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LeserbriefeIst Erinnerungskultur in Köln nichts mehr wert?

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Viele Schulklassen besuchen das NS-Dokumentationszentrum Köln.

„Nicht hin­nehm­ba­rer Zu­stand“ – NS-Do­­ku­­men­ta­ti­­ons­­zen­trum wei­ter ohne Di­rek­tor – Kri­tik nimmt zu (28.3.)

Umgang mit dem NS-Dok ist eine Schande für die Stadt Köln

Der Umgang mit dem NS-Dokumentationszentrum ist eine Schande für die Stadt Köln! Als Leiterin des Vereins Kavod e.V. – Freunde Jüdischer Kultur und langjähriger freiwilliger Mitarbeiterin der Synagogen-Gemeinde Köln habe ich persönlich, bei Recherchen und Besuchen jüdischer Zuwanderer, von der Vielseitigkeit des Forschungs- und Vermittlungsangebots profitiert, und immer konnte ich zählen auf fachkundige, zugewandte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Das fällt natürlich zurück auf die Spitze des Hauses, Herrn Dr. Werner Jung, langjähriger Direktor mit immer neuem Schwung und Engagement.

Ihm verdankt sich der Auf- und Ausbau, der zu einem beispielhaften Erinnerungsort, zu höchst lebendiger Ausstellungs- und pädagogischer Tätigkeit geführt hat. Werner Jung ging Ende letzten Jahres in Ruhestand – ohne offiziellen Abschied, wissenschaftliches Symposium zu seinen Ehren und Überlegungen zur Zukunft des Zentrums. Das ist einfach nicht nachvollziehbar. In vielen Reden beschwört gerade die OB den Einsatz gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus, und nun agiert die Stadt ohne jede Wertschätzung für dieses wichtige Bildungszentrum. Der neue Kulturdezernent aus der Schweiz scheint nicht verstanden zu haben, welche Bedeutung die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in Deutschland hat. Maria Heer Köln

Alles zum Thema Museum Ludwig

Leitungsposition umgehend neu besetzen

Ich vertrete den Standpunkt, dass die Leitung des NS-Dokumentationszentrums umgehend besetzt werden muss. Dieses Haus ist kein Museum, wie das Museum Ludwig, das Wallraf Richartz Museum oder das MAK. Das NS-Dok hat eine wichtige aufklärerische und damit auch politische Funktion und hat dies unter der Leitung von Dr. Werner Jung bewiesen. Das NS-DOK ist ein in ganz Deutschland wichtiges Zentrum für geschichtliche Arbeit und für politische Aufklärung und Sensibilisierung.

Ich habe einige Jahre ehrenamtlich die von der Stadt Köln eingeladenen ehemaligen Zwangsarbeiter und -arbeiterinnen begleitet und zu den Orten geführt, wo sie im Zweiten Weltkrieg arbeiten mussten und dann Interviews mit ihnen geführt. Auch diese Materialien stehen im Zentrum Schulklassen und Interessenten zur Verfügung.

Ich schlage vor, dass sich unsere Abgeordneten der Stadt das NS-Dok, die Räume und das umfangreiche Archiv ansehen, lesen und hören, um zu verstehen, dass dies kein Museum ist, sondern ein Zentrum, das unsere Vergangenheit und die Folgen der NS-Politik veranschaulicht und uns für das „Nie wieder!“ sensibilisieren soll. Ich kenne keinen Besucher, der nach dem Besuch des NS-Dok dieses Haus nicht erschüttert und trauernd verlässt. Karin Witte Köln

Bollwerk gegen Rechtsextremismus nicht schwächen

Ein Haus ohne Leitung ist wie ein Körper ohne Kopf. Welch ein Geschichtsbewusstsein spricht aus der Überlegung einiger Ratsmitglieder der Stadt Köln, die Stelle der Leitung des EL-DE-Hauses unbesetzt zu lassen oder sogar grundsätzlich infrage zu stellen? Nur wer bereit ist, sich zu erinnern, kann Zukunft gestalten. Die Generation, die noch aus eigener Anschauung, ja aus eigenem Leid, über dieses dunkle Kapitel unserer Geschichte berichten konnte, stirbt gerade aus, würde sich aber im Grabe herum drehen, wenn sie diese Diskussion mitbekäme.

