Leserbriefe zur Städtepartnerschaft Köln-Wolgograd„Eiszeit-Beschluss“ überdenken

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Gedenkstätte für die Opfer der Schlacht von Stalingrad, das heutige Wolgograd

Köln legt Städtepartnerschaft mit Wolgograd auf Eis – Beschluss der Oberbürgermeisterin (4.3.)

Entscheidung zur Aussetzung der Städtepartnerschaft überdenken

Diese „Auf-Eis-Legung“ ist ein völlig falsches Signal, denn die Kontakte und Beziehungen der Städtepartnerschaft sind seit Jahrzehnten nichts als Friedensarbeit und Bemühen um Völkerverständigung auf zivilgesellschaftlicher Ebene. Sie müssten gerade heute intensiviert statt auf Eis gelegt werden. Offenbar wissen manche politischen Entscheidungsträger viel zu wenig darüber. Das wird an einer Bemerkung des CDU-Fraktionsvorsitzenden deutlich, die im Artikel von Clemens Schminke zitiert wird. Demnach hat man sich von zufällig aufgeschnappten Äußerungen leiten lassen, statt wenigstens kurz einmal das Gespräch zu suchen.

Dann wüsste man, dass der Vereinsvorstand am 2. März folgende Stellungnahme beschlossen hat: „Dem Frieden verpflichtet – Krieg ist keine Lösung – Wir als Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft Köln-Wolgograd e. V. sind solidarisch mit den Opfern der Gewalt und verurteilen entschieden den Angriff Russlands auf die Ukraine. Er widerspricht diametral unserem Vereinsziel zur Völkerverständigung. Auch unabhängig von unserer Arbeit lehnen wir Krieg – zumal Angriffskrieg – als Mittel der Politik ab, weil er immer großes Leid über die Menschen und Zerstörungen mit sich bringt.

Gerade jetzt treten wir für eine Fortsetzung des Dialoges mit der Zivilgesellschaft in unserer Partnerstadt Wolgograd (ehemals Stalingrad) ein. Solche Kontakte sind besonders in politischen Krisenzeiten von besonderer Bedeutung. Dafür steht prominent die Kölner Unterstützung für die heute noch lebenden ehemaligen Zwangsarbeiter*innen in Wolgograd, die unsere Hilfe auch und gerade jetzt weiter brauchen. Eva Aras (im Auftrag des Vorstandes).“ Es wäre zu wünschen, dass der Rat der Stadt, der offenbar gar nicht richtig eingebunden war, diese Entscheidung überdenkt und korrigiert – und damit auch das richtige Signal an unsere Freunde in Wolgograd sendet. Dr. Christian Fischer Köln Vorstandsmitglied im Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft Köln – Wolgograd e.V.

Letzte Verbindung Wolgograds zur freien Welt

Liebe Kölner Lokalpolitiker, bitte kappt der Bevölkerung von Wolgograd doch nicht die letzten Verbindungen zur freien Welt! Boykott der Banken, der Oligarchen, der russischen Machthaber – ja –, aber doch nicht in Bezug auf die russische Bevölkerung! Ich habe Hochachtung vor den mutigen Menschen in Russland, die es trotz härtester Strafandrohung wagen, für Frieden auf die Straßen zu gehen oder unzensierte Nachrichten weiterzugeben. Und wenn die Vertreter der Partnerorganisation in Wolgograd „angepasste“ russische Meinungen postulieren: Wissen Sie, liebe Kölner Stadtverordnete, unter welchem Druck oder Zwang durch die Staatspolizei dies eventuell so geschrieben wurde?

Im Freundeskreis haben wir erfahren, wie dankbar friedliebende Russen sind – etwa aus den christlichen Kirchen oder auch Kulturschaffende –, wenn wir zeigen, dass wir sie wahrnehmen. Wenn die Verbindungen erst einmal abgeschnitten werden, ist es auf lange Sicht extrem schwierig, wieder Beziehungen aufzubauen. Daher meine Bitte: Brechen Sie nicht vorschnell Beziehungen ab! Im Gegenteil: Sobald es wieder möglich ist, sollte die Städtepartnerschaft wieder belebt werden! Geraldine De Stefano Köln

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Städtepartnerschaften sind Ausdruck friedlichen Miteinanders

