Trio verlässt WDR-„Mitternachtsspitzen“„Wir hatten 28 schöne Jahre“

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Jürgen Becker, Uwe Lyko und Wilfried Schmickler (von links)

Jürgen Becker, Uwe Lyko und Wilfried Schmickler (von links)

  • Fast 30 Jahre lang waren Jürgen Becker, Uwe Lyko und Wilfried Schmickler Teil der „Mitternachtsspitzen“.
  • Am Samstag um 21.45 Uhr läuft die Sendung ein letztes Mal mit dieser Stammbesetzung im WDR. Danach ist für das Trio Schluss.
  • Im Interview sprechen die Kabarettisten unter anderem über schöne Erinnerungen und Momente, die sie lieber vergessen würden.

Herr Becker, Herr Lyko, Herr Schmickler. Nach der Sendung am Samstag ist für Sie bei den „Mitternachtsspitzen“ Schluss. Mit welchem Gefühl schauen Sie auf Ihren Abschied? Jürgen Becker: Vor allem mit Dankbarkeit, dass wir das so lange gemeinsam machen konnten. Es hätte ja auch sein können, dass einer von uns stirbt. Wir hätten auch aus dem Sender rausfliegen können. Ist alles nicht passiert. Wir hatten 28 schöne Jahre.

Wilfried Schmickler: Bei mir ist auch ein komisches Gefühl dabei, ob mir das nicht fehlen wird, weil es so lange fester Bestandteil meines Lebens war, mich einmal im Monat auf die Sendung vorzubereiten. Vielleicht stehe ich im Januar oder Februar da und denke: Huch, gar keine Sendung.

Uwe Lyko: Nicht, dass du da trotzdem hinfährst, Wilfried. So wie Trump, der auch nicht gehen will. Ich selbst bin gespalten. Da ist Wehmut, das war eine tolle Zeit mit vielen Erinnerungen daran, wie „Loki und Smoky“ entstanden ist, wie die „Überschätzten Paare“ entstanden sind, wie meine Figur, der Knebel zum Publikumsliebling geworden ist. Aber es ist auch ein guter Zeitpunkt, jetzt aufzuhören. Wilfried und ich haben schon seit fünf Jahren überlegt, wie lange wir das noch machen wollen. Jetzt sind Fakten geschaffen. Und auf die Annonce „Erfolgreiche Sendung in gute Hände abzugeben“ hat sich ja zum Glück Christoph Sieber gemeldet.

Wie hat sich die Sendung im Laufe der Jahre verändert?

Lyko: Ich bin immer erstaunt, wenn ich eine alte Ausgabe sehe, wie sehr sich die Sendung verändert hat. Sie ist bunter geworden, abwechslungsreicher. Wir haben auch viel ausprobiert.

Schmickler: Was sich auch noch verändert hat, ist die Beziehung zwischen uns Akteuren und denjenigen, die uns zuarbeiten und die Sendung verwirklichen. Mit den unterschiedlichen Gewerken sind wir mittlerweile richtig befreundet, sei es Bühnenbau, Kamera, Kostüm oder Maske. Die werden mir alle sehr fehlen.

Becker: Und dass Dietmar Jacobs hinzugekommen ist, hat der Sendung einen Schub gegeben. Er hat den Blaubär erfunden, diese wunderbare Rubrik, er hat „Loki und Smoky“ geschrieben und all die Jahre tolle Texte geliefert.

Sie sind seit vielen Jahren das Herz der Sendung. Sind es denn überhaupt noch die „Mitternachtsspitzen“, wenn Sie weg sind?

Schmickler: Wenn Sie Herzpatient sind und Sie kriegen ein neues Herz, sind Sie doch auch noch dieselbe. Natürlich wird sich die Sendung ändern, hoffentlich sogar. Die neuen Leute werden neuen Schwung reinbringen, ihr ihren Stempel aufdrücken. Ich sehe da sehr gelassen in die Zukunft.

Becker: Sie werden das Gesicht der Sendung verändern. Und das ist auch gut so. Man kann ja seine Persönlichkeit nicht verstecken. Christoph Siebert ist ein gestandener Kabarettist, der das schon sehr lange macht.

Die Personen

Jürgen Becker wurde 1959 in Köln geboren, er gehörte 1983 zu den Gründern der Stunksitzung. Seit 1991 Soloprogramme, so das „Biotop für Bekloppte“, das die 2000-jährige Kölner Stadtgeschichte auf ganz eigene Art nacherzählt.

Wilfried Schmickler wurde 1954 in Hitdorf geboren. Die „Mitternachtsspitzen“ prägte er unter anderem mit dem Ausruf „Aufhören, Herr Becker! Aufhören!“ Als Solokünstler wurde er mit dem Deutschen Kabarettpreis ausgezeichnet.

Uwe Lyko wurde 1954 in Duisburg geboren. 1988 schuf er seine Figur Herbert Knebel. Lyko spielte an der Seite von Schmickler in den „Mitternachtsspitzen“ regelmäßig in der Parodie Loki und Smoky die Rolle des Altbundeskanzlers Helmut Schmidt.

Wenn Sie auf die Jahre mit den „Mitternachtsspitzen“ zurückblicken, ist Ihnen etwas besonders in Erinnerung geblieben?

Schmickler: Für mich war eines der beeindruckendsten Erlebnisse, als Hanns Dieter Hüsch zum letzten Mal in die Sendung kam. Er war körperlich schon sehr schwach, aber wie er dann auf der Bühne mit seiner Kraft, Energie und Poesie nochmal den ganzen Saal bezaubert hat, werde ich nie vergessen.