Ein EL-DE-Haus ohne Leitung spricht dem Haus seine Bedeutung ab und entzieht ihm eigenen Gestaltungsspielraum für seinen Auftrag. Das EL-DE-Haus auf diese Weise zu schwächen, bedeutet auch, unser Bollwerk gegen den Rechtsextremismus zu schwächen. Die Leitung eines EL-DE-Hauses zu übernehmen, verpflichtet die Leitung täglich dazu, die Erinnerung immer wieder neu zu gestalten und junge Menschen dafür zu sensibilisieren, wie fragil Freiheit und Demokratie, Menschenrechte und ein funktionierender Rechtsstaat sind.

Heute, mehr denn je, geht es darum, zu zeigen, wohin autoritäre Regime führen können, wohin die Verneinung von Menschenrechten führt. Nur mit einer Leitung des EL-DE-Hauses würdigt die Stadt Köln den – leider schon wieder – hochaktuellen Auftrag.  Renate Canisius Göttingen  Bürgermeisterin a.D.

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NS-Dok ist ein besonderes Verdienst der Stadt Köln

Sehr geehrte Frau Reker, mit großer Sorge verfolge ich die Diskussionen um die personelle Ausstattung des NS-Dokumentations-Zentrums. Aus persönlicher Erfahrung weiß ich nur zu gut, wie sehr die dort geleistete Forschung und Dokumentation nicht nur vor Ort, sondern auch weit in die Umgebung von Köln wirkt. Am Beispiel der Stadt Königswinter und der Forschungsarbeit ihres Siebengebirgsmuseums möchte ich diesen Aspekt kurz beleuchten.

Die ursprünglich in Köln-Porz ansässige Rüstungsproduktion einer Firma „Aero-Stahl“ wurde im letzten Kriegsjahr in ein Bergwerk im Siebengebirge bei Königswinter verlagert. Damit verbunden war der zeittypische Einsatz von Zwangsarbeitern und -arbeiterinnen, von denen etwa 400 Personen in einem eigens dafür geschaffenen Lager untergebracht wurden. Jahrzehnte lang lag ein Mantel des Schweigens über diesen Geschehnissen – umso tragischer, als es sich bei der Zwangsarbeit im „Dritten Reich“ um eine der Facetten brutaler Menschenverachtung und rassistischer Diskriminierung handelte, die im Unterschied zu anderen allerdings unübersehbar öffentlich stattfand.

Erst seit den 1970er Jahren wurde dieses Thema zum Gegenstand bundesweiter und in der Folge auch regionaler Forschung. Dass selbst so spät in Königswinter dennoch große Wissenslücken geschlossen und sogar Zeitzeugen befragt werden konnten, verdanken wir zum allergrößten Teil der Arbeit des NS-Dok und dem verdienstvollen Kölner Besuchsprogramm für ehemalige Zwangsarbeiter. Immer wieder waren unter den Teilnehmenden auch solche Betroffene, deren Leidensweg sie mit „Aero-Stahl“ ins Siebengebirge geführt hatte.

Mehrfach konnten wir sie Jahrzehnte später an die Originalschauplätze begleiten und als Zeitzeugen befragen. Ermöglicht wurden solche Erinnerungsfahrten ins Siebengebirge von Mitarbeitern des NS-Dok und der „Projektgruppe Messelager“ im Verein EL-DE-Haus, die sich auch um die Unterstützung durch Dolmetscher kümmerten. Zugleich sorgten jeweils Pressetermine für die wünschenswerte Öffentlichkeit – Gelegenheit zugleich, den besonderen Einsatz der Stadt Köln herauszustellen, die damit ein bleibendes Verdienst erworben hat!

[...] Für die Schilderungen und Einblicke in den Arbeits- und Lageralltag waren und sind die im NS-Dok verfügbaren Materialien von unschätzbarem Wert. Mitschnitte und Transkripte von Interviews, Fotos und persönliche Unterlagen werden hier nicht nur gesammelt und fachgerecht aufbewahrt, sondern auch verzeichnet, ausgewertet und fortlaufend ergänzt. Der unkomplizierte Zugang zu diesen Unterlagen erlaubte Einblicke, die die historischen Geschehnisse auch für ein breiteres Publikum anschaulich werden lassen. [...] 

