Weltstar in KölnSting lässt den Regen erzählen, wie zerbrechlich wir sind

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Sting breitet die Arme aus, er hat die Augen gescbhlossen und singt.

Entspannt und austrainiert mit 72: Sting in der Kölner Lanxess-Arena

Entspannt, austrainiert und musikalisch weit vorn, begab sich der 72-Jährige in der Lanxess-Arena auf eine musikalische Zeitreise. 

Am Ende lässt Sting die Sterne weinen und den Regen erzählen, wie zerbrechlich wir sind. Nichts komme von Gewalt, auch wenn wir unter einem zornigen Stern geboren werden. Leise zupft der 72-Jährige die Akustikgitarre, seine Stimme ist heller als auf den Studioaufnahmen von „Fragile“, jenem Lied, das er für einen bei einem Unglück gestorbenen Ingenieur geschrieben hatte und das nach 9/11 zu einer traurigen Hymne gegen Gewalt und für die Menschlichkeit geworden war.

Gut, wenn man in einer Zeit, da es so schwer geworden ist, die richtigen Worte zu finden, die Sterne weinen lassen kann. Nach einer zweistündigen Zeitreise durch seine größten Hits verbeugt der Sänger sich und verschwindet im warmen Applaus.

Es ist lange her, dass ich herkommen wollte, aber ihr habt die Tickets alle behalten und wir leben alle noch
Sting in der Lanxess-Arena

Gordon Matthew Sumner, der sich den Namen Sting (Stich!) einst gegeben hatte, als er mit einem schwarz-gelben Streifenpulli auf einer kleinen Bühne stand und ihm jemand sagte, er sehe aus wie eine Wespe, ist am Montagabend nicht nach Köln gekommen, um das Leid der Welt zu beklagen. „Es ist lange her, dass ich herkommen wollte, aber ihr habt die Tickets alle behalten und wir leben alle noch“, sagt er auf Deutsch, nachdem er die 15.000 in der Arena mit den Police-Welthits „Message in a Bottle“ und „Every Little Thing She Does Is Magic“ sowie seinen frühen Solohits „Englishman in New York“ und „Set Them Free“ abgeholt hat. Im Sommer 2020 war sein Auftritt wegen der Corona-Pandemie ausgefallen, im Jahr darauf auch, zwei weitere Absagen folgten wegen Krankheit.

Jetzt steht er auf der Bühne, entspannt und austrainiert, Yogi und Sportler, seinen abgegriffener Fender Precision Bass aus den 50er Jahren wie seine Stimme mit großer Leichtigkeit beherrschend. Es sei vor allem die Musik, die ihn daran hindere, zu altern, hat Sting kürzlich in einem Interview gesagt. Älter ist er wie seine Fans trotz Muskelshirt und imposantem Bizeps geworden – doch das soll an diesem Abend keine Rolle spielen. Es geht um die Musik.

Sting in Köln: Weltklassemusiker und brillante Akustik in der Lanxess-Arena

Die Akustik ist brillant, die Band besteht aus Weltklassemusikern, die alle ihren Auftritt erhalten. Bei „Heavy Cloud No Rain“ singt Background-Stimme Melissa Musique mit ihrem gewaltigen Soul-Organ ein Solo, Shane Sager lässt für das Intro von „Brand New Day“ seine Mundharmonika sprechen, Sting erinnert ihn daran, dass das im Original Stevie Wonder erledige und die Fußstapfen riesig seien – kein Problem. Dominic Miller, seit vielen Jahren als Leadgitarrist in der Band und in den 1980er Jahren mit Phil Collins unterwegs, erhält auf dem von ihm mitkomponierten „Shape of Your Heart“ ein Solo, das Background-Sänger Gene Noble im Chorus eindrucksvoll anreichert.

Zu „King of Pain“ kommt Stings Sohn Joe Sumner, der schon das Vorprogramm bestritten hat, auf die Bühne, und lässt das Lied mit seiner rätselhaften Bridge und den düsteren Bildern mit seiner Energie ein wenig heller scheinen.

Sting steht links an der Bühne und singt, rechts Backroundsänger und Keyboarder

Sting begab sich in Köln auf eine musikalische Zeitreise und spielte seine größten Hits

Bühnenbild und Licht sind zurückhaltend, um nicht abzulenken von den Genres und Facetten der Band. In „Desert Rose“, das Sting einst mit dem nordafrikanischen Sänger Cheb Mami sang, fließen algerische Rai-Klänge ein, der frühe Police-Hit „So Lonely“ versteckt nicht seine Anleihen an Bob Marelys Reaggae-Hymne „No Woman No Cry“ – der Chorus ist identisch. „Every Breath You Take“, der Hit, den viele bis heute für ein Liebeslied halten, der aber von einem Stalker erzählt, hält die Band rockig. Die erste Zugabe „Roxanne“ gibt sie in Langversion mit improvisierten Jazz-Intermezzi, zu einem Gastauftritt holt Sting Gregory Porter auf die Bühne, der in seinem Lied „Probably Me“, Jazz und Soul, Gospel und Rhythm and Blues vereint – ein musikalischer Seelenverwandter.

Sting hört ihm andächtig zu, bevor er wieder selbst übernimmt, bei „If I Ever Lose My Faith in You“ brüllt er wie ein Löwe, bei „Rushing Water“, einem von drei Liedern aus seinem 2021er-Album „The Bridge“, heult er wie ein Wolf, bei „Why Should I Cry For You“, einem Lied für seinen verstorbenen Vater, flüstert er wie der Wind – davon, dass die Sterne ihren Platz zu verlieren scheinen, und was daraus folgen könnte. 

Vor der Arena hat sich der Schnee um 23 Uhr in Regen verwandelt, der Wind ist kalt, die Bahnen fallen aus, ohne dass das durchgesagt würde, alles wie immer. Stings Lieder halten noch ein bisschen warm.

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