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Synodaler Weg„Woelki scheint zu denken, dass es der Erneuerung nicht bedarf“

Lesezeit 7 Minuten
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Transparent von Demonstrantinnen vor dem Frankfurter Dom im Januar 2020

  • Der synodale Weg ist der Reformprozess der katholischen Kirche in Deutschland. Einige Bischöfe, darunter der Kölner Erzbischof Rainer Woelki, haben diesen Reformprozess scharf kritisiert.
  • Auf die Haltung des Kölner Kardinals und einiger weiterer katholischer Bischöfe reagieren drei Theologen und eine Theologin.
  • Ihre Kernkritik: Woelki und andere glauben offenbar, dass es keiner offenen Debatte und keines Reformprozesses in der katholischen Kirche bedarf. Auf Kritik reagiere er mit Verweis auf den Katechismus, das kirchliche Gesetzbuch. Ein Gastbeitrag.

Die Deutsche Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken haben sich gemeinsam in einen Prozess begeben, der aus einer ehrlichen Bestandsaufnahme belastbare Reformen anstoßen soll. Auf dem „Synodalen Weg“ werden Entscheidungen getroffen, die theologische Grundfragen aufwerfen: Wie ist die Macht in der Kirche verteilt? Welche Rolle werden Priester spielen? Welche Zugänge haben Frauen zu Diensten und Ämtern der Kirche? Wie wird in gelingenden Beziehungen Sexualität gelebt?

Die Themen stehen auf der Agenda, weil die MHG-Studie zum sexuellen Missbrauch die Augen dafür geöffnet hat, wo Anspruch und Wirklichkeit der katholischen Kirche brutal auseinanderklaffen. Ohne klare Antworten erwiese sich die Kirche reaktions- und kommunikationsunfähig – und dies in Bereichen, in denen Grundrechte und Grundüberzeugungen berührt werden, die in einer demokratischen Gesellschaft selbstverständlich sind und in der Kirche der Freiheit des Glaubens Ausdruck verleihen.

Von der Kirche wird in der Öffentlichkeit genau das erwartet, was sie von sich selbst erwarten muss: dass alle, die an Jesus Christus glauben, auf die Suche nach dem Gott der Hoffnung gehen, mitten in der Welt. Der Trost, aber auch die irritierende Kraft des Evangeliums sind gefragt, die Sorge für die Kranken, die Deutung der Zeit und des eigenen Lebens im Licht des Glaubens.

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Offenbar gewordenes eigenes Systemversagen

Angesichts des offenbar gewordenen eigenen Systemversagens braucht die Kirche eine gründliche Überprüfung ihrer normativen Ideale, Regeln, Prozesse, Standards und Routinen. Nur wenn diese Hausaufgaben erledigt werden, kann sie in einer pluralen, rechtsstaatlich verfassten Gesellschaft, die sich auf die Freiheit und Gleichheit aller Menschen verpflichtet hat, wieder sprachfähig werden, nachdenklich und vernehmbar.

Nur dann kann sie den Zeitgenossen die christliche Rede von Gott als relevant erschließen. Wer sich den notwendigen Überprüfungsprozessen entzieht, verbaut der Gesellschaft den Zugang zum Glauben.

Um diese Reflexionen voranzubringen, sind Theologinnen und Theologen in die Synodalversammlung gewählt worden, die sich kirchlich engagieren. In allen vier Foren arbeiten sie aktiv mit. In der ersten Synodalversammlung und in den Arbeitstreffen der Foren hat sich schon gezeigt, wie gut die Zusammenarbeit funktionieren kann.

Einige wenige Bischöfe, allen voran Kardinal Rainer Woelki aus Köln und Bischof Rudolf Voderholzer aus Regensburg, scheinen aber zu denken, dass es dieser Debatte und Erneuerung nicht bedarf – weil angeblich alle Antworten auf die Fragen, die sich Menschen mit Blick auf die Kirche stellen, schon längst gefunden worden sind.

