Zwischen Pilgern und RäubernSylvain Cambreling in der Kölner Philharmonie

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Sylvain Cambreling

Sylvain Cambreling

  • Der Gastdirigent Sylvain Cambreling gab mit dem Gürzenich-Orchester ein Konzert in der Kölner Philharmonie.
  • Lesen Sie hier unsere Kritik des Abends.

Köln – Antoine Tamestit wandert nicht durch die Abruzzen, aber immerhin auf dem Podium der Kölner Philharmonie.

Dass der großartige, substanzsatte und agogisch reiche Klang seiner Bratsche mal von vorne, mal von hinten oder von der Seite kommt, ist dem Gegenstand angemessen: Berlioz’ konzertante Programm-Sinfonie „Harold in Italien“ (eine befriedigende Gattungsbezeichnung ist bei diesem durch die Genreraster fallenden Stück schwer) ist die musikalisierte Reise eines fiktiven und in der Solo-Viola personalisierten Subjekts durch die italienische Lebenswelt des frühen 19. Jahrhunderts. Dazu gehören Pilgerzug, Serenade und Räuber, über welchen Erscheinungen sie – die Viola – abwechselnd erfreut, angeregt, traurig oder erschreckt ist. Und zuweilen auch schlicht verschwindet.

Überhaupt legt der illustre Gastdirigent Sylvain Cambreling das Hauptwerk des jüngsten Gürzenich-Konzerts durch und durch szenisch an: Im teils simultanen Gegeneinander der unterschiedlichen, im Werkverlauf stets wiederkehrenden Themen entstehen immer wieder dramatische Bilder. Dass das (jedenfalls am Sonntagmorgen) gut aufgelegte Gürzenich-Orchester dabei weithin mitzieht, ist nicht selbstverständlich. Denn Berlioz erreicht besagte szenische Effekte nicht nur durch eine ausgefeilte (und hier bemerkenswert präzise realisierte) Rhythmik, sondern vor allem durch eine spezifische Staffelung, Ausbalancierung und Transparenz der Klangregister, die hiesige Orchester mit ihrem deutsch-romantischen Grundsound von Haus aus nicht unbedingt draufhaben.

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Gürzenich-Kapellmeister François-Xavier Roth hat freilich beim früher vernachlässigten französischen Repertoire schon vieles nachgeholt, so dass Cambreling, sein Vorgänger beim verblichenen SWR Sinfonieorchester Baden-Baden/ Freiburg, jetzt nicht bei null anfangen musste. So konnte man zum Beispiel bei den Violinen durchaus unterschiedliche Farben zwischen gesanglichem Charme und leicht stählernen Anmutungen hören. Auch Holzbläser und Blechriege ließen sich nicht lange bitten, sie hatten bereits in der eröffnenden, in ihrer Spannungsdramaturgie fesselnd entwickelten Ouvertüre zur frühen Berlioz-Oper „Les Francs-Juges“ geglänzt. Das Stück von 1826 ist übrigens mehr als nur eine Talentprobe. Der geniale Instrumentator ist schon ganz und gar „da“, und angesichts der Tatsache, dass das Stück noch zu Lebzeiten Beethovens entstand, darf man von so viel zukunftsträchtiger Modernität rundum beeindruckt sein.

Auch im Fall von Charles Ives’ „Three Places in New England“ stellte Cambreling, der bekanntermaßen ein starkes Faible für die Avantgarde hat, die Modernität der Musik nachdrücklich heraus – und sei es dadurch, dass er den Ohren der Zuhörer mit schmerzhaften Ballungen im zweiten und dritten Satz zusetzte. Ives’ Collage-Technik mag an Berlioz erinnern, noch näher liegt allerdings die Parallele zu Gustav Mahler. Wie da etablierte Idiome – der Marsch zum Beispiel – hinterhältig dekonstruiert werden, das bezeichnet schon frappante Ähnlichkeiten.

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