Nein, das geht doch gar nicht! Städtepartnerschaften haben über Jahre Vertrauen aufgebaut, Kontakte und Freundschaften werden gepflegt, konkrete Hilfe ging und geht an Menschen in Wolgograd, an ehemalige Zwangsarbeiterinnen – da geht ein Dank auch an die Mitarbeiter der Stadtverwaltung! In diesem ganzen Irrsinn von Krieg, der uns gerade aufgezwungen wird, müssen wir doch bereits jetzt klar im Kopf haben: Es gibt eine Zeit nach dem Krieg – und dann wird Russland immer noch da sein. Die Kölner haben in einer beeindruckenden Demonstration am Rosenmontag gegen Putins Krieg, nicht gegen das russische Volk demonstriert. Städtepartnerschaften stärken die Zivilbevölkerung, werben für ein friedliches Miteinander – diesen Gedanken können wir doch nicht einfach auf Eis legen, gerade jetzt nicht! Dorothea Klein Köln

Falsches Signal in dieser Zeit

Leider ein völlig falsches Signal in diesen Zeiten. Gerade die Städtepartnerschaften sind ein wichtiges Bindeglied zwischen den Fronten. Das bedeutet nicht „so weiter machen, als wäre nichts gewesen“. Das heißt vielmehr „auf jeden Fall weitermachen, weil gerade jetzt so vieles ist und in der Vergangenheit schon so vieles war.“ Wie kurz greifen wir doch oft in unseren Entscheidungen! Präsentes Handeln mit Vor(aus)Sicht sieht anders aus. Hildegard Meier Köln

Gerade die Zivilgesellschaft muss die Basis für Frieden erhalten 

Man darf die Städtepartnerschaft mit Wolgograd nicht auf Eis legen, ich denke, man kann es auch gar nicht. Was macht diese Städtepartnerschaft denn aus? Was erfüllt sie mit Leben? Es sind nicht die offiziellen Kontakte, es sind doch die Beziehungen der Menschen untereinander, der Bürgerinnen und Bürger, die nach meiner Beobachtung in über 30 Jahren zu einem festen Freundschaftsnetz zusammengewachsen sind.

Ich erinnere mich an den Herbst 1989, meine erste Reise mit dem Friedensbildungswerk in diese Stadt, das ehemalige Stalingrad. Beklemmende Gefühle. Und dann – unerwartet: Mit welcher Wärme, mit welcher Herzlichkeit, mit welcher Gastfreundschaft wurden wir empfangen! Fast alle aus der Reisegruppe sind nach der Rückkehr in den neu gegründeten „Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft Köln-Wolgograd“ eingetreten. Hier, in diesem Verein, wurde und wird auch heute noch die Städtepartnerschaft gelebt. Gemeinsam mit unserer Partnerorganisation in Wolgograd haben wir eine Fülle von Projekten realisiert.

Es ehrt die Stadt, dass sie unser wichtigstes Projekt, den Sozial-Medizinischen Hilfsdienst für ehemalige NS-ZwangsarbeiterInnen – finanziell – weiterhin unterstützen will. Die Verantwortung für das Hilfsprojekt hat unser Verein. Sie wurde ihm vom Rat der Stadt im Jahr 2000 mit einstimmigem Votum übertragen. Wir werden die Menschen, die in Wolgograd auf unsere Hilfe angewiesen sind, auf keinen Fall im Stich lassen. Sie sollen diese Hilfe erhalten, solange sie gebraucht wird.

Norbert Burger verwendete im Zusammenhang mit den Kölner Städtepartnerschaften den Begriff „Volksdiplomatie“, einen Begriff, der sehr gut beschreibt, worauf es jetzt ankommt. Wir, die Zivilgesellschaft, müssen dafür sorgen, dass auch während dieses unseligen Krieges die Basis für Frieden erhalten bleibt. Das können wir in unserem Miteinander bewirken. Ich denke dabei nicht nur an die russischen Menschen in unserer Partnerstadt, sondern auch an die in Köln. Was mögen sie über die von der Stadt verkündete Eiszeit denken? Ob das von der Stadtspitze bedacht worden ist? Ich möchte nicht auf städtisches „Tauwetter“ warten müssen, ich wünsche mir, ich wünsche uns allen, dass dieser Eiszeit-Beschluss zurückgenommen wird.  Frauke Eickhoff Köln

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Besuchergruppe aus Kölns Partnerstadt Wolgograd mit der ehemaligen Kölner Bezirksbürgermeisterin Angela Spizig im Jahr 2013

Gespräche heute wichtiger denn je

Es ist erschreckend und fürchterlich, wie schnell die hiesigen Politiker sich auf einen „Kriegsmodus“ einlassen. Unmittelbar nach dem schockierenden Überfall auf die Ukraine werden sämtliche Kontakte gekappt, man geht unmittelbar in die Konfrontation.

