Taylor Swifts VorbildWarum die Generation Z ausgerechnet Fleetwood Mac liebt

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Stevie Nicks und Lindsey Buckingham von der Band Fleetwood Mac teilen sich auf der Bühne des Civic Center in Providence, Rhode Island ein Mikrofon. Die Aufnahmen stammt aus den 1970er Jahren.

Das dysfunktionalste Paar der Rockgeschichte: Stevie Nicks und Lindsey Buckingham

Stevie Nicks hat ein Gedicht für Taylor Swift geschrieben. Aber das ist nicht der einzige Grund, warum junge Menschen ihre Band Fleetwood Mac lieben.

„She was too hot to handle/He was too high to try“, binnenreimt Stevie Nicks in Erinnerung an einen Verflossenen. Es kann sich, so viel ist klar, nur um ihren ehemaligen Fleetwood-Mac-Bandkollegen Lindsey Buckingham handeln. Später heißt es noch: „Sie war eine Informantin/Er ein Ex-Liebhaber.“ Was nicht nur das große Liebes- und Rachedrama im Zentrum von Nicks künstlerischen Schaffen beschreibt, sondern auch Taylor Swifts ästhetisches Programm, sich anhand der eigenen Beziehungsgeschichte zur Rachegöttin aller verschmähten und verletzten Frauen aufzuschwingen.

Das Nicks-Gedicht findet man abgedruckt in den physischen Tonträgern von Swifts aktuellem Album „The Tortured Poets Department“, das nach Erscheinen die beste Streaming-Woche aller Zeiten für ein Album für sich verbuchen konnte. Wo wir von Rekorden sprechen: Fleetwood Macs „Rumours“ hat bereits Anfang des Jahres fünf Millionen Streams auf Spotify überschritten.

Taylor Swift bricht alle Streaming-Rekorde, Fleetwood Mac aber auch

„Rumours“ war niemals nicht erfolgreich - nach seiner Veröffentlichung im Februar 1977 hielt sich das Album 31 Wochen lang auf Platz 1 der Billboard-Charts. Doch während die Zahl der Menschen unter 25, die „Frampton Comes Alive!“ (das in den USA erfolgreichste Album des Jahres 1976) kennen, überschaubar sein dürfte, hat „Rumours“ alle anderen Klassiker der 1970er Jahre an Popularität überholt. Auch dank Harry Styles, der „The Chain“, das einzige Stück auf dem Album, das die Band gemeinsame komponiert hat, regelmäßig auf seinen Konzerten covert. Und dank Swift, die sich für Nicks Widmung mit einer namentlichen Erwähnung ihres Vorbilds im finalen Song von „The Tortured Poets Department“ bedankte.

Erinnert sich noch jemand an das virale Tiktok-Video eines Mannes, der zu Stevie Nicks „Dreams“ Traubensaft trinkend tiefenentspannt auf seinem Skateboard fährt? Gib man dieser Tage „Fleetwood Mac“ bei Tiktok ein, stößt man zuerst auf einen anderen Clip, eine Live-Aufnahme der Ballade „Silver Springs“. Die hat es in sich, aber zuerst sollte man kurz rekapitulieren, was genau „Rumours“ - abgesehen von seinen exzellenten, sämtlich Single-würdigen Songs - so herausragend und für die heutige Poplandschaft visionär macht.

Denn während die fünfköpfige Band die harmonischste und radiofreundlichste Musik ihrer wechselvollen Geschichte produzierte, hatten sich ihre Mitglieder in ein schwer entwirrbares Netz aus persönlichen Verwerfungen verstrickt: Keyboarderin Christine McVie und Bassist John McVie ließen sich nach acht Jahren Ehe scheiden. Angeblich vergnügte sie sich mit ihrem neuen Liebhaber im Studio, während ihr Noch-Mann in einer abgeschlossenen Kabine nichtsahnend seine Bassläufe einspielte. Über ihr neues Glück schrieb sie den Song „You Make Loving Fun“ - John McVie erzählte sie, er handele von ihrem Hund.

„Rumours“-Produzent Ken Caillat beschreibt, wie Lindsey Buckingham und Stevie Nicks während der Aufnahmen ihre Background-Harmonien perfekt einsangen, aber sich zwischendrin auf das Übelste beschimpften. Sie kannten sich seit ihrem 16. Lebensjahr und waren als Paar gemeinsam zur Band gestoßen, jetzt befanden sie sich mitten in einer hässlichen Trennung, deren Schockwellen bis heute zu spüren sind: 2018 sorgte Nicks dafür, dass Buckingham aus der erfolgreich tourenden Band gefeuert wurde.

Drummer Mick Fleetwood entdeckte während der „Rumours“-Aufnahmen, dass seine Frau, die Mutter seiner beiden Kinder, ihn mit seinem besten Freund betrog und ließ sich bald darauf auf eine Affäre mit Nicks ein.

Die Band verarbeitete diesen Reigen aus Liebe, Hass und gegenseitigen Schuldzuweisungen direkt in ihren Lyrics, und notgedrungen musste dabei jede und jeder gute Miene zum bösen Spiel machen. Womit Fleetwood Mac den bekenntnishaft-voyeuristischen Pop von heute ebenso vorwegnahmen wie die öffentliche Gier nach anzüglichen Details. In „Silver Springs“ stimmt Stevie Nicks den großen Abgesang auf ihre gescheiterte Beziehung an - „Ich weiß, ich hätte Dich lieben können/Aber Du lässt mich nicht“ - und droht Buckingham mit der Langlebigkeit ihrer Kunst: „Der Klang meiner Stimme wird Dich heimsuchen.“ Die Zeile könnte von Swift stammen. Doch der Song schaffte es nicht auf „Rumours“, angeblich aus Platzgründen, was Mick Fleetwood einer tobenden Nicks auf dem Parkplatz vorm Studio erklären musste.

Für ihre Rache ließ sich die Sängerin Zeit. Als sie und Buckingham 1997 für eine DVD-Aufzeichnung und eine anschließende Arenatour zur Band zurückkehrten, bestand Nicks darauf, „Silver Springs“ auf die Setliste zu setzen. Die langen Proben und einige Probekonzerte verliefen ereignislos. Doch am Abend der Aufzeichnung in den Warner Brothers Studios - ein Video davon finden Sie auch auf Youtube - wendet sich die Sängerin - längst der größte Solostar der Band - während der zweiten Hälfte des Liedes zu ihrem Ex um, durchbohrt ihn mit Blicken und wirft ihm die erwähnten Zeilen wie einen Fluch an den Kopf.

Sie ist die Chefin des Tortured Poets Department - und eben dies erklärt den nachhaltigen Erfolg von Fleetwood Mac bei der Generation Z.

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