Neues über den in Köln geborenen Schriftsteller Hans MayerDer jähzornige Gigant

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Hans Mayer         

Köln – Wer Hofmannsthals Gedicht „Manche freilich müssen drunten sterben“ nach der Angabe der ersten Zeile nicht zu Ende rezitieren konnte, war durchgefallen. Nicht etwa in einer akademischen Prüfung, sondern in einem „normalen“ alltäglichen Kommunikationszusammenhang. Aber besagten Alltag gab es bei Hans Mayer halt nicht.

Der Romancier und Dramatiker Christoph Hein – seinerzeit kein Student mehr, sondern selbst schon jenseits der 40 – „konnte“ zu seinem Glück. Und fand Gnade vor den Augen der gefürchteten Eminenz. Seinerzeit, das war 1985/86, da Mayer nach seinen freiwillig-erzwungenen Weggang aus Leipzig im Jahre 1963 das erste Mal wieder in die DDR gekommen war.

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Die „mayer-typische“ Hofmannsthal-Episode ist in einem Interview zu lesen, das der Publizist (und Vorsitzende der in Köln beheimateten Hans-Mayer-Gesellschaft) Heinrich Bleicher mit Hein geführt hat. Dieses Gespräch wiederum ist eines von zehn, die Bleicher mit solchen hatte, die den 1907 in Köln geborenen und 2001 in Tübingen verstorbenen Universalgelehrten persönlich kannten. Unter dem Titel „Der unbequeme Aufklärer. Gespräche über Hans Mayer“ sind sie beim talheimer-Verlag in Mössingen veröffentlicht. Tatsächlich wurde es Zeit für eine derartige Bestandsaufnahme – zwei Partner, der deutsch-amerikanische Germanist Jost Hermand und die Literaturwissenschaftlerin Inge Jens, Witwe von Walter Jens, sind kürzlich in hohem Alter verstorben.

Im Klappentext ist Bleichers Erkenntnisinteresse formuliert: „Wer war dieser Mann, der die literarische und kulturpolitische Diskussion der frühen DDR, der BRD in den 60er bis 80er Jahren des 20. Jahrhunderts maßgeblich mitbestimmt hatte?“ Diesem Statement ist wenig hinzuzufügen. Mit seinen Büchern über Büchner, Thomas Mann und Brecht, über Richard Wagner und Goethe, mit seinem fulminanten Großessay über die „Außenseiter“ (zu denen er unabhängiger Marxist, als Homosexueller und dank seiner jüdischen Herkunft selbst gehörte, vor und nach 1933 und erneut nach 1945 hüben wie drüben), mit seiner Autobiografie „Ein Deutscher auf Widerruf“, mit seinen Übersetzungen (Sartre), Editionen (Deutsche Literaturkritik), Kritiken, seinen Reden und Vorträgen – mit all dem gehörte Mayer zu den prägenden Figuren des intellektuellen Lebens in beiden Deutschlands. Und beeinflusste in kaum zu überschätzender Weise ganze Generationen von Schriftstellern, Studenten und „Kulturschaffenden“.

Viele Fehler

Gemessen an den Anforderungen seriöser Quellenphilologie ist Bleichers Band, man muss es leider sagen, eine Katastrophe. Falsch geschriebene Namen, falsche Daten und Jahreszahlen, Schreibfehler aller Art – es schmerzt bei der Lektüre schon ziemlich. Und es gibt Irrtümer der und Widersprüche zwischen den Interviewten – außer den Genannten sind es Pieke Biermann, Friedrich Dieckmann, Thomas Grimm, Kurt Groenewold, Leo Kreutzer, Hanjo Kesting und Jack D. Zipes, hinzu kommen zwei Texte von Volker Braun –, die Bleicher in seinen Anmerkungen unbedingt hätte erläutern bzw. korrigieren müssen.

Zwei Beispiele auf einer (!) Seite (im Hermand-Interview): Der studierte und promovierte Jurist Mayer gab 1931/32 in Berlin nicht mit Richard Friedenthal, sondern mit Richard Löwenthal das Blatt „Der Rote Kämpfer“ der „rechtskommunistischen“ Splitterpartei KPO (O = Opposition) heraus. Und das Buch, auf das sich Mayer bei seinem ersten Zusammentreffen mit Hermand in Wisconsin bezog, war Olaf Ihlaus Marburger, bei Wolfgang Abendroth entstandene Dissertation „Die roten Kämpfer“, nichts anderes.

Mayer wird quicklebendig

Im Ergebnis fallen diese Mängel aber nicht so stark ins Gewicht, denn tatsächlich wird Mayer in diesen mäandernden, thematisch wenig fokussierten, dabei allemal den Duktus des freien Gesprächs wahrenden Interviews post festum noch einmal quicklebendig. Zweifellos war der Mann ein Phänomen: mit seiner stupenden, immer wieder erhellend-überraschende Querverbindungen zwischen unterschiedlichsten Gegenständen stiftenden Gelehrsamkeit, seinem Gigantengedächtnis und einer Konzentrationsfähigkeit, die es ihm gestattete, Vorträge über zwei Stunden hinweg frei und zugleich druckreif zu halten.

Trotzdem wird hier – zu Recht – keine Heiligenvita gestrickt: Mayer war geltungssüchtig, eitel, nachtragend und überempfindlich gegenüber Kritik an seiner Person. Alles verständlich angesichts der biografischen Traumata von Verfolgung und verweigerter Anerkennung. Aber wer einmal Opfer seiner Wutanfälle wurde – der Schreiber dieser Zeilen gehört dazu –, der konnte das nicht nur befremdlich und kränkend, sondern sogar abstoßend finden.

Der Nachfolger erinnert sich

Einer von Bleichers Interviewpartnern ist, es wurde erwähnt, der in Köln lebende Germanist Leo Kreutzer (geboren 1938 in Düren), der in einer soeben unter dem Titel „Ein Hannoveraner auf Widerruf“ (Wehrhahn-Verlag) erschienenen Darstellung seine Zeit als wissenschaftlicher Assistent von Mayer (1965 bis 1969) während dessen Professorenzeit an der TU Hannover reflektiert – Kreutzer wurde später dann auch Mayers Nachfolger auf dessen Lehrstuhl.

Der lebhafte und fesselnde Text bleibt nicht im Anekdotischen stecken, obwohl dies – etwa Mayers Don-Quijotesker Kampf gegen die Geräusche aus veralteten Heizungsrohren – amüsant und bezeichnend genug ist. Auch nicht im Nachvollzug dessen, wie es Mayer gelang, den von Haus aus nicht eben bedeutenden Lehrstuhl zu einem Zentrum des geistigen Austauschs in der Bundesrepublik zu machen.

Vielmehr im besten Sinne analytisch wird Kreutzer, wenn er Mayers hermeneutisches Vorgehen erläutert: seine Technik des intermedialen „Doppeltblickens“; eines dialektischen Verfahrens, das es ermöglicht, Neues im Licht des Alten und die Welt überhaupt als Einheit von Widersprüchen oder als widerspruchsvolle Einheit zu „lesen“. Damit dürfte Kreutzer in der Tat ziemlich nah ans Zentrum von Mayers Denken, Sprechen und Schreiben kommen.

„Der unbequeme Aufklärer. Gespräche über Hans Mayer“. Hrsg. mit einer Einleitung von Heinrich Bleicher, talheimer-Verlag, 290 Seiten, 36 Euro

Leo Kreutzer: „Ein Hannoveraner auf Widerruf. Mit Hans Mayer an der Technischen Universität Hannover“, Wehrhahn, 49 Seiten, 8 Euro 

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