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Week-End-Fest in Köln„Ihr bösen Menschen, ich hasse es hier!“

5 min

Die französisch-mongolische Sängerin Céline Dessberg auf dem Week-End-Fest 2025

Das Week-End-Fest huldigte an zwei Nächten im Stadtgarten einer alternativen Popgeschichte: jazziger, konfrontativer, aber auch zärtlicher.

„Hört auf zu lachen!“, bellt Angel Bat Dawid, während sie sich, mit changierenden Gewändern und selbst aufgefädelten Ketten behangen, ihren Weg durch die Menge bannt, wie ein afrofuturistisches Schlachtschiff. „Ihr lacht, während ich Gott verehre! Das ist nicht komisch.“ Die Leute im Stadtgarten weichen, sichtlich nervös, zurück. Zu spät. Dawid eskaliert, wirft sich auf den Boden, schreit auf: „Ihr bösen Menschen, ich hasse es hier! Ihr lacht über unseren Schmerz, flieht vor eurer Verantwortung. Dachtet ihr, ich komme nach Europa und werde schweigen?“

Als sie die Bühne betritt, auf die Pianistin Naima Nefertari – übrigens die Tochter von Neneh Cherry – sie mit Zimbelklängen gelockt hat, herrscht im Publikum eingeschüchterte Aufmerksamkeit. Sie wird belohnt, mit berückenden Free-Jazz-Mantras. Angel Bat Dawid bläst die Klarinette, bedient den Mini-Moog, hält Gottesdienst: „Habt ihr die neuesten Nachrichten vom Neptun gehört? Das ist kein Entertainment hier, das ist der echte Scheiß!“ Am Ende leitet sie den Saal zum Kanon an, alle geben ihr Bestes, bilden eine Gemeinschaft und ernten endlich das Lob der strengen Zuchtmeisterin aus Chicago: „It's good, Cologne.“

Das Week-End-Fest, inzwischen im 14. Jahr seines Bestehens, besucht man für ebensolche Momente, für Künstlerinnen und Künstler, die den Rahmen des Gewohnten sprengen, für eine alternative, aufregendere Musikgeschichte.

Das Week-End-Fest sprengt den Rahmen des Gewohnten

Angela Bat Dawid begegnet uns noch einmal, intoniert Pharoah Sanders' „Prince of Peace“ im Rahmen der kleinen Werkschau des Strata-East-Labels des Bassisten Stanley Cowell und des Trompeters Charles Tolliver. Die Strata-East-Veröffentlichungen aus den 70er Jahren dienten der kreativen Elite des Hip-Hops – Q-Tip, The Pharcyde, J Dilla, Kendrick Lamar, Madlib – als Sample-Goldgrube. Week-End-Veranstalter Jan Lankisch hatte sich in New York mit Tolliver angefreundet und ihm eine Big-Band versprochen. Jetzt, nach seinem gefeierten Auftritt, schüttelt der noch immer ungläubig den Kopf.

Die Flötistin Jorik Bergman, seit fünf Jahren als Arrangeurin und generelle Ermöglicherin beim Week-End aktiv, hat ihm eine zehnköpfige Band aus der Kölner Jazz-Szene zusammengestellt, die sich zuerst noch ein wenig vorsichtig, dann zunehmend gelöster durch das reichhaltige, hart groovende, dann wieder berührend lyrische Strata-East-Repertoire spielte: Erneut ist eine Brücke geschlagen worden.