Sie fordern qualitätsvolle Theologie – aber ihnen selbst fällt theologisch nicht viel mehr ein, als den Katechismus zu zitieren, das kirchliche Gesetzbuch, die eine oder andere Instruktion aus Rom und zur Not eine Enzyklika. Kritischen Stimmen wird wahlweise Unbedarftheit, Inkompetenz oder schismatische Absicht unterstellt. Vor allem Frauen, die sich endlich vernehmbarer einbringen, werden abgekanzelt.

Frauen abzukanzeln reicht nicht

Das reicht nicht. Theologisch muss mehr kommen. Die Öffentlichkeit verlangt saubere Argumentationen, kritische Differenzierungen und eine klare Sprache. Der Glaube verlangt kritische Vernunft.

Ohne Freimut geht es nicht. Dass Autoritätsargumente die schwächsten sind, lässt sich schon bei Aristoteles nachlesen. Thomas von Aquin, dem niemand vorwerfen wird, zu wenig über Autorität in der Theologie und der Kirche nachgedacht zu haben, erklärt mit Blick auf mittelalterliche Scholastiker: „Wenn die Lehrer mit nackten Autoritäten eine Sache entscheiden, dann wird der Hörer gewiss die Sicherheit haben, dass es so ist; doch wird er keine Erkenntnis und keine Einsicht erworben haben, und er wird leer weggehen“ (Quaestiones quodlibetales, IV, q. 9. a 3c).

Der Unterschied zu heute ist nur, dass es die ergebenen Eleven nicht mehr gibt und die Menschen, die nicht überzeugt sind, nicht nur ohne Einsicht, sondern ganz weggehen, weil sie schlicht und ergreifend nicht überzeugt sind, dass es so ist, wie es unter Rückgriff auf „nackte Autoritäten“ behauptet wird.

Bischöfliches Lehramt spielt in der katholischen Kirche wichtige Rolle

Damit keine Missverständnisse aufkommen: In der katholischen Kirche spielt das bischöfliche Lehramt eine wichtige Rolle. Es darf aber nicht spalten, sondern soll der Einheit der Kirche, der Wahrheit des Glaubens und der Freiheit der Menschen dienen. Erst lernen, dann lehren – das muss die Devise sein.

Der Katechismus hilft bei der Vergewisserung von Glaubensinhalten – aber wer hätte je gesagt, dass er der Weisheit letzter Schluss ist? Das kirchliche Rechtsbuch ist ein Schutzschild gegen Willkür – irreformabel ist es nicht. Instruktionen und Enzykliken sind klare Markierungen auf dem Weg der Kirche – aber sie sind nicht End-, sondern Zwischenstationen auf einer langen Reise durch die Zeit. 

Ein offenes Gespräch kritikresistenter Bischöfe mit den Gläubigen, mit Diözesan- und Priesterräten täte schon gut; echte Beratung und Beteiligung wären noch besser. Auch mit den theologischen Fakultäten und Instituten vor Ort.

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Weithin ist dies inzwischen gute Praxis – leider Gottes nicht überall. Der Synodale Weg bietet eine große Chance, sowohl für die Erkenntnis des Bewährten als auch für notwendige Veränderungen. Die Chance wird aber nur genutzt, wenn man das Gespräch sucht, Kritik vertragen kann und tatsächlich zu argumentieren beginnt. Theologie ist nicht religiöse Ideologie, sondern schützt vor ihr.

Was ist eine gute theologische Argumentation? Theologie muss mitten aus dem Leben heraus die Frage nach Gott stellen. Sie muss gesellschaftlich relevant sein und verständlich reden. Sie muss den Finger am Puls der Zeit haben, ohne sich den Plausibilitäten der herrschenden Kultur zu unterwerfen.

Sie muss den langen Atem der Geschichte aufsaugen – nicht, um nostalgisch zu werden, sondern um zu verstehen, in wie vielen unterschiedlichen Formen man gut katholisch sein kann. Sie braucht den klaren Blick dafür, wie oft das Lehramt seine Meinung geändert hat – stets mit der Beteuerung verbunden, nie etwas Anderes gesagt zu haben.

