Im Gleichschritt in die Diktatur

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Da machte der marxistische Soziologe Carl Grünberg, im Herbst 1928 auf Einladung der „Sozialistischen Studenten“ eigens aus Frankfurt angereist, ein verdrießliches Gesicht: Der Hörsaal der Kölner Uni, an der er seinen Vortrag über Historischen Materialismus halten sollte, war leer. Die Unileitung hatte die Veranstaltung untersagt. Der nachmalig berühmte Literaturwissenschaftler und Essayist Hans Mayer, damals Jura-Student an der Alma Mater seiner Heimatstadt, kommentiert in seiner Autobiografie „Ein Deutscher auf Widerruf“ den Vorgang so: „Vermutlich hatte ein Verwaltungsmann mit gut katholischer Gesinnung der Magnifizenz ein solches Verbot nahegelegt.“

Mayer schreibt dann noch etwas vom „Zorn über den antisozialistischen Rigorismus meiner Heimatuniversität“; es fehlen indes alle Hinweise darauf, dass das damalige Verbot im Sinne einer Antizipation von Kommendem verstanden werden könnte – viereinhalb Jahre sollte es noch dauern bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten. Von braunem Treiben an der Kölner Uni liest man bei Mayer auch im Fortgang nichts, ein politischer Schock war für den jungen Marxisten aus jüdischem Kölner Großbürgerhaus erst das Ergebnis der Reichstagswahl vom September 1930, die eine Vervielfältigung der Nazi-Sitze zeitigte.

War da Blauäugigkeit und Realitätsverweigerung im Spiel? Ja und nein, muss wohl die Antwort lauten. Auf der einen Seite: Auch neuesten Forschungen zur Geschichte der Kölner Universität seit ihrer Neugründung 1919 zufolge – das Projekt wird von einer Forschergruppe um die Professoren Ralph Jessen, Habbo Knoch und Hans-Peter Ullmann vom Historischen Institut der Hochschule vorangebracht – war seit 1928/29 in Köln der Nationalsozialistische Studentenbund aktiv, der mit Störungen, Provokationen, auch physischen Attacken auf Missliebige Aufmerksamkeit auf sich zog – worauf die Leitungsgremien der Uni, und sei es zögerlich, mit Verboten reagierten.

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Andererseits gab es, so Knoch, „vor 1933 – wenngleich die frühe Selbstgleichschaltung 1933 eine solche Annahme nahelegen könnte – keine Nazifizierung der Uni, zumal des Rektorats und der Professoren, denen die Mitgliedschaft in der NSDAP sowieso untersagt war“. Im Mittelbau, bei Assistenten in teils prekärer beruflicher Position, mochte es stärkere Affinitäten gegeben haben.

All das deckt sich mit Mayers Erinnerungen, die auch die von der Kölner Forschergruppe konstatierte „liberale Berufungspraxis“ der Uni in der Weimarer Zeit bis in die frühen 30er Jahre hinein belegen. Mayer erwähnt zum Beispiel den jüdischen und der SPD nahestehenden Völker- und Staatsrechtler Hans Kelsen, der 1931, also nach den Septemberwahlen, auf einen neugegründeten Lehrstuhl berufen wurde: „Antisemitische Exzesse in Wien hatten ihm das dortige Lehramt verleidet. Man hatte ihn unter ehrenvollen und günstigen Bedingungen nach Köln geholt.“

Der Name Kelsen steht dann allerdings exemplarisch für das, was 1933 auch an und mit der Kölner Universität geschah. Als demokratischer Linker jüdischer Herkunft wurde er 1934 auf Druck des preußischen Erziehungsministeriums in den Ruhestand versetzt – wie es auch anderen fortan unerwünschten Prominenten im Lehrkörper widerfuhr. Mit dem Zoologen Ernst Bresslau und dem Philosophen Helmuth Plessner verlor die Uni zwei ihrer angesehensten Köpfe, insgesamt mussten 29 aus politischen oder „rassischen“ Gründen untragbar gewordene Professoren das Feld räumen.

Im Fall Kelsens hatte die Jura-Fakultät sogar eine Petition zu dessen Gunsten an die preußische Regierung gerichtet. Der einzige Fakultätskollege, der sich ihr nicht anschloss, war Kelsens Kontrahent und Konkurrent Carl Schmitt, der bereits im September 1933 nach Berlin wechselnde spätere Kronjurist des „Dritten Reiches“.

Vordergründig war die Auseinandersetzung zwischen Kelsen und Schmitt wissenschaftlicher Natur: Es ging um die von Kelsen entwickelte, aus ihren soziologischen, historischen und theologischen Verknüpfungen gelöste „Reine Rechtslehre“. De facto war sie, wie Raphael Gross in seinem Buch über „Carl Schmitt und die Juden“ nachweist, ein von antisemitischen und illiberalen Motiven grundiertes Kesseltreiben.