Lyko: Mir ist unvergessen geblieben, wie wir das erste Mal „Loki und Smoky“ gemacht haben. Ich sitze vor dem Spiegel, bekomme die Perücke auf und sage zur Maskenbildnerin: „Oh, ich sehe aus wie mein Vater“. Danach drehe ich mich zu Wilfried um – und er steht da mit einer Strumpfhose, hochgezogen bis unter die Achselhöhlen. Und ich sage nur: „Mein Gott, wie tief kann man sinken.“

Schmickler: Dieser Klamauk, sich für nichts zu schade zu sein, zeichnet uns alle drei aus. Wir sind nicht nur ernst arbeitende Künstler, wir können uns auch selbst in die Pfanne hauen und uns von unserer idiotischsten Seite zeigen.

Becker: Bei mir war es der Moment, als ich den Unfall hatte, im Krankenhaus in Hamburg lag und ihr mich trotzdem vom Krankenbett aus eingebunden habt. Das werde ich euch nie vergessen.

Gibt es auch etwas, das Sie bereuen?

Lyko: Ich musste bei den Paaren mal Christian Wulff machen. Das war für mich eine Katastrophe. Ich habe das überhaupt nicht hingekriegt. Ich wusste auch gar nicht, wo ich ansetzen sollte. Als wir die Nummer gespielt haben, hat die linke Gehirnhälfte den Text abgespult, die rechte hat gedacht: Lieber Gott, lass sich eine Klappe auftun, in der ich verschwinden kann.

Becker: Wulff ist danach ja auch zurückgetreten. Er hat gemerkt, der Lyko kann das nicht, da hat er aufgehört. Da sage noch einer, Kabarett bewirke nichts.

Schmickler: Ich bin oft sehr ungeduldig und lärmempfindlich. Situationen, in denen ich hinter der Bühne backstage die Nerven verloren habe, weil Leute meiner Meinung nach zu laut waren, würde ich gern ungeschehen machen.

Hat sich die Intention von Kabarett verändert? Früher versuchte man doch eher, die Leute dazu zu bringen, sich auch mal aufzuregen. Heute regen sich sowieso schon alle auf.

Schmickler: Es ist irgendwann der Punkt gekommen, an dem wir das Gefühl hatten, wir müssen die Politiker verteidigen. Es geht nicht darum, ihre Partei ergreifen, soweit darf es nicht gehen. Aber wir müssen das Berufsbild verteidigen gegen all die, die mit maßlosen Unverschämtheiten auf diese Leute eindreschen und ihnen verbrecherische Absichten unterstellen. Weil die Stimmung in der Gesellschaft zunehmend von aggressiven Kräften dominiert wird, haben wir gemerkt, dass wir mehr zur Verfreundlichung beitragen müssen.

Becker: Wir mussten uns von der Attitüde verabschieden, gegen die Gesellschaft zu sein. Am Ende mussten wir sie verteidigen, denn wir haben ihr auch viel zu verdanken.

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Kabarett galt ja lange als eine Hochburg der Linken, die ihre eigenen Positionen bestätigt sehen wollen. Verhält sich das noch so? Oder hat sich das Publikum verändert im Laufe der Zeit?

Schmickler: Das Publikum ist ein Querschnitt der Bevölkerung. Durch Leute wie Uwe, die den Grat zwischen Comedy und politischer Komik, die gesellschaftliche Relevanz hat, treffen, hat sich das geöffnet. Seit das Kabarett nicht mehr so verbissen dagegen ist, kommen Leute, die früher nie ins Kabarett gegangen wären. Und die verbissene, theoretische Linke belächelt uns eigentlich eher mit unserer volkstümlicheren Art, mit Dingen umzugehen. Für die sind wir kein wesentlicher Beitrag zur Theoriedebatte.

Becker: Es gibt Sendungen wie „Die Anstalt“, die das sehr gut machen. Wir sind doch eher dem Volkstheater verhaftet.

Gibt es Tabus, die man nicht anrühren sollte?

Schmickler: Als es um Charlie Hebdo und die Frage ging, ob Satire alles darf, war meine Erwiderung: Natürlich darf Satire alles, aber sie muss nicht alles machen, was sie darf. Wovon ich gar nichts halte, ist dieser bewusste Tabu-Bruch, bei dem man sich des Shitstorms bewusst ist, der am nächsten Tag losbricht. Ich vertrage das nicht, wenn Leute im Zusammenhang mit der Genderdiskussion, Rassismus oder politisch korrekter Sprache extra Tabus brechen, um einen Aufstand zu provozieren. Und das wird dann als Bewusstseinserweiterung verkauft.

Wie finden Sie es eigentlich, dass man jede Sendung, jede Nummer später in den sozialen Netzwerken auf ewig anschauen kann?

Schmickler: Ich empfinde das als Fluch. Es ist ja so, dass eine Sendung, die einen Zusammenhang hat, unendlich zerstückelt wird. Wir wollen 60 Minuten machen, die irgendwie stimmig sind. Zum Bespiel sind alle meine „Aufhören“-Nummern, die im Netz sind, unerträglich, weil sie nur im Zusammenhang mit der Sendung zu verstehen sind. Isoliert wirkt das albern, überdreht, furchtbar. Ich kann es nicht sehen.

Becker: Also ich gucke mir tatsächlich gerne von Kollegen solche Schnipsel bei Youtube an. Aber seine eigenen Jugendsünden wird man natürlich nie los. Wir waren einmal in einer Folge mit Richard Rogler in der Sauna. Als wir die gemacht haben, gab es noch gar kein Internet. Irgendwer hat es dann aber später reingestellt. Und jetzt ist man da lebenslänglich nackt zu sehen. Das ist auch nicht schön.

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