Der Mythos bleibtWolfgang Niedecken schreibt zum 80. Geburtstag über Bob Dylan

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Wolfgang Niedecken, der am 30. März 70 Jahre alt wird, hat sich nahezu sein ganzes Leben lang mit Dylan, der am 24. Mai 80 Jahre alt wird, beschäftigt.

Köln – Mit dem Begriff „Prägung“ bezeichnet die Psychologie einen weitgehend unumkehrbaren Prozess. Deshalb ist es ein großes Wort, wenn Wolfgang Niedecken schreibt: Bob Dylan hat „mein Leben entscheidend geprägt.“ Zweimal hat der BAP-Chef den Literaturnobelpreisträger und Musikerkollegen persönlich getroffen. Jeweils backstage nach einem Konzert des Amerikaners in Köln und in Saarbrücken. Beim zweiten Mal standen sie sich sogar „mutterseelenallein“ gegenüber.

Gerne hätte Niedecken bei dieser Gelegenheit seinen Dank zum Ausdruck gebracht – Dank für Inspiration und Orientierung. Aber das hätte den „fragilen Moment“ wohl ruiniert, meint er. Was hätte Bob Dylan dazu auch sagen sollen?

Jetzt schildert Niedecken, der am 30. März 70 Jahre alt wird, seine nahezu lebenslange Beschäftigung mit Dylan, der am 24. Mai 80 Jahre alt wird, in einer langen Reiseerzählung. Die erscheint in der rasant wachsenden „Musikbibliothek“ von Kiepenheuer & Witsch. Dass es der elfte Band der Reihe ist, kann nur ein kölscher Zufall sein. Aber kein Zufall ist, dass Niedecken über Dylan schreibt – einen kundigeren Kopf hätte man hierzulande kaum finden können.

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Bob Dylan ist Wolfgang Niedeckens Inspirationsquelle

Kein deutschsprachiger Künstler bekennt sich so entschlossen und so beharrlich zu der Inspirationsquelle Dylan wie er. Das bezeugen auch die vielen Coverversionen von Dylan-Songs. Einige davon erschienen als geballte Ladung im Jahre 1995 auf Niedeckens Soloalbum „Leopardefell“. Nun kommen weitere Aufnahmen hinzu. Anlässlich von Niedeckens bevorstehendem Geburtstag, den er ursprünglich mit einem Konzert in der Lanxess-Arena feiern wollte, werden am 26. März „vier Raritäten aus der Vorzeit“ angeboten – darunter zwei neue Dylan-Bearbeitungen: „Su ne Morje“ (im Original: „One Too Many Mornings“) und „Wo dä Nordwind weht“ („Girl From The North Country“).

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Wolfgang Niedecken in den Büros des KIWI-Verlages

Außerdem wird der in alten Unterlagen aufgespürte Song „Leev Frau Herrmanns“ veröffentlicht, der nun offiziell „Helfe kann dir keiner“ als ersten Song der BAP-Geschichte ablöst. Dieser Debüt-Song stammt aus dem Jahre 1976, als Dylan „Desire“ veröffentlichte. Exemplarisch lässt sich anhand dieses exzeptionellen Albums die Bandbreite der Einflüsse zeigen: Künstlerisch war es das Geigenspiel von Scarlet Rivera, mit Nachwirkungen auf die aktuelle BAP-Besetzung, und familiär ist das Album dadurch verewigt, dass eine Niedecken-Tochter ihren Vornamen vom Song „Isis“ herleiten kann.

Neues Buch: USA-Reise auf Dylans Spuren

Aus dieser Nähe heraus begab sich Niedecken 2017 für eine fünfteilige Arte-Dokumentation von Hannes Rossacher auf Dylans Spuren durch die USA. Die Geschichte dieser Reise ist der Kern des Bandes. Tatsächlich handelt es sich um drei Erfahrungsräume, die hier aufgeschlossen werden. Selbstverständlich geht es in erster Linie um einen überragenden Künstler, der auch seine schwachen Auftritte hat. Dann sind da die Eindrücke von einem großen Land, das manchmal sehr klein wirkt und das einem Donald Trump zur Präsidentschaft verholfen hat.