[...] Ich möchte Sie, Frau Oberbürgermeisterin, dringend bitten, alles in Ihrer Macht Stehende zu unternehmen, um den Bestand, die Arbeitsfähigkeit und das fachliche Niveau der Einrichtung weiterhin zu gewährleisten. Ich hoffe sehr, dass auch Sie meine Wertschätzung für deren seit vielen Jahren so immens wichtige Erinnerungsarbeit teilen. Elmar Scheuren Königswinter Ehemaliger Leiter (1986-2018), heute freier Mitarbeiter des Siebengebirgsmuseums der Stadt Königswinter

Vermittlungsstätte der besonderen Art kontinuierlich fortführen

Die  Absicht des Kölner Kulturdezernenten Stefan Charles, die vakante Stelle des Direktors des NS-Dokumentationszentrums im EL-DE-Haus vorerst nicht zu besetzen, ist empörend. Die Stadt Köln kann stolz sein auf diese wissenschaftliche und zugleich pädagogische Einrichtung, die immerhin schon seit 1979 existiert, seit einer Zeit, als andere Städte noch nicht daran dachten, sich der intensiven Erforschung nationalsozialistischer Verbrechen und der Aufklärung darüber zuzuwenden.

Seit dieser Zeit konnten im EL-DE-Haus vor allem viele Schüler-Generationen über die unsäglichen Taten der Nationalsozialisten aufgeklärt werden. Wer sich des Vormittags im Foyer des Hauses umschaut, wird es erleben: Sobald sich die jungen Menschen mit dem Ungeist jener Zeit konfrontiert sehen, verstummt das Lachen, es weicht tiefer Ergriffenheit. Wo wenn nicht hier können die Menschen verstehen lernen, dass es gilt, Antisemitismus, Rassismus und Fremdenhass abzulehnen?

Das EL-DE-Haus ist deshalb ein „Museum“ der besonderen Art, nicht gleichzusetzen mit einem Kunstmuseum. Das gilt insbesondere auch insofern, als die Einrichtung in letzter Zeit erweitert wurde zu einem „Haus für Demokratie und Erinnern“, dem ein vielversprechendes didaktisch-pädagogisches Konzept zugrunde liegt. Diese Bemühungen dürfen nicht zunichte gemacht werden. Es muss deshalb sichergestellt werden, dass die Arbeit des Hauses baldigst durch eine qualifizierte, mit Leitungsbefugnissen ausgestattete Kraft kontinuierlich fortgesetzt wird. Kurt Schlechtriemen Köln

Ist Erinnerungskultur in Köln nichts mehr wert?

Mit Entsetzen und Befremden habe ich gelesen, dass die durch die Pensionierung von Werner Jung frei gewordene DirektorInnen-Stelle im NS-Dokumentationszentrum nicht neu besetzt werden soll – ohne dass dafür triftige Gründe angegeben werden. Nur ganz vage ist in einem Papier davon die Rede, dass „die vier historischen Museen Kölns [...] stärker vernetzt“ werden sollen – wie und durch wen, wird nicht präzisiert.

Das EL-DE-Haus ist eine in Deutschland einzigartige Verbindung von Gedenkstätte, Museum, Forschungseinrichtung, Dokumentationszentrum und Bibliothek. Es zieht jährlich Tausende von Besuchern und Besucherinnen an, junge wie alte, Deutsche wie Migranten, nicht zuletzt Nachfahren von Juden und Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen, die in unserer Stadt schwerstes Unrecht erlitten haben. Vor zwei Jahren hatte ich die Ehre und das Vergnügen, Nachfahren der Familie von Walter Benjamin, dessen Vater hier geboren ist, mit dem Haus bekannt zu machen. Sie waren tief beeindruckt von diesem Stück intensiver Erinnerungskultur.

