Die Entwicklung in den USA im Licht von Carl SchmittWenn aus Gegnern Feinde werden

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Kapitolsturm

Im Feindeinsatz: US-Bundespolizei räumt die Rotunde des Kapitols. 

Köln  – Aus Gegnern seien Feinde geworden – immer wieder ist diese Diagnose zu hören, wenn eine Antwort auf die Frage versucht wird, wie es zum die Weltöffentlichkeit schockenden Sturm von Trump-Fanatikern auf das Kapitol in Washington am vergangenen Mittwoch kommen konnte. Ihr lässt sich wenig entgegensetzen: Tatsächlich nimmt die politische Polarisierung in den USA schon seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten zu.

Der republikanische Scharfmacher Newt Gingrich, der bereits Ende der 90er als Sprecher des Repräsentantenhauses eine harte Konfrontationsstrategie fuhr, war einer ihrer Promotoren, und so richtig Fahrt nahm die Sache mit der Tea Party-Bewegung auf, die sich dem bedingungslosen Kampf gegen die Obama-Regierung verschrieb – der erste afroamerikanische Präsident wurde darüber zum leibhaftigen Gott-sei-bei-uns, zum Feind.

„Wir oder sie“ heißt die Devise

Trump ist Erbe dieser Entwicklung in der republikanischen Partei – und zugleich ihr katastrophenträchtiger Überbieter. Seine Reden und Auftritte sind bekanntlich gespickt mit hasserfüllt-dämonisierenden innerstaatlichen Feinderklärungen – gegen „radikale Linke“, „Sozialisten“, „Kommunisten“, „Anarchisten“ und, da taucht der Begriff dann explizit auf, „Feinde des Volkes“. „Wir oder sie“ heißt die Devise, und angesagt ist ein Kampf, in dem „sie“ vernichtend geschlagen werden müssen.

Gegner? Feind? – wo besteht da, so mag man fragen, der Unterschied, ist das nicht Wortklauberei? Den Unterschied gibt es nun aber in der Tat – nicht nur im Schachspiel, wo der Gegner mein bester Freund sein kann.

In der Politik bezeichnet Gegnerschaft die Auseinandersetzung auf der Basis geteilter normativer Überzeugungen – Sozial- und Christdemokraten mögen parteipolitische Gegner sein und also solche über Steuer-, Umwelt- und Sozialgesetze streiten; als Demokraten sind sie einander aber keine „Feinde“. Zur Feindschaft verschärft sich die Gegnerschaft, wenn jene Übereinstimmungen in basalen Wert- und Handlungsorientierungen erodieren. Genau dies ist in der politischen Arena der USA der Fall: Das Trump-Lager und das der Trump-Hasser und -verächter leben in voneinander völlig getrennten Wert- und Kommunikationssphären, in Echokammern, in denen die jeweiligen Medien das eh schon Gewusste, Gedachte und Gefühlte nur noch verstärken.

Juristischer Totengräber der Weimarer Republik

Was Leuten wie dem studierten Historiker Gingrich bekannt sein mag – nicht freilich dem auf seine Bildungsferne stolzen noch amtierenden Präsidenten: Die amerikanische Konfliktsituation liest sich wie ein Anwendungsfall der Theorie des konservativen deutschen Staatsrechtlers Carl Schmitt (1888-1985), der, ursprünglich aus dem Milieu des deutschen Rechtskatholizismus stammend, später zum juristischen Totengräber der Weimarer Republik und zum NS-Kronjuristen wurde.

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In seiner äußerst folgenreichen, erstmals 1932 publizierten Schrift „Der Begriff des Politischen“ bestimmt Schmitt die Unterscheidung von Freund und Feind als „spezifisch politische Unterscheidung“, als zentrale binäre Codierung der politischen Sphäre – so wie Gut und Böse für die Moral, Schön und Hässlich für die Ästhetik.

Das bedeutet: Die Freund/Feind-Konfrontation ist danach nicht der (katastrophale und insofern unbedingt vermeidungswürdige) Grenzfall des Politischen, sondern in ihr kommt vielmehr die Essenz von Politik, ihr Wesenskern, zum Ausdruck und Durchbruch.

Gegensätze verwandeln sich in Feindschaft

„Jeder religiöse, moralische, ökonomische, ethnische oder andere Gegensatz verwandelt sich“, schreibt Schmitt, „in einen politischen Gegensatz, wenn er stark genug ist, die Menschen nach Freund und Feind effektiv zu gruppieren.“ Schaut man auf die gegenwärtige Lage in den USA, so darf man mutmaßen, dass Schmitt selbst wohl das, was dort geschieht, als Exempel auf die eigene begriffsrealistische Konzeption aufgefasst hätte.

Der religiöse, moralische, ökonomische und ethnische Gegensatz, der sich in Feindschaft verwandelt – sehen wir dort nicht genau dies? Vom Standpunkt eines demokratischen Liberalismus aus freilich signalisieren die hasserfüllten Attacken und Blockaden nicht „das Politische“, sondern vielmehr dessen Scheitern.

Aber Schmitt hält den liberalen Politikbegriff mit seinen Maximen der Verhandlung, des rationalen Diskurses, des Aufschubs, des Kompromisses, der regelgeleiteten Prozedur für falsch und für verlogen. Das Politische tritt für ihn erst dann rein in die Erscheinung, wenn all diese Mechanismen ihren Geist aufgeben.

Eine weitere Stelle macht den Fluchtpunkt von Schmitts Politikbegriff deutlich: „Die reale Möglichkeit des Kampfes, die immer vorhanden sein muss, damit von Politik gesprochen werden kann, bezieht sich [...] nicht mehr auf deren Krieg zwischen organisierten Völkereinheiten (Staaten oder Imperien), sondern auf den Bürgerkrieg.“

Der Bürgerkrieg als Inbegriff des Politischen

Der Bürgerkrieg als Inbegriff des Politischen – auch diese Perspektive scheint auf die USA unserer Tage zu passen. So oder so kann die Relektüre für die einschlägigen Analysen und Diagnosen einigen Gewinn aus Schmitts Abhandlung ziehen. Deskriptiv, nicht normativ: Ob das, was ist, auch so sein muss – diese Frage ist mit dem Verweis auf Schmitts Aktualität noch nicht beantwortet.

Dass beim flagranten Antisemiten Schmitt „der Jude“ die Leerstelle des „absoluten Feindes“ einnehmen sollte, rät allemal zu großer Vorsicht. Indes könnte noch ein anderer seiner ätzend-brillanten Leitsätze in diesen Tagen für die Richtungsentwicklung des politischen Systems der USA bedeutsam werden: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“

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