onkel Oscar!“ Gibbons selbst hatte es peinlich vermieden, seiner Schöpfung eindeutige Geschlechtsmerkmale zu verleihen, obwohl sie, nun ja, schon eher männlich-muskulös wirkt. Doch erst seit der Taufe durch Margaret Herrick ist der Oscar durch und durch ein richtiger Kerl.
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Und das leider nicht nur im Hinblick auf das äußere Erscheinungsbild des Goldjungen. Auch Oscars innere Werte verraten ein erstaunliches Beharrungsvermögen, was seine Herkunft aus dem Milieu des weißen, männlichen Amerika betrifft, dem auch sein Urvater Austin Cedric Gibbons, ein Kind des New Yorker Stadtteils Brooklyn, entstammt. Wenn auch unklar ist, wo er geboren wurde, dass er in Brooklyn aufwuchs, also weit weg von den Schwarzen-Quartieren der Bronx, ist sicher. Dort stand auch das Elternhaus von Allan Stewart Konigsberg, besser bekannt als Woody Allen. Man kennt es aus seinem Film „Radio Days“. #Oscars So White lautet eine alte Klage, die für den Protest schwarzer Künstler gegen die weiße Dominanz bei den Awards steht. Ihr gesellt sich nun ein weiterer Hashtag hinzu, der die zweite Identität des Filmpreises als Männersache attackiert: #Oscar So Male ist die Zwillingsschwester von #MeToo, dem Aufschrei der weiblichen Film-Community, dessen Erwachen sich genau datieren lässt. Es fiel auf den 5. Oktober 2017, als zwei Journalistinnen der New York Times, Jodi Kantor und Megan Twohey, über die sexuellen Raubtiergewohnheiten des Filmproduzenten Harvey Weinstein berichteten.
Tradiertes Geschäftsmodell in der Krise 1928, als Gibbons an seinem Entwurf zum Oscar feilte und sich die Academy gründete, steckte das Kino in einer Krise. Das Radio setzte als Massenmedium dem Stummfilm zu, neu gegründete Gewerkschaften forderten von den Studios mehr Lohn und geregelte Arbeitszeiten. Seit 2017 und auch zur Verleihung 2020 befindet sich Hollywood wieder in einem Prozess der Zerrüttung. Seitens technischer Innovationen sind es Internet und Streamingdienste, die dem tradierten Geschäftsmodell zu schaffen machen. Was den menschlichen Faktor betrifft, so haben die Frauen mehr als genug von den Seilschaften und Netzwerken der Old Boys, die in der – durch Einladung zusammengesetzten – Academy noch immer mit großer Mehrheit das Sagen haben.

Nominiert für das beste adaptierte Drehbuch: Greta Gerwig.
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Es gärt schon lange, nicht erst seit 2017, als herauskam, dass einer der profiliertesten Filmproduzenten ein Förderer von Quentin Tarantino und Herausforderer des Blockbuster-Systems der großen Studios, dass Harvey Weinstein also zahllose Frauen belästigt und mutmaßlich vergewaltigt haben soll. Mit ihrem Auftritt beim Oscar im März 2014 zum Beispiel hat Cate Blanchett ein kleines bisschen Filmgeschichte geschrieben. Ihren Dank für die Trophäe verknüpfte sie damals mit einem Seitenhieb auf die noch immer männlich dominierte Branche: „Wer in unserer Branche glaubt, dass Filme mit weiblichen Heldinnen ein Nischenexperiment sind, irrt sich. Das Publikum will solche Filme sehen, und man kann gutes Geld mit ihnen verdienen. Die Welt ist keine Scheibe, Leute!“
Diskussion in Bewegung
Wer da noch glaubte, Cate Blanchetts Rede bleibe ein Einzelfall, irrte sich, nicht nur, was den Oscar betrifft. Kleinere wie größere Festivals, das Kölner Frauenfilmfestival wie der Wettbewerb von Cannes, halten seither die Diskussion in Bewegung. Im selben Jahr, als die Schauspielerin so sprach, befanden sich an der Croisette wieder nur zwei Frauen in der internationalen Auswahl; nur ein einziges Mal ging überhaupt eine Palme an einen Film, der unter der Regie einer Frau entstand, nämlich an „Das Piano“ von Jane Campion, die 2014 immerhin Jurypräsidentin war.
Die französische Filmförderbehörde gab deswegen eine Studie in Auftrag, die sich der Rolle von Frauen in den Bereichen Film und audiovisuelle Medien widmet: Auch wenn sich die Situation verbessert hat, ist sie noch immer niederschmetternd – nur 23 Prozent aller Spielfilme, die in Frankreich 2012 anliefen, stammten aus der Hand von Frauen.

Handzahmer Kostümfilm: Szene aus "Little Women". Der Film brachte Greta Gerwig dennoch eine Nominierung für das beste adaptierte Drehbuch ein.
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Diese sind nur dort gut vertreten, wo man das Attribut „weiblich“ klischeehaft ankleben kann, bei den Maskenbildnerinnen etwa, oder bei den Stylistinnen. Technische Bereiche wie Kamera oder Beleuchtung sind Männerdomänen, und was das Lohngefälle betrifft, so ist es immens: Regisseurinnen verdienten 2012 im Schnitt 31,5 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen.Blanchetts Kritik, nämlich der Mangel an weiblichen Heldinnen, wurde 2015 wissenschaftlich belegt. Eine Studie der University of Southern California wies für den amerikanischen Filmmarkt nach, dass zwischen 2007 und 2014 nur 21 der hundert erfolgreichsten Filme mit einer weiblichen Hauptrolle besetzt waren. Auch was die Sprechrollen insgesamt, also inklusive der Nebenrollen anbelangt, wird deutlich, dass Frauen mehrheitlich eine schweigende Requisite des Mannes sind – nur 30 Prozent der Darstellerinnen dürfen überhaupt den Mund aufmachen.Zahlenmäßig dominieren die Männer
Und Deutschland? Laut einer Studie des Bundesverbandes Regie werden gerade einmal 22 Prozent aller deutschen Kinofilme von Frauen inszeniert – je teurerder Film wird, desto stärker sinkt die Quote, die im Fernsehbereich noch erbärmlicher aussieht als im Kino. Auch wenn in Deutschland 2005 mit Angela Merkel zum ersten Mal eine Frau ins Kanzleramt einzog und im vergangenen Jahr mit dem Jubiläum des Grundgesetzes zugleich die nominelle Gleichstellung von Mann und Frau gefeiert wurde – die Sache der weiblichen Emanzipation ist in vielen gesellschaftlichen Bereichen in einer Art Zeitschleife gefangen.