Zur Person

Alle drei Theologen und ihre Theologinnenkollegin – die Dogmatikerin Julia Knop (Erfurt) und ihre Professorenkollegen Bernhard Emunds (Frankfurt), Matthias Sellmann und Thomas Söding (beide Bochum) – sind am „Synodalen Weg“ beteiligt, einem Reformprozess der Bischofskonferenz und des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, auf dem es unter anderem um die Modernisierung der katholischen Sexualmoral und die Rolle der Frauen in der katholischen Kirche geht.

Kardinal Woelki hatte zuletzt vor einem deutschen Sonderweg und vor einer Blamage gewarnt, weil die Textvorlagen für den Synodalen Weg inhaltlich zu schwach seien. (jf)

Sie braucht einen wachen Sinn für die Botschaft der Bibel, um zu entdecken, wo der Geist des Aufbruchs bis heute lebendig ist und wie er lebendig werden kann. Die Theologie muss im Dialog mit den anderen Wissenschaften stehen: mit den Human- und Sozialwissenschaften, der Jurisprudenz, den Natur-, Kultur- und Geisteswissenschaften.

Die Theologie wird in der Welt der Wissenschaft nur ernstgenommen, wenn sie ihre Argumente auf den Prüfstand stellt – aber dann wird sie auch ernstgenommen. Die Kirche wird in der Gesellschaft nur gehört, wenn sie überzeugend sagen kann, wofür sie steht – aber dann wird sie auch gehört.

Es wäre fahrlässig, in den Strukturfragen der Kirche nicht die Erkenntnisse der Bibelwissenschaft, der Dogmatik, der Pastoraltheologie und der Sozialethik aufzugreifen. Aber wenn dies geschieht, verschieben sich die Machtstrukturen – und die Rollen werden klarer.

Wer zu der Frage, wie Priester heute überzeugend leben und wirken können, nicht die Humanwissenschaften konsultiert, der wird nur den Status quo zementieren, der die gegenwärtige Misere verursacht hat. Wo aber das Gespräch beginnt, braucht es theologische Unterscheidungen, die neue Optionen öffnen, vom Zölibat bis zu Kooperationen in der Pastoral.

Abdriften in krude Geheimnistheorien

Wer die Frauenfrage mit dem Hinweis ausbremsen will, es gebe nichts zu beraten und zu entscheiden, was über ein paar Führungsstellen in der kirchlichen Verwaltung hinausgeht, weil alles ein für alle Mal gesagt wäre, der schneidet die Kirche vom demokratischen Diskurs ab und driftet in krude Geheimnistheorien ab, die nichts erklären. 

Wo aber die Diskussion offen geführt wird, im Blick auf das Zeugnis der Bibel, auf verschüttete Traditionen und auf neue Einsichten in Gendergerechtigkeit, zeigen sich neue Antworten, die nicht nur die große Mehrzahl der Frauen von der Kirche verlangt. Wer schließlich in Fragen der Sexualethik nur zitiert, was in offiziellen Dokumenten der Kirche schon steht, der macht nur ein weiteres Mal deutlich, wie wenig Relevanz diese Lehre hat, die schlicht nicht rezipiert wird.

Theologisch zu argumentieren hieße demgegenüber, medizinische, pädagogische, soziologische Erkenntnisse von heute in die große Entdeckung des Christentums einzuzeichnen, dass Eros und Agape keine Gegensätze sind, sondern dass die Liebe Gottes die Liebe der Menschen prägen kann. 

Die Theologie hat die Verantwortung und die Kompetenz, solche Auskünfte zu geben. Sie muss zeigen, welchen Sitz im Leben sie hat. Sie muss bereit sein, sich Einwänden zu stellen. Eines geht aber nicht: dass sie als inkompetent von solchen bezeichnet wird, die Qualität fordern, sich selbst aber nicht der Anstrengung argumentativer Überzeugung unterziehen.

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