„Musste alles mal raus”Wolfgang Niedecken macht seinem Ärger auf BAP-Album Luft

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Wolfgang Niedecken wird von Querdenkern angefeindet, weil er für 2G-Regeln etwa bei Konzerten ist.

Wolfgang Niedecken wird von Querdenkern angefeindet, weil er für 2G-Regeln etwa bei Konzerten ist.

  • Zum 70. Geburtstag des Bandleaders hat BAP am 30. März in der Kölnarena einen Termin geblockt: „Wenn dann 5000 Leute dabei sein könnten, wäre das in Ordnung.”
  • Die Aufnahmen für das Album waren bereits 2019 abgeschlossen, dennoch passt mancher Song in die Corona-Zeit.
  • Auch mit aktueller Politik beschäftigt sich Wolfgang Niedecken in seinen Texten. Es beruhige ihn, dass die Menschen in der Krisenzeit zu den Demokraten stehen: „Die wissen dann schon, was sie an einer Bundeskanzlerin Merkel haben.“

Köln – „Die Band und ich – wir scharren in den Startlöchern“, sagt Wolfgang Niedecken. „Alle wollen wieder spielen und lauern auf die erste Chance.“ Denn mit „Alles fließt“ legt die Band am 18. September ihr 20. Studioalbum vor.

Doch mit dem öffentlichen Auftritt wird das wohl noch eine Weile dauern. Im Autokino will die Band jedenfalls nicht auftreten, um ihr Album zu präsentieren: „Ich kann doch nicht den Fahrzeugen erklären, warum ich welchen Song aufgenommen habe.“

Die Pandemie ist für die Crew, die hinter der Bühne arbeitet, „eine Katastrophe“, weil sie Live-Konzerte braucht, um arbeiten zu können. Deshalb gab es eine T-Shirt-Kampagne für die Helferinnen und Helfer. Das sei „ein bisschen eine symbolische Aktion“ gewesen, sagt Wolfgang Niedecken, „aber wir haben mit den Einnahmen auch ein paar Härtefälle lösen können.“

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Keine Planungssicherheit

Planungssicherheit gebe es aktuell nicht. Aber immerhin: „Nach wie vor geblockt haben wir in der Kölnarena einen Termin zu meinem 70. Geburtstag am 30. März. Wenn dann 5000 Leute dabei sein könnten, wäre das in Ordnung. Doch wenn nicht einmal der Applaus des Publikums zu hören wäre, käme man sich ja vor wie beim Soundcheck.“

Wolfgang Niedecken selbst wurde vom Lockdown zu einem Zeitpunkt erwischt, so sagt er es, der aus privater Sicht nicht günstiger hätte sein können. Denn an Aschermittwoch kam der erste Enkel zur Welt und neun Tage später der zweite. In diesen Tagen war das Haus in der Südstadt bestens ausgelastet: „Wenn ich morgens in den Garten kam, war da schon was los. Das sah hier aus wie bei einer sizilianischen Großfamilie. Es war sensationell.“

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Das Jubiläumswerk „Alles fließt“ klingt nun nach BAP wie ein Album nur nach BAP klingen kann. Das Themenpanorama von Zeitkritik über Liebeslieder bis zur Eigendiagnose stammt aus der Ursuppe der Band. Vertraut ist auch das Klangspektrum zwischen Besinnlichem und Stürmischen, Dur und Moll. Ein paar Bläsersätze, die der der letzten Tournee viel Power beschert haben, sind integriert. Kleine Klangcollagen lassen aufhorchen.

Und alles endet mit einer Zwei-Sätze-Lesung von Heinrich Böll aus seinem Roman „Ansichten eines Clowns“, der für den Internatsschüler Niedecken einst ein Leseerweckungserlebnis war.

Ein Loblied auf Helfer

Dass die Aufnahmen 2019 abgeschlossen waren, als die Pandemie noch nicht wütete, ist für Niedecken kein Problem. Es hat sich nämlich herausgestellt, dass so mancher Song gut in die neue Zeit passt. Das gilt am eindeutigsten für „Huh die Jläser, huh die Tasse“. Darin wird den Helferinnen und Helfern in den Krankenhäusern, bei der Feuerwehr oder in der Altenpflege ein Loblied gesungen.

Als dann in Italien und Spanien die Menschen begannen, für dieses Engagement allabendlich Beifall zu spenden, wurde der Song vorab veröffentlicht: „Ihr sitt die Coolste im janze Land – Jottseidank!“

Das neue BAP-Album: Alles fließt.

Das neue BAP-Album: Alles fließt.

Der erste Titel, der aufs Album gelangte, passt ebenfalls in die politische Gegenwart. Als sich Niedecken bei einem Urlaub in Sri Lanka auf die Demo-CD von Gitarrist Ulrich Rode einließ, der die meisten Kompositionen geliefert hat, war ihm klar: „Ich öffne mal alle Schleusen und lege mich zum Psychiater Niedecken auf die Couch.“

Da habe er alle Ängste rausgelassen, die er eingedenk der Welt und ihrer Potentaten habe: „Sei es jetzt Weißrussland, sei es Putin, der immer dreister wird, oder Trump, der sich an Dreistigkeit gar nicht mehr übertreffen kann. Das musste alles mal raus.“

In Deutschland, meint der BAP-Chef, verlaufe diese populistische Entwicklung „vielleicht noch am mildesten“. Er selbst vertraue auf das Verantwortungsbewusstsein der deutschen Politiker – auch bei jenen, die nicht von seiner Couleur seien. Und es beruhige ihn, dass die Menschen in der Krisenzeit zu den Demokraten stehen: „Die wissen dann schon, was sie an einer Bundeskanzlerin Merkel haben.“

Dass es gleichwohl nicht wenige Verschwörungstheoretiker gibt, hat er am eigenen Leib erfahren. So wurde die Facebook-Seite von BAP von wirren Positionen zur Pandemie überflutet, offenbar organisiert „von diesem Scharlatan, dem Chefideologen von Querdenken 4711 oder so ähnlich.“

Als Niedecken diese Kaperung seiner Kanäle anprangerte – „Hört mal, ihr Aluhüte“ – gab es einen massiven Shitstorm, aber auch viel Unterstützung.

Keine Nostalgie 

Auf dem Album sinniert Wolfgang Niedecken abermals über die lange Geschichte der Band. Nicht aus Nostalgie, so scheint es, sondern aus Verwunderung: „Das Staunen hält an über die 40 Jahre, die ich durch diese Geschichte getraumwandelt bin. Vor allem – ich war am Anfang sehr naiv. Aber irgendwann weiß man, wie die Mechanismen funktionieren.“

Vom Golfspiel und der Parkbank, wovon in „Jenau jesaat: Op Odyssee“ die Rede ist, will Niedecken nichts wissen. Er will weiterspielen „wie Ronnie, Keith un’ Bob“, bis der Herrgott ruft: „Kumm ropp!“. Der alte Mann, dem er in „Volle Kraft voraus“ zuruft, er solle sich nicht hängen lassen, sei er selber: „Bei dem Lied singe ich mich an: Alter, du hast sieben Jahrzehnte ein unfassbares Glück gehabt. Die Ups und Downs sind in Ordnung. Man kann kein Bild nur mit Weiß malen – ab und zu gibt es auch mal einen Schatten. Selbst wenn morgen das Leben vorbei wäre, würde ich sagen – war super, war prima!“

„Alles fließt“, das 20. Studioalbum von BAP, ist am 18. September erschienen.

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