Wahnsinnsmonolog mit hängender Schallplatte

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Die berühmtesten Worte aus Shakespeares Drama – „to be or not to be“ – fallen gleich zu Beginn, doch weniger als Frage denn als Prophezeiung. Auch die fragmentiert vorweggenommenen Schlussworte des Titelhelden „the rest is…“ machen von Anfang an klar, dass Hamlet seiner Krankheit zum Tode nicht entrinnen und alles Wüten in „silence“ enden wird. Abgesehen von kleinen Textumstellungen folgt Brett Deans Oper „Hamlet“ Shakespeares Drama. Nach der Uraufführung beim Glyndebourne Festival 2017 führte Librettist Matthew Jocelyn nun selbst Regie bei der deutschen Erstaufführung an der Oper Köln. Die Handlung bestimmen während dreier Stunden die überragenden vokalen und schauspielerischen Leistungen der Gesangssolisten unter Leitung des jungen britischen Dirigenten Duncan Ward. Das nüchtern-karge Bühnenbild von Alain Lagarde erlaubt effektvolle Auf- und Abtritte, ohne selbst etwas auszusagen. Zeitlos neutral sind auch die Kostüme von Astrid Janson. Die 1601 entstandene Tragödie wird bühnenpraktisch umgesetzt, verzichtet aber auf eine eigene, gar auf unser Hier und Heute bezogene Lesart. Die bekannte Geschichte des dänischen Prinzen wird linear in all ihren Stationen erzählt. Das Seelendrama ist nachvollziehbar, aber auch erwartbar – was den Spannungsbogen abflacht. Zur gezwungenen Heiterkeit bei Hofe, wo man den neuen König samt frisch vermählter Frau feiert, rumort es mächtig im Orchester. Zu Hamlets erstem Monolog weicht das instrumentale Getriebe zarten Silberklängen, um gleich darauf wieder in die dramatische Schilderung des Auftritts von dessen ermordetem Vater zu kippen. Unter vibrierendem Subwoofer-Grummeln und gellenden Erinnyen-Schreien des Opernchors schiebt sich aus nebelverhangener Gruft der tote König in einem Kahn auf die Bühne, um den Sohn zur Rache an seinem Mörder anzustiften.

Die Personenführung findet eindrückliche Bilder für den aus dem Jenseits kommenden Herrscher, der Gewalt über den Prinzen gewinnt, als Vater, Gewissen, Über-Ich und dynastisches Prinzip. Was als psychoanalytische Familienaufstellung des Titelhelden beginnt, wird von der Inszenierung jedoch nicht weiter verfolgt. Die Nummernoper ist formal konventionell in zwei Akte von acht und vier Szenen gegliedert. Die mäßig moderne Musik des 1961 geborenen australischen Komponisten illustriert das Geschehen mit virtuosen Rasereien, atmosphärischen Klangflächen sowie programmatisch griffigen Passagen. Die mit falschen Zungen sprechenden Freunde Rosenkranz und Güldenstern säuseln in verräterisch hohen Lagen als buffoneske Countertenöre.

Hamlets Arie „Schlafen, träumen“ wird von zarten Streichergespinsten umgarnt. Der von Ophelia erzwungenermaßen vorgelesene Liebesbrief Hamlets entfaltet mit wiederkehrenden Schleifen hypnotischen Sog. Und Akkordeonist James Crabb begleitet die Schauspieltruppe beim Theater im Theater mit hoch virtuoser Musik in der Musik. Der Rundumklang im Saal verteilter Klarinetten, Trompeten und Schlagzeuge soll Sphären von Traum, Wahnsinn und Tod schaffen, bleibt im Staatenhaus aber zu leise und flach. Problematisch wirken auch allzu viele unmotivierte Wiederholungsschleifen, die lediglich beiläufige Hintergründe für die Vokalisten schaffen. Andere Repetitionen sind dagegen dramatisch aufgeladen.

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Dem von Reue geplagten Königsmörder bohren sich minutenlang kreisende Kontrabässe ins Gewissen, und der auf Rache sinnende Prinz wird plötzlich von der Lähmung eines auf der Stelle kreisenden Vokaloktetts befallen. Auch Ophelias Wahnsinnsmonolog mündet in rotierende Sekundwechsel „never, never …“ wie von einer hängenden Schallplatte, dem zentralen Leit- bzw. Leidmotiv des Werks. Der britische Tenor David Butt Philip ist als Hamlet sagenhaft. Er singt und spielt sich mit größter Ausstrahlungskraft immer mehr in Rage. Ebenso verkörpert Sopranistin Gloria Rehm kongenial die zerbrechende Ophelia und erscheint Bassist Joshua Bloom als ermordeter König mit Donnerstimme. Dalia Schaechter entfaltet als Hamlets Mutter mit wenigen Auftritten umso eindringlicher tragische Größe.

Andrew Schroeder als Königsmörder und John Heuzenroeder als serviler Polonius verkörpern stimmlich wie gestisch das rationale Machtprinzip. Am Ende sind alle tot und verschwinden in ungewissem Schwarz. Die großen Stimmen sind verstummt: „The rest is silence“.

STÜCKBRIEF

Musikalische Leitung: Duncan Ward

Inszenierung: Matthew Jocelyn

Bühne: Alain Lagarde

Darsteller: Gloria Rehm, Dalia Schaechter, David Butt Philip, Andrew Schroeder, John Heuzenroeder, Wolfgang Stefan Schwaiger, Joshua Bloom, Dino Lüthy, Patrick Terry, , Cameron Shahbazi, Ján Rusko, James Crabb

Dauer: 3 1/2 Stunden mit Pause

Weitere Aufführungen: 27., 30. November, 5., 8., 11. Dezember

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