Was geschah in den Jahren 1933 und 1934 rund um die Kölner Uni, das die Kennzeichnung „Frühe Selbstgleichschaltung“ rechtfertigt? Der Initiative des neuen preußischen NS-Kultusministers Rust, der die Selbstverwaltung der Hochschulen abschaffte, das Führerprinzip etablierte, die Rektorenernennung dem Staat überantwortete und den akademischen Senat entmachtete, setzte die Uni wenig entgegen – wenngleich einzuräumen ist, dass sie einem ungemütlichen Zangenangriff ausgeliefert war: seitens der nazifizierten Berliner Bürokratie (dort kursierten sogar Überlegungen, die Hochschule zu schließen) genauso wie seitens der neuausgerichteten Behörden der Stadt Köln als ihres Trägers.

Auch gab es beharrliche Übergriffe der Partei: Als Gleichschalter betätigte sich zumal der als „Staatskommissar“ für die Uni eingesetzte Peter Winkelnkemper, der zuvor als Schriftleiter des „Westdeutschen Beobachters“ gewirkt hatte und nun die Geschäftsführung des Kuratoriums übernahm.

Ausgetauscht wurde – „auf Initiative gewichtiger Professoren“, wie Knoch darlegt – der Rektor. Trotz seiner ideologischen Nähe zu den neuen Machthabern und demonstrativ zur Schau gestellten Kooperationsbereitschaft konnte sich aber auch der neue Amtsinhaber, der Pathologe Ernst Leupold, nicht lange halten. Ständige Konflikte und Kompetenzstreitigkeiten mit Partei und Gauleitung führten bereits 1934 zu seiner Ersetzung durch den Betriebswirtschaftler Erwin Geldmacher, einen willfährigen Günstling von Gauleiter Josef Grohé.

Historiker Jessen beschreibt diese Vorgänge als „Selbstmobilisierung von großen Teilen des Lehrkörpers für den NS“. Opportunistische Anpassung und Überzeugung habe da „in unterschiedlichsten Mischungsverhältnissen“ eine Rolle gespielt. Ob die Kölner Entwicklung gegenüber anderen Entwicklungen Spezifika aufwies, auf diese Frage wollen die Kölner Forscher einstweilen nicht antworten: „Hier ist noch viel zu tun, wir wissen vieles einfach nicht.“ Die verbreitete entlastende Selbstmythisierung von Professoren nach dem Krieg aber – es habe halt nur ein paar braune Schafe gegeben, die Hochschule als Ganzes aber sei politisch-moralisch intakt geblieben – sei auf keinen Fall haltbar.

Vieles lief eben doch, wie es aussieht, so ab wie in anderen Universitätsstädten. Dazu gehörte zum Beispiel die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933, die der Germanist und vormalige Thomas-Mann-Freund Ernst Bertram mit einem „Flammenspruch“ bedachte. Wie überhaupt die Geschichte der Kölner Germanistik – dazu schrieb der Literaturwissenschaftler Karl Otto Conrady einen lesenswerten Beitrag („Völkisch-nationale Germanistik in Köln. Eine unfestliche Erinnerung“) – und auch der Geschichtswissenschaft weithin die einer braunen Durchfärbung ist. Die ideologische Anfälligkeit lag zweifellos auch in den Forschungsgegenständen dieser Fächer begründet; anderen, neueingerichteten Lehrstühlen – Rassenkunde und Volkstumsforschung – war die NS-Nähe von vornherein eingeschrieben.

Rundum schändlich muss man die Vorgänge um die Fertigstellung des Uni-Neubaus am heutigen Albertus-Magnus-Platz nennen: Der Grundstein war 1929 gelegt worden, aber das neue Hauptgebäude stand erst 1935 – die Bauarbeiten überwölbten also die Epochenzäsur von 1933. Nun waren unter den Spendern viele jüdische Unternehmer gewesen, deren Namen sich auch auf einer entsprechenden Ehrenplakette befanden. Weil nicht sein konnte, was nicht sein durfte, wurde, berichtet Knoch, die Plakette in die Erde eingelassen und damit unsichtbar gemacht. Das Spendergeld allerdings nahm man gerne an.

Jessen sieht den „Normalbetrieb“ der Uni in den 30er Jahren dadurch bestimmt, dass „Wissenschaft und Regime Ressourcen füreinander waren“: Forschungsgelder wurden mobilisiert mit entsprechenden Angeboten, ökonomische und Karriereinteressen verzahnten sich mit politischer Einbindung.

Schwer zu beantworten ist nach Darstellung der Kölner Forscher die Frage nach einer Beteiligung der an der Uni Köln lokalisierten Wissenschaft an Humanexperimenten und anderen Verbrechenskomplexen. „Das muss man alles erforschen“, sagt Knoch, aber „die Überlieferungslage ist so, dass man vieles nicht mehr rekonstruieren kann“. Genauer: Spätestens bei Kriegsende wurden entsprechende Spuren mehr oder weniger systematisch vernichtet – wie man auch sonst zur Aktensäuberung und zur Begradigung von Biografien schritt.

Die verbreitete Weißwäscherei nach dem Krieg gehört allerdings nicht mehr zum Thema „Kölner Universität im Nationalsozialismus“. Sie gehört zur politischen und sozialen Pathologie der frühen Bundesrepublik.

Ralph Jessen

Habbo Knoch

Hans Mayer

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