Das größte Konzert auf deutschem Boden„The Wall“ brach vor 25 Jahren in Berlin alle Rekorde

Lesezeit 3 Minuten
Aufgeblasen: Eine überdimensionale Figur stellt den bösen Lehrer dar, eine zentrale Figur in Roger Waters’ Wall-Geschichte.

Aufgeblasen: Eine überdimensionale Figur stellt den bösen Lehrer dar, eine zentrale Figur in Roger Waters’ Wall-Geschichte.

In einem Interview Mitte der 1980er-Jahre ist Roger Waters gefragt worden, ob er das Pink-Floyd-Meisterwerk „The Wall“ noch einmal zur Gänze live aufführen möchte. In seinem „Nein“ lässt sich der Pink-Floyd-Bassist eine Hintertür offen. Wenn in Berlin die Mauer fällt, dann könnte er ja mal darüber nachdenken. Wie Waters später betonte, sollte das ein Witz sein.

Es kommt am 9. November 1989 anders, auch wenn die Berliner Mauer zunächst nur symbolisch fällt und Souvenirjäger kleine Bröckchen aus dem „anti-faschistischen Schutzwall“ herausmeißeln. Aber Roger Waters kommt nicht mehr heraus aus der Nummer, als ihn der britische Friedensaktivist Leonard Cheshire um ein Benefizkonzert für seine Stiftung „Memorial Fund for Disaster Relief“ bittet. Und so findet am 21. Juli 1990 im Niemandsland in der noch geteilten Stadt (halb im britischen, halb im russischen Sektor) eine Open-air-Produktion von „The Wall“ statt, die alles in den Schatten stellt, was davor und danach in Deutschland an Rockspektakeln geboten wurde. Gaststars wie Joni Mitchell, Tim Curry, Albert Finney und Van Morrison (der seinen Part in „Comfortably Numb“ allerdings hinter der Mauer singt) sind sich nicht zu schade, nur wenige Textzeilen beizusteuern.

„Woodstock“ war das Codewort

Über den Köpfen des Publikums brummen echte Helikopter („The Happiest Days of our Lives“), zu „Bring the Boys Back Home“ marschieren ein Riesenchor und eine Blaskapelle der Roten Armee vor der 170 Meter breiten und 25 Meter hohen Mauer-Attrappe auf, was den sowjetischen Abzug aus der DDR symbolträchtig und emotional vorwegnimmt. Und nach dem Song „The Trial“ fällt die Mauer ein zweites Mal. Danach weicht Waters zum einzigen Mal in seiner Karriere von der normalen „Wall“-Dramaturgie ab und spielt als Zugabe „The Tide Is Turning“. Das Stück aus seinem Solo-Album „Radio Kaos“ beschwört eine bessere, stabilere Welt in einer Zeit nach dem Kalten Krieg. Wer damals, ergriffen und durchgeschüttelt von der zweistündigen Reizüberflutung, auf dem Potsdamer Platz steht, mag in diesem Moment nicht glauben, dass Waters mit seiner Hoffnung schief liegt. Wer damals in Berlin dabei war, erinnert sich aber auch an die Unzulänglichkeiten: Sound- und Strompannen, die vor allem die Songs der ersten LP-Seite furchtbar zerhacken. Als ich zwei Monate nach dem Konzert erstmals das Album „The Wall – live in Berlin“ höre, komme ich mir veralbert vor, denn nun klingt alles wie aus einem Guss. Einige Stücke sind nachträglich noch mal eingespielt oder mit Aufnahmen aus der Generalprobe verschnitten worden.

Der Ärger hat sich längt verflüchtigt im Dämmerlicht der Nostalgie. Die vergangenen 25 Jahre überdauert hat das erhebende Gefühl, bei einem singulären Ereignis der Popgeschichte dabei gewesen zu sein, das durchaus Parallelen aufweist zum Woodstock-Festival von 1969. Ein Teil der „Woodstock“-Legende ist ja die Kapitulation der Veranstalter vor den ohne Tickets auf das Gelände strömenden Fans. Dies gipfelt in der berühmten Ansage „It’s a free concert from now on“.

So ähnlich wiederholt sich das mit dem Gratis-Konzert in dieser Nacht im Berliner Todesstreifen. „Niemand weiß, wie viele Leute tatsächlich da waren“, sagt einer, der es eigentlich wissen müsste. Laut Veranstalter Peter Rieger waren „ungefähr 220 000“ Eintrittskarten à 35 Mark verkauft worden. Weil aber weitere 100000 bis 150000 Leute ohne Tickets auf den Potsdamer Platz drängten, wurde irgendwann entschieden, alle hereinzulassen. Später hat Rieger verraten: „»Woodstock« war das Codewort, das wir vereinbart hatten und dann auch verwendeten, um die Ordner anzuweisen, die Zäune zu öffnen.“ Angesichts von nur 1100 Ordnern wird klar: So etwas wie „The Wall“ 1990 in Berlin wäre heute undenkbar. Und das nicht nur, weil der Potsdamer Platz seither zu einer großstädtischen Event-Vorhölle umgebaut wurde.

KStA abonnieren