PflichtlektüreDiese Bücher müssen Schüler in NRW lesen

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Die Schüler in NRW müssen bis zum Abitur viele Bücher lesen. (Symbolbild)

Köln – Die Schule geht los. Das ist nicht nur für Erstklässler mit Aufregung verbunden, denn für fast 90000 Schüler an Gymnasien und Gesamtschulen in Nordrhein-Westfalen beginnt der Endspurt auf das Abitur. Sie wechseln von der zehnten Klasse in die Qualifikationsphase (Q1 und Q2), die letzten beiden Schuljahre, in denen sich alles um die Vorbereitung auf das große Finale dreht. Bis dahin stehen noch einige Lektüren auf dem Lehrplan.

Einheitliche Vorgaben dazu gibt das Schulministerium in NRW erst seit 2007 heraus, als zum ersten Mal das Zentralabitur durchgeführt wurde. Zuvor hing das Literaturprogramm von den Deutschlehrern ab. Auch heute bleibt noch viel Freiraum für die Unterrichtsgestaltung. So gibt das Schulministerium für die Abiturienten des Jahrgangs 2019, die nun in die Q1 starten, lediglich vor, „Faust“, „Die Marquise von O…“ und „Sommerhaus, später“ gelesen zu haben. Den Pädagogen steht es offen, diese Liste zu ergänzen.

Beim Blick auf die offiziellen Leselisten der vergangenen zehn Jahre fällt auf, dass dort einige Autoren (ja, vor allem Männer) und einige Titel immer wieder auftauchen. Wir stellen hier die jeweiligen Anfänge vor. Womöglich ein Anreiz zum Weiterlesen – nicht nur für Schüler.

Friedrich Schiller: „Kabale und Liebe“

Miller (schnell auf und ab gehend): Einmal für allemal. Der Handel wird ernsthaft. Meine Tochter kommt mit dem Baron ins Geschrei. Mein Haus wird verrufen. Der Präsident bekommt Wind, und – kurz und gut, ich biete dem Junker aus.

Frau: Du hast ihn nicht in dein Haus geschwatzt – hast ihm deine Tochter nicht nachgeworfen.

Johann Wolfgang Goethe: „Iphigenie auf Tauris“

Iphigenie: Heraus in eure Schatten, rege Wipfel/

Des alten, heil’gen, dichtbelaubten Haines,/

Wie in der Göttin stilles Heiligtum,/

Tret ich noch jetzt mit schauderndem Gefühl,/

Als wenn ich sie zum ersten Mal beträte,/

Und es gewöhnt sich nicht mein Geist hierher.

Heinrich von Kleist: „Die Marquise von O…“

In M..., einer bedeutenden Stadt im oberen Italien, ließ die verwitwete Marquise von O..., eine Dame von vortrefflichem Ruf, und Mutter von mehreren wohlerzogenen Kindern, durch die Zeitungen bekannt machen: dass sie, ohne ihr Wissen, in andre Umstände gekommen sei, dass der Vater zu dem Kinde, das sie gebären würde, sich melden solle; und dass sie, aus Familienrücksichten, entschlossen wäre, ihn zu heiraten.

Johann Wolfgang Goethe: „Faust I“

Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten,/

Die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt./

Versuch ich wohl, euch diesmal festzuhalten?/

Fühl ich mein Herz noch jenem Wahn geneigt?/

Ihr drängt euch zu! nun gut, so mögt ihr walten,/

Wie ihr aus Dunst und Nebel um mich steigt;/

Mein Busen fühlt sich jugendlich erschüttert/

Vom Zauberhauch, der euren Zug umwittert.

Thomas Mann: „Buddenbrooks“

„Was ist das. – Was – ist das…“

„Je, den Düwel ook, c’est la question, ma très chère demoiselle!“

Die Konsulin Buddenbrook, neben ihrer Schwiegermutter auf dem geradlinigen, weißlackierten und mit einem goldenen Löwenkopf verzierten Sofa, dessen Polster hellgelb überzogen waren, warf einen Blick auf ihren Gatten, der in einem Armsessel bei ihr saß, und kam ihrer kleinen Tochter zu Hilfe, die der Großvater am Fenster auf den Knien hielt.

Franz Kafka: „Die Verwandlung“

Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt. Er lag auf seinem panzerartig harten Rücken und sah, wenn er den Kopf ein wenig hob, seinen gewölbten, braunen, von bogenförmigen Versteifungen geteilten Bauch, auf dessen Höhe sich die Bettdecke, zum gänzlichen Niedergleiten bereit, kaum schon erhalten konnte.

Franz Kafka: „Der Prozess“

Jemand mußte Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet. Die Köchin der Frau Grubach, seiner Zimmervermieterin, die ihm jeden Tag gegen acht Uhr früh das Frühstück brachte, kam diesmal nicht. Das war noch niemals geschehen. K. wartete noch ein Weilchen, sah von seinem Kopfkissen aus die alte Frau, die ihm gegenüber wohnte und die ihn mit einer an ihr ganz ungewöhnlichen Neugierde beobachtete, dann aber, gleichzeitig befremdet und hungrig, läutete er.

Joseph Roth: „Hiob“

Vor vielen Jahren lebte in Zuchnow ein Mann namens Mendel Singer. Er war fromm, gottesfürchtig und gewöhnlich, ein ganz alltäglicher Jude. Er übte den schlichten Beruf eines Lehrers aus. In seinem Haus, das nur aus einer geräumigen Küche bestand, vermittelte er Kindern die Kenntnis der Bibel. Er lehrte mit ehrlichem Eifer und ohne aufsehenerregenden Erfolg. Hunderttausende vor ihm hatten wie er gelebt und unterrichtet.

Wolfgang Koeppen: „Tauben im Gras“

Flieger waren über der Stadt, unheilkündende Vögel. Der Lärm der Motoren war Donner, war Hagel, war Sturm. Sturm, Hagel und Donner, täglich und nächtlich, Anflug und Abflug, Übungen des Todes, ein hohles Getöse, ein Beben, ein Erinnern in den Ruinen. Noch waren die Bombenschächte der Flugzeuge leer. Die Auguren lächelten. Niemand blickte zum Himmel auf.

Judith Hermann: „Sommerhaus, später“

Stein fand das Haus im Winter. Er rief mich irgendwann in den ersten Dezembertagen an und sagte: „Hallo“, und schwieg. Ich schwieg auch. Er sagte: „Hier ist Stein“, ich sagte: „Ich weiß“, er sagte: „Wie geht“s denn“, ich sagte: „Warum rufst du an“, er sagte: „Ich hab’s gefunden“, ich fragte verständnislos: „Was hast du gefunden?“ und er antwortete gereizt: „Das Haus! Ich hab das Haus gefunden.“

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