Wagner in Kölner PhilharmonieMarkus Stenz schafft den „Ring“ in 60 Minuten

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Dirigent Markus Stenz   

Köln – Mit seinen 15 Stunden Netto-Spieldauer, auf vier Abende verteilt, verlangt  Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ dem Sitzfleisch und der Aufnahmefähigkeit des Publikums schon einiges ab. Deutlich zügiger wird man in der 1991 geschaffenen Fassung von Henk de Vlieger bedient: Der niederländische Komponist und Arrangeur hat die monströse Tetralogie auf schlanke 60 Minuten gekürzt und die Singstimmen dabei komplett eliminiert.

Das funktioniert vor allem deshalb recht gut, weil de Vlieger überwiegend die orchestralen Vor- und Zwischenspiele verwendet; so ist seine Version eher eine Wanderung durch die Spielorte als eine Zusammenfassung der Handlung. Zwar hört man in den 14 verbundenen Einzelsätzen zuweilen schon arg die Scharniere knirschen - trotzdem hat das Ganze einen hohen Klangreiz und Unterhaltungswert, was das Gürzenich-Orchester unter Leitung seines  ehemaligen Chefs Markus Stenz in der Philharmonie auch deutlich hörbar machte.

Stenz ist Theater-Kapellmeister genug, um die großen Steigerungen und Kulminationspunkte (Walkürenritt, Rheinfahrt) effektvoll in Szene zu setzen. Noch mehr aber schien die Feinmechanik der Zwischenschichten (Feuerzauber, Waldweben) seine Gestaltungslust zu befeuern. Das Gürzenich-Orchester reagierte seinerseits mit einem ausgesprochen luziden und luftigen Spiel, das selbst im hoch verdichteten Pathos von Siegfrieds Trauermarsch mehr auf Schärfe als auf Massivität setzte.

Die Geigerin Alina Ibragimova mit musikantischer Frische

Den so genial erfundenen Urklang des bewegten Wassers im „Rheingold“-Vorspiel hat Wagner übrigens aus der „Melusine“-Ouvertüre seines übel geschmähten Kollegen Felix Mendelssohn Bartholdy abgekupfert. Nicht dieses Stück allerdings, sondern Mendelssohns ungleich berühmteres Violinkonzert e-Moll war dem orchestralen „Ring“ vorgeschaltet. Die russisch-britische Geigerin Alina Ibragimova ging hier mit so viel musikantischer Frische und gestischer Freiheit ans Werk, dass die Patina des ewigen Bestsellers vollständig von der Partitur abfiel.

Der Kopfsatz war in seiner fiebernden Unruhe punktgenau erfasst und zugleich kantabel ausgesungen; das Seitenthema (von den Holzbläsern zuvor wie ein zartes Orgelregister angestimmt) blühte in purer, gänzlich unsentimentaler Schönheit auf. Und dass die temperamentvolle Geigerin dem Orchester im Finale gelegentlich davonlief, war angesichts der fliegenden Leichtigkeit ihres Spiels im Grunde nur konsequent.

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