Der New Yorker Trompeter Charles Tolliver auf dem Week-End-Fest 2025

Bergman hat unmittelbar zuvor ein Streichquartett im Jaki dirigiert, das in den dicht gefügten Funk des Londoner Newcomers Fred N'thepe intervenierte, der sich den nur hierzulande nicht verrätselten Namen Neue Grafik gegeben hat.   Im Festival-Idealfall geraten wiederentdeckte Veteranen und jüngere Acts in fruchtbaren Dialog. Den Tanzzwang von Neue Grafik greift spät in der Nacht Techno-Legende Carl Craig auf und am nächsten Abend A Guy Called Gerald, ohne dessen Album „Black Secret Technology“ die 90er anders verlaufen wären. „Breakbeat, Jungle, Drum'n'Bass“, bemerkt der Brite zwischen magenmassierenden Bässen, „nennt es wie ihr wollt, am Anfang war es einfach Musik.“

Manchmal sind es dagegen die harten Kontraste, die zu später Stunde wachhalten. Auf die quasi-akademische Big-Band-Virtuosität der Strata-East-Bing-Band folgt das norwegische Duo Smerz. Ihren Namen haben Catharina Stoltenberg und Henriette Motzfeldt dem deutschen Binnenreimwort „Herzschmerz“ entlehnt, live lassen sie sich von zwei Musikern unterstützen. Ihr Gesang ist unterkühlt, die instrumentalen Fähigkeiten eher rudimentär, aber jede minimale Geste wird mit der größtmöglichen Coolness ausgeführt, dunkel und sexy geht es in die Nacht.

Die britische Multi-Instrumentalistin Emma-Jean Thackray auf der Bühne des Stadtgartens

Die Tradition Tollivers setzt dann Samstagmitternacht Emma-Jean Thackrays kosmischer Jazz-Funk auf der großen Bühne fort – und ebenso die Beat-Bastlereien seiner Sampler. Ursprünglich sollte die hochbegabte Multinstrumentalistin aus London – auf der Bühne spielt sie Gitarre, Trompete und singt, auf ihren Alben übernimmt sie sämtliche Instrumente – schon 2021 auf dem Week-End auftreten, musste wegen Krankheit absagen. Dann starb Anfang 2023 unerwartet ihr langjähriger Partner. Thackray ließ die Trauerarbeit in ihr aktuelles Album „Weirdo“ einfließen: „Das ist aus so viel Schmerz entstanden“, erzählt sie auf der Stadtgarten-Bühne, „aber am Ende hat es mein Leben gerettet.“ In ihren Texten beschwört sie das tiefe Verzweiflungsloch, in das sie fiel, mit ihrer quecksilbrigen Musik katapultiert sie sich virtuos ins Freie.

In seinen Anfängen feierte das Week-End immer wieder alte Indie-Helden, deren Geschichten sind nun langsam auserzählt, und je tiefer das Festival stattdessen in die Jazz-Historie und die Musik, die im großen Rest der Welt gespielt und gehört wird, eintaucht, desto angenehm diverser wird auch das Publikum. So kann sich die französisch-monoglische Sängerin Caroline Dessberg über ein paar mongolische Gesichter unter den Besuchern freuen. Sie spielt, wenn sie nicht zur akustischen Gitarre greift, eine 21-saitige Yatga. Die große mongolische Zither ist ein Geschenk ihrer asiatischen Verwandtschaft und sollte eigentlich nicht zu ihren sanft-beschwingten frankophonen Chansons passen – verleiht ihnen aber eine äußerst charmante, leicht unwirkliche Note. Der Saal reagiert verzückt, eine echte Überraschung.

Die britische Band A. R. Kane erfüllt dagegen so perfekt sämtliche Week-End-Kriterien, man wundert sich, dass sie erst jetzt in Köln zu sehen sind. Genauer gesagt eine Hälfte des Duos, Rudy Tambala, unterstützt von einem Klarinettisten. A. R. Kane fusionierten in den 80ern tiefenentspannten Dub, psychedelischen Krach und das, was sie selbst „Dream Pop“ tauften, zu einer zuvor unerhörten Mischung, später kamen noch Dance-Einflüsse dazu. Auch als Kinder afrikanischer Migranten stachen sie aus der bleichen britischen Indie-Szene heraus – ihr Einfluss ist bis heute schwer unterschätzt.

Tamabalas Ableton-Workstation überhitzt mehrmals, doch das tut der Wirkung des Auftritts keinen Abbruch: So viel Zärtlichkeit, so viel sanft beschwingter, aber alles andre als zahnloser Lärm, man will das unbedingt wieder hören.