Nachruf auf Fritz PleitgenWenige prägten den WDR so wie er

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Fritz Pleitgen in seinem Haus in Bensberg-Frankenforst.

Köln – Es war kein überraschender Tod. Mit bemerkenswerter Offenheit hat der frühere WDR-Intendant Fritz Pleitgen in den letzten Monaten seines Lebens über seine Krebs-Erkrankung gesprochen. „Der Bauchspeicheldrüsenkrebs ist deshalb so gefährlich, weil er sich wie ein Partisan anschleicht“, sagte Pleitgen, der lange Präsident der Deutschen Krebshilfe war, Ende des vergangenen Jahres im Podcast „Talk mit K“ des „Kölner Stadt-Anzeiger“. Er hoffe, dass die Aufklärungsarbeit, die er leiste, Menschen mit ähnlichen Symptomen dazu bringe, frühzeitig zum Arzt zu gehen. Nun ist der 84-Jährige gestorben, wie der WDR am Freitag bekannt gab.

Die Krankheit hatte ihm bei der Podcast-Aufnahme schon viel seiner früher scheinbar unerschöpfliche Energie geraubt, doch auch wenn die Stimme nicht mehr ganz so kraftvoll war – seine Gedanken und Einschätzungen waren so analytisch und klug wie eh und je.

Russland lag ihm am Herzen

Von 1970 bis 1977 hatte Pleitgen als Auslandskorrespondent aus Moskau berichtet. Der Kontakt zu Russland war danach nie abgerissen, das Land lag ihm am Herzen. „Die Menschen in Russland sehnten sich so wie die Menschen im Westen nach Frieden“, erinnerte er sich an seine Jahre in der Sowjetunion. Ja, er war für die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine, wie er nach Russlands Angriff erklärte. Dennoch plädierte er immer auch für einen Austausch auf Augenhöhe mit der russischen Bevölkerung.

Als Pleitgen im März 1938 in Duisburg geboren wurde, deutete wenig darauf hin, dass sein Lebensweg ihn einmal nach Moskau, Ost-Berlin, Washington, New York und schließlich Köln führen würde. Fritz Ferdinand Pleitgen stammte aus einfachen Verhältnissen. Seine Mutter war gesundheitlich angeschlagen, er musste einige Zeit im Kinderheim verbringen. Das sei keine gute Zeit gewesen. Besser wurde es, als sein Vater eine Anstellung bei Krupp erhielt.

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Der Krieg veränderte alles, Essen wurde bombardiert. „Meine ersten Erinnerungen an das Leben bestehen aus Flammen und Sirenen.“ Mit der Mutter wurde er nach Schlesien evakuiert, lebte dort in ärmlichen Verhältnissen. „Da herrschte Frieden, aber wir hatten nichts zu beißen.“ Er erinnerte sich an die ersten Flüchtlingstrecks im eisigen Winter. Dann kamen die russischen Soldaten. Die Familie floh nach Westen.

Die Schule verließ er ohne Abitur

Mit 14 begann er für die Lokalausgabe Bünde der „Freien Presse“ zu schreiben. Um älter zu wirken, trug er damals seinen Konfirmationsanzug, wenn er zu Terminen ging. Er begann im Sportressort, schrieb bald auch Polizeimeldungen und berichtete über alles, was eben so anfiel.

„Schützenverein, Kaninchenzüchter, hab ich alles gemacht.“ Mit der Schule wurde es nichts mehr. Man trennte sich vor dem Abitur in gegenseitigem Einvernehmen, wie er später sagte. Learning by Doing sei immer sein Weg gewesen. Die Zeitung bot ihm ein Volontariat an. Ein Muster, das seine gesamte journalistische Karriere Bestand haben sollte. Er wurde immer gefragt: „Ich habe mich kein einziges Mal beworben in meinem Leben“.

Der damalige „Tagesschau“-Chef Hans Jesse holte ihn zum WDR. Er war in Deutschland und der Welt unterwegs, das erste Mal vor der Kamera stand er 1967 in Kairo, berichtete über den Sechs-Tage-Krieg. Dann kam die Anfrage, ob er Korrespondent in Moskau werden wolle. Er hatte zwar keine Ahnung von Russland, sagt aber dennoch zu. Mit seiner Frau und dem ersten der später vier Kinder ging es in den Osten.

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Fritz Pleitgen in Moskau

Sieben Jahre blieb die Familie in Moskau, besonders ein kurzes Interview mit dem damaligen Staats- und Parteichef Leonid Breschnew brachte ihm viel Aufmerksamkeit ein.

Dann musste der damalige DDR-Korrespondent Lothar Loewe aufgrund seiner Berichte Ost-Berlin verlassen. Man suchte Ersatz. Pleitgen wollte nicht. Er hatte es der DDR übelgenommen, dass sie Willy Brandt, dessen Politik er – selbst SPD-Mitglied – unterstützte, „einen Spion in den Pelz gesetzt hatte“. Er ging doch, und es lohnte sich. Denn danach durfte er nach Washington.

Vom Broadway an die Breite Straße

Fünf Jahre leitete er das dortige Studio. Nächste Station: New York. Doch der Aufenthalt währte nicht mal ein Jahr. Der damalige Intendant Friedrich Nowottny wollte ihn in Köln haben. Pleitgen wurde Chefredakteur. Kölner seien weltoffen, deshalb sei ihm der Umzug vom Broadway an die Breite Straße nicht schwergefallen.

Es wurde für ihn „die schönste Position“. Er konnte als Journalist weiterarbeiten, Filme drehen, moderieren – und gleichzeitig gestalten. In dieser Funktion begleitete er auch Mauerfall und Wende. Besonders sein Interview mit dem DDR-Staatschef Egon Krenz am 23. November 1989 sorgte für Schlagzeilen. Pleitgen fragte ruhig, aber hartnäckig, Krenz entlarvte sich selbst.

Kämpfer für das öffentlich-rechtliche System

Der nächste Karriereabschnitt sei der gewaltigste gewesen. Er wechselte vom Fernsehen zum Hörfunk. Er verpasste dem Hörfunk eine neue Struktur, gründete die Jugendwelle 1Live. Dann schied Nowottny aus seinem Amt als Intendant aus – und Pleitgen wurde sein Nachfolger. Er setzte sich für die Regionalisierung ein und versuchte, den WDR auch im Internet nach vorne zu bringen. Besonders die Gründung von Phoenix, die in diese Zeit fällt, war ihm ein Herzensanliegen. Der Niedergang des Senders in den vergangenen Jahren machte ihm zu schaffen.

Bis ins hohe Alter war er ein streitbarer Kämpfer für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und forderte mehr Nachrichten, Kultur und Dokumentationen im Hauptprogramm. Wenige haben das öffentlich-rechtliche System so geprägt wie er.

Auf seine Laufbahn blickte Pleitgen, der mit seiner Frau in Bensberg lebte, mit Dankbarkeit zurück. „Ich habe viel Glück gehabt im Leben. Vor allem habe ich das Glück gehabt, dass die schwierigen Zeiten in meinem Leben am Anfang standen.“ Wer mit ihm sprach, spürte, dass er mit sich im Reinen war, Mitleid für seine Erkrankung wollte er keines: „Ich kann mit meinem Leben, so wie es abgelaufen ist, zufrieden sein.“

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