„Vom Wind verweht“Neues Hörspiel erzählt die Liebesgeschichte aus Sicht der Sklavin

„Vom Wind verweht – die Prissy Edition“: Prissy gilt in der Neuadaption als Gegengewicht zu Scarlett O'Hara.
Copyright: WDR/Hélène Baum-Owoyele
Köln – Margaret Mitchells Roman „Gone with the Wind“ von 1936 war ein Welterfolg. Doch die Liebesgeschichte von Scarlett O’Hara und Rhett Butler wurde mit der Zeit auch immer umstrittener: Mitchell stellt die Sklaverei in den Südstaaten als Selbstverständlichkeit dar, verharmlost und romantisiert den Rassismus im Amerika der Bürgerkriegszeit. Wie kann die Geschichte also heute erzählt werden? Der WDR gibt die Antwort in einem Hörspiel: „Vom Wind verweht – Die Prissy Edition“. Die Geschichte von Scarlett O’Hara erzählt aus der Sicht der Sklavin Prissy. „Rassismus ist in der heutigen Zeit noch immer ein ungelöstes Problem. Das Hörspiel ermöglicht es sich gleichzeitig mit dem historischen und aktuellen Rassismus auseinanderzusetzen“, sagt die Dramaturgin des Hörspiels, Christina Hänsel.
Dabei hatte die Projekt-Idee hinter der Neuadaption zu Beginn vor allem einen feministischen Hintergrund. „Wir wollten mehr Stoffe von Autorinnen im Repertoire haben und haben zudem Frauenfiguren gesucht, die nicht den typischen Stereotypen entsprechen“, sagt Hänsel. Das liege nun schon fünf Jahre zurück. „Es war uns von Anfang an klar, dass der Umgang mit den Rassismen im Text eine zentrale Rolle spielen muss. Deshalb haben wir die versklavten Figuren aus ihren passiven Rollen geholt und ins Zentrum gestellt.“ Sie übernehmen zum Beispiel die Erzählstimmen und ordnen so die Geschehnisse kommentierend ein.

Die Neuadaption des WDR thematisiert den historischen und den gegenwärtigen Rassismus.
Copyright: WDR/Hélène Baum-Owoyele
Prissy gilt in dem Hörspiel als Gegengewicht zu Scarlett. „Prissy ist eine widerständige Person, die nicht Teil des Systems der Ausbeutung sein will“, sagt Hänsel. „Sie ist also nicht tollpatschig, weil sie zwei linke Hände hat, sondern weil sie sich gegen Scarlett und die Zustände stellt.“
„Vom Wind verweht – die Prissy Edition“ zeigt eine neue Ebene der Nachfahren im heutigen Berlin
Nach dem Polizeieinsatz und Tod Georg Floyds im Mai 2020 in den USA stellten Christina Hänsel und ihre Kolleginnen das Hörspiel allerdings auf den Prüfstand: „Können, sollen, wollen und dürfen wir das noch machen?“ Das Ergebnis: Die reine Kommentierung reichte nicht mehr aus, stattdessen sollte eine aktuelle Ebene eingebaut werden, so Hänsel. „Dafür haben wir eine Autorin mit einer weiblichen Schwarzen Perspektive gesucht und mit Amina Eisner gefunden.“
Die afrodeutsche Theaterschaffende erweitert das Hörspiel um die Ebene der Nachfahren von Prissy. Die afrodeutsche Familie lebt im heutigen Berlin und erbt die in den 1860er Jahren beginnenden Aufzeichnungen der damaligen Sklavin. Sie lassen die Zuhörenden Alltagsrassismus, Aktivismus und ihr Familienleben hautnah miterleben. „Wir können also Alltagserfahrungen mit verschiedenen Formen des Rassismus im heutigen Deutschland mitspüren und gleichzeitig etwas über die Wurzeln des Rassismus erfahren“, sagt Hänsel.
Auseinandersetzung mit dem Thema Rassismus
Bei der zusätzlich entworfenen Ebene des Hörspiels war der Dramaturgin etwas besonders wichtig: „Wenn wir auf der fiktionalen Ebene bleiben, haben wir die Chance, mehr Menschen zu erreichen als über einen dokumentarischen Zugang. Und trotzdem können die Menschen, die von einem Hörspiel primär unterhalten werden wollen, ihre eigene Haltung reflektieren.“
Hörspiel-Infos
„Vom Wind verweht - Die Prissy Edition“ von Margaret Mitchell und Amina Eisner: Vom 8. März bis 1. April 2021 jeweils Montag bis Donnerstag eine neue Folge. Um 19:04 - 19:35 Uhr in WDR 3 und 20:04 - 21:00 Uhr in WDR 4 oder im WDR-Hörspiel-Speicher.
Das Hörspiel hält, was es im Titel verspricht. Die Zuhörenden erleben die dramatische Liebesgeschichte der Scarlett O’Hara. Doch schon beim Intro wird der Fokus der „Prissy Edition“ deutlich. Eine Collage aus der Rede von Martin Luther King „I have a dream“ und des Songs „Strange Fruit“, hier in der Interpretation von Nina Simone, in dem es um Lynchmorde an Schwarzen in den Südstaaten geht, regt zur Auseinandersetzung mit dem Thema Rassismus an. Aus der Welt der Scarlett sollen die Zuhörenden über das fiktive Berlin in die Realität überführt werden, sagt Hänsel. Jede Folge endet nämlich mit einem O-Ton eines Sprechers oder einer Sprecherin: „If I had a dream …“. „Uns war wichtig einen positiven Ausblick zu geben und unterschiedliche Menschen und Positionen hörbar zu machen“, sagt die Dramaturgin.
Bei der Besetzung sei für sie zudem entscheidend gewesen, nicht nach Hautfarbe zu besetzen. „Bei den historischen Rollen wurde zum Beispiel eine rassistische Frau mit einer Schwarzen Sprecherin besetzt, die ihre Erfahrungen mit rassistischen Erlebnissen einbringen konnte“, sagt Hänsel. Die Familie aus Berlin ist ausschließlich afrodeutsch besetzt. „Uns war wichtig, dass der Cast möglichst divers ist.“
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Und warum heißt es „Vom Wind verweht“ und nicht wie überwiegend bekannt: „Vom Winde verweht“? „Das ist keine Erfindung von uns. Wir haben uns an der Neuübersetzung aus dem Jahr 2020 orientiert“, sagt Hänsel. In der Übersetzung von 1937 sei die Sprache romantisiert worden. Die Neuübersetzung habe sich aber mehr an den nüchternen Schreibstil von Mitchell gehalten. „Deswegen ist auch das –e als romantisierendes Anhängsel weggefallen.“
Die Ausspielung des sechzehnteiligen Hörspiels wird in der ersten Sendewoche von einer Themenwoche zu „Schwarze Geschichte und Gegenwart“ auf WDR3 begleitet.