Nominiert für den besten Schnitt in „The Irishman“: Thelam Schoonmaker.
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Auf Fortschritte folgen Rückschritte, wie im vergangenen Jahr die Ergebnisse einer von der Sozialwissenschaftlerin Karin Heisecke und ihrer MaLisa Stiftung veröffentlichten Studie zur „Weiblichen Selbstinszenierung in den sozialen Medien“ zeigten: Auch bei You-Tube und Instagram dominieren zahlenmäßig die Männer, fast noch schwerer aber wiegen die überkommen geglaubten Rollenklischees, die das Netz überfluten. Frauen geben Kochtipps, Männer schrauben und hämmern im Hobbykeller, Games sind was für die Jungs, die Damen stricken und häkeln.
„Die Gleichstellung der Frauen hat Fortschritte gemacht. Frauen haben sich mittlerweile viele Terrains erobert, die ihnen früher verschlossen waren. Und sie stehen heute auf anderen rechtlichen Füßen als noch vor hundert Jahren“, stellt Christine Hohmann-Dennhardt, Richterin am Bundesverfassungsgericht, in einem Beitrag über Frauen und Beruf fest. „Doch Fakt ist auch: Die Emanzipation kriecht im Schneckentempo. Und sie trifft stets erneut auf Widerstände, die sie vom Ziel abbringen, ja oftmals auch zurückwerfen.“ Wie im Kino.
Vor Ehrfurcht in Ohnmacht
Im Film war dieser ernüchternde Trend zur Restauration besonders deutlich im jüngsten Werk von Woody Allen zu erkennen. Der Regisseur müsste sich selbst mit Missbrauchsvorwürfen auseinandersetzen, würde er diese auch nur ein wenig an sich heranlassen. In „A Rainy Day in New York“ spielt Elle Fanning ein ewig staunendes Provinz-Naivchen, das die Chance bekommt, im Traumort Manhattan einen Filmregisseur für die Uni-Zeitung zu interviewen – der Meister hat seine besten Tage zwar hinter sich, aber das hindert Ashleigh nicht daran, schon bei dem Gedanken an die Begegnung vor Ehrfurcht fast in Ohnmacht zu fallen. Zweiter Mann auf ihrem Weg in den Big Apple ist ihr Freund Gatsby, der gönnerhaft eine romantische Sightseeingtour plant und ebenfalls völlig außer sich gerät, so er an New York denkt. Wohlgemerkt, es handelt es sich um ein Pärchen aus der Jetzt-Zeit, das sich allerdings benimmt, als wären die puritanischen 50er Jahre in den USA niemals zu Ende gegangen.

Nominiert für das beste Kostüm. Arianne Phillips für „Once upon a Time in Hollywood“.
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Und „Little Women“, der einzige Beitrag einer Frau, der es in diesem Jahr in die Kategorie „Bester Film“ geschafft hat, obwohl es mit „The Farewell“, „Queen & Slim“ oder „Hustlers“ ein weitaus größeres Angebot gibt? Es ist die vierte Verfilmung des Klassikers von Louisa May Alcott, und seine Regisseurin Greta Gerwig hat sich etwa durch „Lady Bird“ in der Vergangenheit durch ein sensibles Gespür für Emanzipationsgeschichten hervorgetan. Ihr mit Saoirse Ronan, Emma Watson und Laura Dern starbesetztes Drama um die Selbstfindung von vier jungen Geschwistern zur Zeit des Amerikanischen Bürgerkriegs ist ein erstaunlich biederer und handzahmer Kostümfilm, mit dem sich die aufgekratzte New Yorkerin erkennbar an die Gepflogenheiten Hollywoods anpasst – Feminismus wird, wenn überhaupt, in homöopathischen Dosen verabreicht und mit viel Jane-Austen-Träumerei verbrämt.
Eine konsens-orientierte Verfilmung eines konsensorientierten Stoffes, der Männern nicht wehtut – 1950 gewann Cedric Gibbons, der Schöpfer der Oscar-Statuette, für Mervyn LeRoys Adaption von „Little Women“ ein Award fürs Set Design. Apropos Zeitschleifen. Der schon erwähnte „Wings“, mit dem William A. Wellman 1929 an der Schwelle zum Tonfilmzeitalter den allerersten Oscar für den besten Film gewann, spielte 1917 – ein Männerdrama aus dem Ersten Weltkrieg, das vor allem durch seine Luftkampfszenen in die Filmgeschichte einging. Einer der großen Favoriten für den Jahrgang 2020 heißt „1917“, ein Männerdrama über den Ersten Weltkrieg, das zwei britische Soldaten an die Front begleitet. Damit ist noch nichts über den Film gesagt. Über die Rolle der Frauen im Film aber schon.