Schauspiel KölnAuf geht's in die schöne neue Welt der Ökodiktatur

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Aus der Kölner Inszenierung von Der Weg zurück

Köln – Ins Rutschen geraten ist die Welt, die der britische Dramatiker Dennis Kelly in seinem neuen Stück „Der Weg zurück“ (engl. The Regression) beschreibt. Im Schauspiel Köln ist es eine Rampe auf der sich die Schauspieler in der Inszenierung von Regisseur Moritz Sostmann bewegen, während im Hintergrund riesige Buchstaben auf die radikale Bewegung „Regression“ verweisen, die in diesem dystopischen Zukunftsszenario am Ende das Sagen haben wird.

Seán McDonagh führt das Publikum auf die brillante Weise in diese Familiensaga ein

Wie aus der heutigen hochtechnologisierten Gesellschaft in nur fünf Generationen eine Art wissenschaftsfeindliche Ökodiktatur wird, das erzählt das Stück in fünf szenischen Miniaturen anhand einer Familiengeschichte. Alles beginnt mit Cas und ihrem Mann, die sich, beide um die 40, noch jünger fühlen als sie sind und für ihren Kinderwunsch die Hilfe moderner Wissenschaft in Form eines In-vitro-Fertilisation in Anspruch nehmen. Seán McDonagh erzählt die Geschichte eines glücklichen Paares, dessen Kinderwunsch schließlich in einer Katastrophe endet.

Cas verblutet bei der Geburt ihrer Tochter Dawn und nur der Schrei des weinenden Babys verhindert, dass der Mann sich in den Tod stürzt. Als er erfährt, dass der Tod seiner Frau durch eine Nebenwirkung der künstlichen Befruchtung herbeigeführt wurde, schwört er allem technischen Fortschritt ab und setzt damit den Beginn einer neuen Bewegung, die in den künftigen Generationen seiner Familie ihre Macht entfalten wird.

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Es ist brillant wie Seán McDonagh das Publikum in diese Familiensaga einführt, dabei ganz langsam vom Komischen ins Tragische wechselt und mit einen simplen Kniff, in dem er das Mikro entfernt, der Technik abschwört. Die nächste Etappe in diesem Generationen-Gedankenspiel beschreiten Anna Stieblich und Kei Muramoto. Dawn, mittlerweile zur fünfzigjährigen Frau herangewachsen ist zur Leitfigur der zunehmend gewaltbereiten Fortschrittsfeinde geworden und hat in dem jungen Aktivisten Jonathan die Liebe ihres Lebens gefunden. Der Rausch zwischen Testosteron und Terrorismus endet jäh, als dieser bei der Explosion einer selbstgebauten Bombe ums Leben kommt. Die leidenschaftliche Liaison trägt aber Früchte.

Dawn bekommt Zwillinge und ihre Kinder fungieren bereits als Funktionäre im Machtapparat der „Regression“. Kristin Steffen und Paul Basonga spielen dieses Zwillingspaar als schauerliche Repräsentanten einer regressiven Führung, die mit kindlichem Gemüt Grausamkeiten verübt. Wieder ist es aber eine persönliche Beziehungsdynamik, hier die inzestuöse Eifersucht des Bruders, die eine Radikalisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse auslöst.

Moritz Sostmann bleibt sich als Regisseur treu

Damit bleibt sich Regisseur Moritz Sostmann treu, der das Stück von Dennis Kelly weniger auf seine dystopische Dynamik abklopft, sondern Beziehungsmuster im Spannungsfeld von Liebe und Wut, Angst und Scham durchdekliniert. Anschaulich gemacht in einem großen Gemälde, das im Verlauf des Abends als gruppendynamischer Prozess Gestalt annimmt. Sicherlich die richtige Entscheidung, erweist sich doch Kellys eigentliches Zukunftsszenario als erstaunlich unausgegorenes Gedankenexperiment.

Der Autor gefällt sich zwar als prophetischer Diagnostiker des sozialen Lebens, bleibt dabei aber auf halber Strecke irgendwo zwischen Houellebecq und Orwell hängen. Das Stück sucht nach den Triggerpunkten der westlichen Gesellschaft und wird dabei auch fündig. Allerdings schürft Kelly selten tief genug, so dass die Themen an der Oberfläche bleiben und der Ausblick auf die dystopische Zukunft trivial ist.

Es geht um die neuen Zehn Gebote der „Regression“

Spätestens wenn die neuen Zehn Gebote der „Regression“ deklamiert werden, sinkt das Thesengebilde in sich zusammen, wie ein Kuchen, der zu früh aus dem Ofen geholt wurde. Da bleibt auch der Verweis auf das Fermi-Paradoxon, das die evolutionäre Dynamik von Zivilisationen hinterfragt, ohne relevante Anknüpfung an die Geschichte. Dafür scheint in der Inszenierung durch die nebulöse Trivia der Thesen der Fokus auf das menschliche Drama umso klarer. Andreas Grötzinger hat in der vierten Szene seinen großen Auftritt, als eine Art emotionaler Kasper Hauser der Zukunft, der als die düsterste Ausformung der „Regression“ in einer Spirale von Gewalt und Gegengewalt zum reinen Triebwesen wird. Die Erkenntnis schwindet, die Erektion bleibt, heißt es, wenn er sich als brunftiger Berserker durch die Stadt vögelt.

Erst Kristin Steffan ist es in der letzten Miniatur als Ururenkelin von Cas vergönnt, dem apokalyptischen Abgesang etwas rebellischen Trotz entgegen zu setzen. Wie der Narr in der Tragödie bewegt sie sich auf dem Schlachtfeld der Regression und setzt mit diebischer Freude kleine Widerhaken von Wissenwollen und Neugierde, auch wenn in diesem fragilen Pflänzchen eines neuen Fortschritts schon die Ambivalenz einer destruktiven Dynamik aufscheint. Ihr Spiel gerät schauspielerisch zum Fest, wie überhaupt alle Akteure des Abends überzeugen und dem Schauspiel Köln das kleine Kunststück gelungen ist, aus einer mäßigen Stückvorlage den höchstmöglichen Unterhaltungswert herausgeholt zu haben.

Schauspiel Köln, 4. + 23.6., 20 Uhr

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