Wie soll man verstehen, dass ausgerechnet jetzt die Partnerschaft Köln-Wolgograd „auf Eis gelegt wird“, wo die Gespräche wichtiger denn je sind, ja, das einzige Mittel, diesen Krieg so bald als möglich zu beenden? Möglichkeiten des Gesprächs, der Auseinandersetzung und – am wichtigsten – der Unterstützung russischer Oppositioneller – alles ist mit einem Federstrich aufgegeben zugunsten der Ansicht: Wer Krieg führt, mit dem reden wir nicht! Wie kann es mit dieser Haltung je zum Frieden kommen?

Besonders ärgerlich: Nachdem die Städtepartnerschaft unmittelbar nach Kriegsbeginn aufgerufen hatte zur Stellungnahme und zur Demonstration gegen den Krieg, lässt der CDU-Vorsitzende Petelkau verlauten, die Organisation lasse eine klare Stellungnahme vermissen. Eine glatte Unwahrheit! Denn Frieden ist nur mit Gesprächen möglich–eigentlich eine Binsenwahrheit! Angelika Lehndorff-Felsko Köln

Russische Menschen jetzt nicht im Stich lassen

Wenn wir jetzt sämtliche freundschaftlichen Beziehungen zu den Bürgern Russlands einfrieren, stellen wir dann nicht alle Russen unter Generalverdacht, Putin-Anhänger zu sein, wohlwissend, dass das nicht stimmt? Lassen wir nicht dadurch Menschen im Stich, die sowieso schon sprach- und hilflos sind und nun noch nicht einmal mehr Solidarität von uns zu erwarten haben?

Natürlich treffen auch die politischen Sanktionen am Ende „den kleinen Mann“, also völlig Unschuldige, aber sie treffen eben auch die Mächtigen, was ja das Ziel ist. Das ist bei der Städtepartnerschaft etwas völlig anderes. Das trifft weder Putin noch sein Gefolge, sondern vor allem unsere Freunde dort und birgt die Gefahr, dass die friedlichen Brücken, die Städtepartnerschaften mit sich bringen, auch noch einstürzen.

Wir dürfen das russische Volk jetzt nicht im Stich lassen, zumindest nicht die vielen Menschen, die dort im stummen Widerstand leben, aber auch nicht die Desinformierten und Ausgelieferten. Wir müssen auch Mitgefühl für die russischen Familien haben, die in diesem sinnlosen Krieg, für den alleine Wladimir Putin die Verantwortung trägt, ihre Angehörigen verlieren. Es sind – hier wie dort – Menschen! Das dürfen wir nie vergessen. Nicola Balscheit Frechen

Solidarität mit russischen Freunden und Partnern

Nicht das russische Volk, sondern Putin hat den Krieg in der Ukraine begonnen. Viele Menschen in Russland und ganz sicher in unserer Städtepartnerschaft mit Wolgograd wollen diesen Krieg nicht. Und genau mit diesen Menschen, unseren Partnern und Freunden, müssen wir uns weiterhin verständigen, austauschen, solidarisieren. In einer solchen Krise kann die Partnerschaft gute Dienste leisten. Unsere Oberbürgermeisterin sollte diese Initiative jetzt nutzen und fördern, und nicht blockieren. Sie sollte dafür sorgen, dass die Verbindung zu unserer Partnerstadt nicht abreißt! Michael Strücker Köln

Historische Verpflichtung gegenüber Wolgograd

Der Kommentar „Wandeln auf schmalem Grat – Köln setzt Städtepartnerschaft zu Wolgograd aus“ von Carsten Fiedler spricht mir aus dem Herzen: Gerade die persönlichen Kontakte müssen in einer Krise weiter gestärkt werden. Außerdem sind wir aufgrund unserer Geschichte mit dieser Stadt verbunden und ich meine, wir sind ihr auch verpflichtet. Vielen Dank für diese Stellungnahme. Dr. Susanne Hörnemann Köln

Gesprächsfäden knüpfen, nicht zerschneiden

Eine ganz üble Entscheidung – im Hinterzimmer ausgekungelt. Gesprächsfäden knüpfen, das ist es, was jetzt zählt, nicht zerschneiden. Im kommenden August jährt sich der Angriff Nazi-Deutschlands auf unsere Partnerstadt Wolgograd zum achtzigsten Mal. Zum einen ist es auch aus diesem Grund verständlich, dass die Russische Föderation keine Nato vor ihrer Haustür sehen will. Zum anderen ist es eine große vertane Gelegenheit, über Angriffskriege zu reden, über Rechtfertigungen, über Leid. Und etwas mehr Geschichtsbewusstsein scheint ja dringend nötig zu sein. Toni Speier Köln

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