Günter Wallraff auf der lit.Cologne„Ich bin Berufsskeptiker und Zweckoptimist“

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Günter Wallraff hat auf der lit.Cologne Spezial über die Zukunft des investigativen Journalismus gesprochen.

Köln – Stimme des Volkes, Störenfried, Legende: Mit diesen Worten wird Günter Wallraff am Sonntagabend bei der lit.Cologne Spezial gerühmt. Aber Wallraff ist keiner, der sich gerne feiern lässt – wie er Moderatorin Sonia Mikich versichert, die wissen will, wie ihm der Trubel um seinen 80. Geburtstag gefallen hat. Selbst vor dem Gespräch auf dem Podium im WDR Funkhaus sei er tagelang nervös gewesen, schon als Jugendlicher habe es ihm an Selbstvertrauen gemangelt. Deshalb liege ihm auch das Rollenspiel so sehr.

Wie in seinem Buch „Ganz unten“, erstmals 1985 erschienen, in dem er seine Erfahrungen in der Rolle des türkischen Gastarbeiters Levent (Ali) Sinirlioğlu schildert. „In dem Buch erfuhr ich, dass wir die ganz unten sind“, erzählt die Autorin Mely Kiyak im Gespräch. Ihr Vater sei einer dieser Gastarbeiter gewesen, das Buch habe ihr und vielen anderen Kindern ihrer Generation erst gezeigt, wie schlimm die Arbeitsbedingungen ihrer Eltern wirklich waren. „Da war ich entsetzt.“

Undercover-Recherchen keine kulturelle Aneignung

Dabei kommt auch die Frage auf, ob Wallraffs Vorgehen nicht kulturelle Aneignung sei. Schließlich hat er sich für eine seiner Reportagen auch schon als Schwarzer ausgegeben. „Black Facing“ sei das aber nicht, sagt Wallraff entschieden. Kiyak meint, es sei eben notwendig, denn die Betroffenen würden nicht selbst zu Wort kommen: „Unseren Vätern hätte man es niemals geglaubt.“ Auch heute ist das noch ein oft gehörter Vorwurf etwa an Talkshows, dass nur über und nicht mit Betroffenen gesprochen wird. „Haben wir ein Rassismus-Problem?“, richtet Mikich die Frage an den Journalisten und Fernsehmoderator Georg Restle.

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Sonia Mikich, Günter Wallraff, Mely Kiyak und Georg Restle (v.l.) im WDR Funkhaus.

Es sei bedrückend, sich zu vergegenwärtigen, dass die Menschen damals eben nicht selbst gehört wurden, so Restle. „Ich habe mich gefragt: Werden die Menschen, die heute gleichermaßen ausgebeutet werden, denn heute gehört? Und es ist genau richtig: Sie werden nicht gehört.“ Darüber hinaus bezweifle er, dass eine ähnliche Reportage wie die Wallraffs – heutzutage dann etwa bei einem Fleischereibetrieb als osteuropäischer Gastarbeiter – die gleiche Wirkmacht hätte wie damals. Da muss Wallraff widersprechen, auch damals habe er Gegenwind bekommen, nicht mit dem Erfolg gerechnet.

Kann investigativer Journalismus etwas ändern?

Genauso wie Wallraffs „Ganz unten“ heute noch ein bedeutendes Werk ist, ist es auch „Der Aufmacher“. „Braucht es einen neuen Hans Esser?“, fragt Mikich. Die Wirkmacht der „Bild” sei nicht mehr die gleiche, sagt Restle, er habe aber beim Lesen von Wallraffs Enthüllungen ernüchtert gemerkt: „Es hat sich eigentlich nichts geändert.“ Das Konzept, die Vorgehensweisen seien die gleichen. Kann investigativer Journalismus überhaupt etwas ändern? „Ich bin Berufsskeptiker und Zweckoptimist“, sagt Wallraff. Es werde dadurch nicht alles gut, aber es sei besser als nichts.

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Am Sonntagabend dreht sich das Gespräch nicht nur um diese bekannten Werke Wallraffs, die zu seinem Geburtstag von Kiepenheuer & Witsch neu aufgelegt wurden, sondern auch um seine jüngsten Enthüllungen: Die verdeckten Recherchen zu Burger King mit dem „Team Wallraff” bei RTL. Da stellt sich die Frage, warum Wallraff überhaupt von den Öffentlich-Rechtlichen, mit denen er lange gearbeitet hat, zu dem Privatsender gewechselt ist. „Da ist kein Spielraum mehr“, habe er irgendwann gemerkt. Er sei dann auf RTL zugegangen, „einem Sender, dem ich sonst mit großer Skepsis gegenüberstehe“ und habe gefragt, ob er ein Format machen könne, wo er freie Hand hat. „Und plötzlich ist da ein Forum, wo auch Hausjuristen dahinterstehen und wo ich nicht jedes Mal wegen Kleinigkeiten mit der Bürokratie zu tun habe.“

Auch Restle kennt als Leiter des Politmagazins „Monitor” die Probleme des, wie Mikich es nennt, „starren Systems“ der Öffentlich-Rechtlichen. „Die Zeiten sind tougher geworden“, bekennt er. Probleme, ein Thema durchzusetzen, habe er nie gehabt. „Aber ich erlebe eine Dünnhäutigkeit, wenn es um Kritik geht“, sagt er über Angriffe auf werteorientierten Journalismus bei den Öffentlich-Rechtlichen. Da fehle es an Selbstvertrauen.

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