Schließlich und sehr deutlich findet sich hier eine andere Art der Autobiographie: Wenn Niedecken über Dylan redet, dann redet der Mann, den man einst als „Südstadt-Dylan“ bezeichnet hat, zwangsläufig auch über sich. Die Spiegelungen in diesem schmalen Band sind Legion. Das kann gar nicht anders sein bei einem Künstler, der sagt: „Bob Dylan war, wenn auch unbemerkt, immer da für mich.“

Niedecken auf der Suche nach legendären Orten

Der Drehplan bestimmt die Reiseroute. Los geht es in Washington. Doch der chronologisch korrekte Startpunkt ist selbstverständlich Duluth, wo Robert Allen Zimmerman am 24. Mai 1941 geboren wurde. Vor Ort staunt Niedecken: „Wenn ich mir überlege, mit welchem Stolz die Liverpooler ihre Beatles abfeiern, kommt es mir, euphemistisch ausgedrückt, äußerst bescheiden vor, wie man in Duluth mit dem offensichtlich größten Sohn der Stadt umgeht.“

Dessen Aufstieg begann, als sich der Teenager Robert in Bob Dylan umbenannte und in New York landete. Dort sucht Niedecken noch einmal die legendären Orte auf, die ihm schon von früheren Aufenthalten in der Stadt vertraut sind. So zum Beispiel Gerde's Folk City, wo Dylan 1961 seinen ersten Aufritt hatte (im Vorprogramm von John Lee Hooker), oder die Jones Street, wo das winterliche Cover zu „The Freewheelin' Bob Dylan“ (1963) entstand – mit Freundin Suze Rotollo, die sich an den frierenden Schlacks schmiegt.

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Woodstock ist eine weitere wichtige Adresse. Nicht wegen des Festivals, bei dem Dylan nicht aufgetreten ist, sondern wegen des pinkfarbenen Gebäudes in den Wäldern, wo Dylan eine Fülle von Titeln eingespielt hat. Da ist Niedecken ganz Fan: „Ich muss schon sagen, in diesem Keller zu stehen, wo von „Quinn The Eskimo“ über „I Shall Be Released“ und „This Wheel's On Fire“ bis „You Ain't Goin' Nowhere“ all die Songs aufgenommen wurden, die Jahre später unter dem Titel „Basement Tapes“ weltweit für Furore sorgten, hatte etwas von einem Traum.“

Zwar ist Niedeckens Dylan-Trip keine Never Ending Tour durch die USA. Aber zahlreiche weitere Tatorte werden aufgesucht. New Orleans wird dabei als besonders attraktives Ziel in Szene gesetzt. Immer wieder gibt es Gespräche mit Zeitzeugen. Aufschlussreich nicht zuletzt jene mit den Dylan-Fotografen Daniel Kramer und Eliott Landy.

Buch und Album

Wolfgang Niedecken: „Bob Dylan“, Kiepenheuer & Witsch, 238 Seiten, 14 Euro. E-Book: 9,99 Euro.

„Sibbe Köpp / Veezehn Häng – Vier Raritäten aus der Vorzeit“ erscheint als Geburtstagsedition des Albums „Alles fließt“ am 26. März.

Wolfgang Niedeckens Dylan-Erkundung ist der Auftakt zu einer Reihe von Büchern, die sich mit der Legende aus Anlass des 80. Geburtstages beschäftigen. Selbstverständlich kann auch dieses schmale Werk nicht alle Fragen klären. Der Mythos Dylan bleibt also gewahrt. Niedecken selbst sagt, er wünschte sich, dass dem ersten Band von Dylans autobiographischen „Chronicles“ ein weiterer folgen würde. Zwar glaubt er nicht recht daran. Aber: „Mich würde das sehr freuen, denn auch auf meiner persönlichen Dylan-Landkarte gibt es noch jede Menge Flecken mit der Aufschrift „Terra incognita“, die nur er selbst ausmalen könnte.“ Das ist vermutlich der größte Unterschied zwischen den beiden Musikern: Während Bob Dylan sich wie eine Auster verschließt und nur seine Kunst sprechen lässt, gibt Wolfgang Niedecken geduldig Auskunft über Leben und Werk.

Bob Dylan hat eben seine sehr eigene Art, sich in der Öffentlichkeit zu verhalten. Auch davon handelt das Buch. Nachdem Barack Obama dem Künstler die Freiheitsmedaille verliehen hatte, wurde der Präsident gefragt, was er dazu sage, dass Dylan sich ihm gegenüber dermaßen reserviert verhalten habe: „Das sei vollkommen okay für ihn, sagte er, er sei halt nur der Präsident der Vereinigten Staaten, während sein Gegenüber Bob Dylan sei.“ Und Wolfgang Niedecken kommentiert: „Stimmt, so sieht's aus.“

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