Tanz im Kölner Depot 1Generationenkonflikt im Götterhimmel

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Szene aus „Infamous Offspring“ von Wim Vandekeybus.

Szene aus "Infamous Offspring" von Wim Vandekeybus.

Star-Choreograf Wim Vandekeybus kreist mit „Infamous Offspring“ um sich selbst.

Unsere ach so verehrte Kulturgeschichte basiert auf letztlich ziemlich trivialen Geschichten von Gewalt und Sex, und nimmt man der griechischen Mythologie ihren hohen Ton, bleiben: Soapoperas. So Wim Vandekeybus' Erkenntnis, und vor rund 35 Jahren hatte dieser rotzlümmelige Umgang mit dem intellektuellen Erbe originellen Charme.

Die Tanzwelt feierte die dunkel-poetischen, rebellischen Mythen-Dekonstruktionen, die der Flame bald schon international auf die Bühnen schleuderte. Doch heute, so scheint es, dekonstruiert Wim Vandekeybus eigentlich nur noch: Wim Vandekeybus. Vieles gerät zum Selbstzitat, auch der Jugendwahn seiner Kompanie „Ultima Vez“ wird mit seiner aktuellen Produktion gallig kommentiert: „Infamous Offspring“, ‚niederträchtig‘ und ‚berüchtigt‘ ist der Nachwuchs nun also, kurz: ein Stück über den Generationenkonflikt, angesiedelt im griechischen Götterhimmel.

Dort haben Hera und Zeus wegen seiner ausgeprägten Erotomanie zwar Stress miteinander, aber in einem ist sich das Götter-Elternpaar doch einig: Der missratene Nachwuchs nervt. Dionysos ist ein Junkie, Athene eine eiskalte Karrieristin, Ares ein brutaler Psychopath und Kriegsverbrecher und so weiter - knapp ein Dutzend Götterbiografien skizziert Vandekeybus und schrumpft sie auf ihren anti-zivilisatorischen Kern.

Mit dem lahmen, verkrüppelten und von seiner Mutter verstoßenen Schmied Hephaistos etwa schlägt er den Bogen zum barbarischen Umgang mit behinderten Kindern, speziell den Menschenversuchen der Nazis. Und immer wieder umkreist er die problematische Ambivalenz des Sex' zwischen Lust und Gewalt, gerade unter Jugendlichen. Die Tänzerinnen und Tänzer packen, begrabschen, schubsen sich, verwischen die Grenze zwischen Übergriff und Leidenschaft.

Wenn sich dann in einer Szene Zeus in die Gestalt der schönen jungen Artemis verwandelt, um so die Nymphe Kallisto zu vergewaltigen, dürfte es den Provokateur Wim Vandekeybus vermutlich sehr inspiriert haben, in Zeiten von #MeToo eine junge Frau als Missbrauchstäterin zu inszenieren - jedenfalls zählt diese Szene zu den packendsten des Abends, gerade wegen ihrer vielschichtigen Boshaftigkeit.

Krasse Show im Wut-Wucht-Style

Im übrigen aber schmeißen sich die Performerinnen und Performer in seinen Wut-Wucht-Style als ginge es hier vor allem um die voll krasse Show, nur Cola Ho Lok Yee als Athene wahrt die souveräne Coolness in der Rasanz. Immerhin gelingt die Vandekeybus-typische Kombination der Medien Film und Bühne. So kommuniziert das Götter-Elternpaar nur von der Leinwand herab mit den „Kindern“ auf der Tanzfläche. Und auf einer zweiten Leinwand erscheint der Flamenco-Star Israel Galvàn als blinder Seher Tiresias, der laut Mythos auch nicht gerade frei von Macho-Allüren war. Wohl auch deshalb trommelt sich Galvàns Figur mit exzessiver Bodypercussion in die lautstarke Lächerlichkeit. Viel Lärm, viel Nonsense, so Galvàns Kommentar zur Propheten-Karikatur. Keine blinde Verehrung alter Gottheiten mehr! Das muss allerdings auch für stilprägende Choreografen gelten.

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