Wie ich von den Vorsitzenden des Vereins EL-DE-Haus höre, zögert der neue Kulturdezernent ein dringend notwendiges Gespräch über die Personalfrage immer wieder hinaus. Gerade in Zeiten des zunehmenden Antisemitismus und Rechtsextremismus können wir uns dieses Verhalten wahrlich nicht leisten. Auch im Ausland wird man sich mit Recht die Frage stellen, wieso die Stadt Köln nicht willens oder fähig ist, eine kompetente Nachfolge für Werner Jung zu finden. Scheitert es nur am Geld oder ist Erinnerungskultur in Köln plötzlich nichts mehr wert?  Dr. Eva Weissweiler Köln

Direktorenposse aus 2002 wiederholt sich

Bei der heutigen Diskussion um die Neubesetzung der Direktorenstelle am NS-Dokumentationszentrum Köln überkam mich ein Déjà-vu-Gefühl. Sie erinnert mich an die Absicht Mitte 2002, die Stelle des ausgeschiedenen Direktors Professor Horst Matzerath nicht mehr besetzen zu wollen. Stattdessen sollten das Kölnische Stadt-Museum und das NS-Dok von nur einem Direktor geleitet werden. Dies hatte der damalige Oberbürgermeister Fritz Schramma vorgeschlagen.

Mit einer breiten Solidarität – ich war damals stellvertretender Vorsitzender des Vereins EL-DE-Haus, der die Unterstützung organisierte, – schafften wir es, diesen unsinnigen sachfremden Vorschlag vom Tisch zu bekommen. Zusammen mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund, der Synagogengemeinde, der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, der Universität zu Köln und den Leitern anderer Gedenkstätten aus ganz Deutschland konnte die Zusammenlegung verhindert werden. Anscheinend hat die Stadtspitze nichts daraus gelernt.

Das NS-Dokumentationszentrum ist mit keinem Museum Kölns vergleichbar, weil es verschiedene Funktionen in sich vereint. Sie sind gegenüber damals noch umfassender geworden. Es ist eine Gedenkstätte, ein Museum, eine Forschungsstätte, ein Archiv und eine Weiterbildungsstätte für Schüler und Lehrer. Außerdem beherbergt es gegenüber früher zusätzlich noch die Informations- und Beratungsstelle gegen Rechtsradikalismus und eine weitere Stelle gegen Antisemitismus.

Zurzeit wird es ausgebaut zu einem Ort des Erinnerns und der Demokratie. Dies ist einzigartig in Köln, ja auch in Deutschland. Wie im Jahre 2002 gilt es, eine breite Bewegung für die baldige Neubesetzung des Direktorpostens zu initiieren, damit die Oberbürgermeisterin und der Kulturdezernent endlich ein Einsehen haben – und das möglichst schnell.  Dr. Fritz Bilz Köln

Anbindung an „Historische Mitte“ wenig sinnvoll

Das in der Fachwissenschaft, der europäischen Museumslandschaft und in unserer historischen Domstadt seit vielen Jahrzehnten fest etablierte und renommierte NS-Dok verdient eine größere Wertschätzung. Jahr für Jahr verzeichnet es Besucherrekorde und ist museumspädagogisch bestens aufgestellt, so dass es insbesondere von Schülergruppen aus nah und fern regelmäßig gerne besucht wird. Denn an keinem anderen Ort lässt sich unsere leidvolle Vergangenheit authentischer vermitteln als im ehemaligen Gestapo-Gefängnis.

Eine Anbindung an die entstehende „Historische Mitte“ im Schatten der Hohen Domtürme – wann immer das Zentrum auch Realität wird – würde die so erfolgreiche Arbeit des NS-Dok nur verwässern und vor allem weniger wertschätzen. Es ist ein Trauerspiel, dass die Eigenständigkeit dieser einzigartigen Einrichtung der Forschung, Vermittlung und Dokumentation einem Scharmützel zwischen der Oberbürgermeisterin, der Verwaltung und den Ratsparteien, insbesondere dem Kulturausschuss, zum Opfer fallen soll. Ein unwürdiges Geschacher! Es braucht Eigenständigkeit und eine unverzügliche Neubesetzung der vakanten Direktorenstelle. Dies sind wir unserer eigenen Geschichte schuldig! Thomas Schulte im Walde Köln 

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