„House of the Dragon“ startetWonach riechen eigentlich Drachen?

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Emma D'Arcy als Prinzessin Rhaenyra Targaryen und Matt Smith als Prinz Daemon Targaryen 

  • Am 22. August startet die Serie „House of the Dragon“ bei Wow (vorher: Sky Ticket)
  • Sie ist eine Prequel, das 200 Jahre vor „Game of Thrones“ spielt
  • In zehn Folgen steht der Fokus auf den Erbfolgekonflikten der Familie Targaryen

Köln – Um diesen Job beneidet man Patrice Bouédibéla nicht: Der Ex-MTV-Moderator, sein Afro ist schon leicht ergraut, muss für den Streamingdienst WOW (ehemals Sky Ticket) vom roten Teppich am Londoner Leicester Square berichten. Live übertragen in die Kinosäle mehrerer deutscher Großstädte, so auch ins Kino 9 des Kölner Cinedoms.

Gefeiert wird die Premiere von „House of the Dragon“, dem ersten Ableger von „Game of Thrones“. Die Serie nach George R. R. Martins Fantasy-Epos „Das Lied von Eis und Feuer“ hatte in den Zehner Jahren neue Maßstäbe im Fernsehformat gesetzt, sowohl in der Höhe ihrer Budgets – zuletzt waren 15 Millionen Dollar pro Folge veranschlagt –, als auch in der Komplexität der Erzählstruktur.

Die Ereignisse, die in „House of the Dragon“ erzählt werden, spielen rund 200 Jahre vor der ersten Serie. Diesmal gibt es nur ein Adelshaus, das sich im Kampf um die Thronfolge selbst zerfleischt, das von Targaryen. Deren platinblonde Sprösslinge – fast alle Hauptdarstellerinnen und Hauptdarsteller müssen alberne Perücken tragen – halten sich feuerspeiende Drachen als Haustiere und sichern auf diese Weise ihre Vorherrschaft. Sie sind gewissermaßen die einzige Nuklearmacht in Westeros.

Die Namen der Targaryens spalten Zungen

Um auf Patrice Bouédibéla zurückzukommen: Der hat sich wirklich löblich vorbereitet, hat nicht nur die Namen aller Protagonisten und des gesamten Ensembles auswendig gelernt, sondern auch die IMDB-Seiten seiner potenziellen Interviewpartner durchforstet. Trotzdem wähnt man sich irgendwann in einer zeitgenössischen Fassung des bekannten Loriot-Sketchs, in dem Evelyn Hamann eine Fernsehansagerin spielt, die an der Inhaltsangabe eines englischen Fernsehkrimis verzweifelt: Die Zungenspalterkraft von Rhaenyra Targaryen, Corlys Velaryon, Alicent Hightower und Ser Criston Cole kann locker mit der von Gwyneth und Priscilla Molesworth oder Meredith Hesketh-Fortescoue mithalten.

Bekommt Bouédibéla endlich mal einen der Stars der Serie vor die Kamera, Paddy Considine oder Matt Smith, haben die außer Klischees und absurden Höflichkeiten nichts zu sagen. Rhys Ifans schießt mit „German is a very sexy language“ den Vogel ab. Considine – er spielt den milden König Viserys I. Targaryen – verdanken wir immerhin die Einschätzung, dass Drachen nach verfaulten Eiern stinken. Es ist niemandes Schuld: Jeder Kommentar den Inhalt der zehn abgedrehten Episoden betreffend ist von HBO strengstens untersagt worden.

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In Westeros spielt er den Böswicht, in London nahm Matt Smith seine Mutter mit zur Premiere  

Die Floskeln der Profis sind immerhin gehaltreicher als die zugeschalteten Stimmen von der Berliner Premiere. Hier hat kaum einer der Befragten „Game of Thrones“ gesehen, es sind eben keine High-Fantasy-Fans, sondern Menschen, die gerne auf roten Teppichen in hingehaltene Mikrofon sprechen.

Letztlich geht es nur darum, eine angemessene Menge an Zeit totzuschlagen, schließlich ist ein Ereignis erst ein solches, wenn man darauf gewartet hat. Dass diese erste – einige weitere befinden sich im Entwicklungsstadium – Ausdehnung des „Game of Thrones“-Universums ein Ereignis ist, steht außer Frage.

Die Originalserie hat die Phantastik aus der Nische zum Leitgenre unserer Zeit erhoben, mehr noch als Peter Jacksons „Herr der Ringe“-Filme. Kein Zufall übrigens, dass Amazon Prime seine Tolkien-Serie „The Rings of Power“ nur zehn Tage nach „House of the Dragon“ ins Programm nimmt). 

Eiskalte Pragmatiker, hitzige Intriganten

„Game of Thrones“ präsentierte eine nur allzu vertraute  Gegenwelt, in der narzisstische Populisten, verblendete Status-Quo-Bewahrer und Religionsfanatiker mit Rach- und Tobsüchtigen um die Macht ringen, während sie alle die wahre, sämtliche Lebensgrundlagen gefährdende Katastrophe ignorierten.

J. R.R. Tolkiens saubere Helden und simple Gut-Böse-Schemata hatte George R.R. Martin durch eiskalte Pragmatiker und hitzige Intriganten ersetzt,  ethisches Handeln  wurde durch Meuchelmord belohnt. Das einzige Absolutum war die Kontingenz des Todes, vor der niemand gefeit war, zumindest in den ersten Staffeln der Serie. Leider hat Martin nur fünf seines auf sieben Bände angelegten Epos’ fertiggestellt. Was in der TV-Adaption zu einer schön anzusehenden, dramaturgisch völlig verstolperten finalen Staffel führte.

„House of the Dragon“ fällt nicht nur die undankbare Aufgabe zu, einen Hype fortzuführen, der seinen Höhepunkt überschritten hat, die Serie muss zudem verlorenes Vertrauen wiedergewinnen – und das mit einer Vorlage, die kein Roman, sondern  eine (oft pergamentrockene) Historie aus der Feder eines Westeros-Gelehrten sein soll. 

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Am Montagabend im Kino 9 des Kölner Cinedom durfte wenigstens die erste Folge des Drachenhauses begutachtet werden. Ein Privileg, dass man sich mit demselben Schweigen erkaufen musste, zu dem die Schauspieler auf dem Leicester Square verdammt waren.

So viel aber kann man bereits sagen: Drachen werden fliegen, Blut wird fließen; Prophezeiungen erfüllen sich auf schlechtestmögliche Weise; mögliche Thronfolger  zeigen sich als für ihre Aufgabe denkbar ungeeignetste Persönlichkeit. Macht ist eine Illusion, Moral ein Luxusgut. Die Welt ist schlecht und so lange sie schlecht ist, ist „House of the Dragon“ gut.

„House of the Dragon“ ist ab dem 22. August bei WOW und Sky Q auf Abruf verfügbar.

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