Zukunftsauto im SelbsttestWie sich das Fahren mit einem autonomen Taxi anfühlt

Lesezeit 8 Minuten
Karl Doemens steigt aus dem Robo-Taxi von Cruise.

Ende einer Testfahrt: Unser Korrespondent Karl Doemens steigt aus dem Robo-Taxi von Cruise. Zum Restaurant musste er noch hundert Meter laufen.

In den Straßen von San Francisco rollen die ersten Autos ganz ohne Fahrer. Feuerwehr und Rettungsdienste schlagen Alarm.

Unsere erste Begegnung stand unter keinem guten Stern. Dabei kam Chocolate pünktlich, und er sah irgendwie knuffig aus. Mit leuchtenden Scheinwerfern sprintete er die Clay Street herunter und schien mich mit seinen zwei großen Roboter-Kulleraugen kurz anzulächeln. Es war ein lauer Sommerabend in San Francisco. Ich freute mich auf die Pappardelle beim Italiener in Nob Hill. Keine 15 Minuten sollte die Fahrt dorthin dauern.

Robo-Auto auf San Franciscos Straßen

Aber Chocolate bremste nicht. Ungerührt brauste er an mir vorbei Richtung Chinatown. Ich winkte. Es half nichts. Erst hundert Meter weiter blieb der weiß-orangefarbene Wagen mitten auf der Fahrbahn abrupt stehen. Seine Warnleuchten blinkten. Aus Angst, er könne ohne mich abfahren, rannte ich die Straße hinunter.

Außer Atem blickte ich erstmals durchs Seitenfenster: Es war niemand drin. Wirklich niemand. Mit leicht mulmigem Gefühl entriegelte ich mit einem Tastendruck in der Handy-App die hintere Tür und ergab mich meinem Schicksal.

Taxi Doemens Selbsttest Innenansicht
Foto: Karl Doemens

Der Blick in das Innere des Taxis: An eine Autofahrt ohne Fahrer oder Fahrerin muss man sich erst einmal gewöhnen.

Seit einem Jahr läuft in San Francisco, dem Zentrum der amerikanischen Tech-Industrie, ein faszinierender Feldversuch, der schon jetzt das Straßenbild verändert, in ein paar Jahren aber das Autofahren revolutionieren könnte: Durch die Stadt rollen ein paar hundert Robo-Taxis. Komplett ohne Fahrer, dafür aber mit jeder Menge Kameras, Radar und Sensoren auf dem Dach, befördern die autonomen Elektrofahrzeuge ihre Gäste von A nach B.

Robo-Taxis: Cruise oder Waymo sind Anbieter

Zwei Fahrdienstanbieter – die General-Motors-Tochter Cruise und das Google-Schwesterunternehmen Waymo – haben derzeit noch sehr begrenzte Lizenzen. Ob die Pilotprojekte ausgeweitet werden dürfen, ist höchst umstritten. Kritiker befürchten gefährliche Unfälle, Chaos im Verkehr und fatale Hindernisse für Rettungsfahrzeuge. Zweimal schon hat die kalifornische Regulierungsbehörde die heikle Entscheidung über eine Vollzulassung verschoben. Mitte August will sie nach derzeitiger Planung nun entscheiden.

Wenn man bei den in den USA weit verbreiteten traditionellen Fahrdienstanbietern Uber oder Lyft einen Wagen bestellt, werden einem zuvor in der App das Nummernschild und der Name des Fahrers mitgeteilt. Die Robo-Taxi-Firma Cruise ließ mich an jenem Abend wissen, dass in vier Minuten „Chocolate“ bereitstehe.

Das führerlose Gefährt hatte seine Schicht gerade erst begonnen: Die Geisterautos vom Typ Chevy Bolt, der US-Version des Opel Ampera, dürfen nur zwischen 22 Uhr abends und 5.30 Uhr morgens im nordwestlichen Drittel der City verkehren. Die Konkurrenz von Waymo fährt zwar auch tagsüber, aber nur mit registrierten Testpersonen.

Wie es sich anfühlt in ein Robo-Taxi zu steigen

Chocolate begrüßte mich wortlos und machte unmissverständlich klar, dass mein Platz auf der Rückbank sein würde. Die Beifahrertür ließ sich nicht öffnen, was mich irritierte, weil der Wagen von innen aussieht wie ein normales Auto: Es gibt ein Lenkrad, ein Armaturenbrett und einen Automatik-Schaltknüppel. Selbst Sicherheitsgurte für den imaginären Fahrer und den Beifahrer sind eingebaut. Doch in den vorderen Teil des Wagens kann man von hinten nur durch eine Plexiglasscheibe schauen. Die Fahrtroute und sonstige Informationen werden auf zwei Monitoren hinter den Kopfstützen der Vordersitze angezeigt.

„Buckle these seat bells“ (Bitte anschnallen) forderte die Anzeigetafel auf und mahnte, während der Fahrt keinesfalls Arme oder Kopf aus dem Fenster zu strecken, bevor der Wagen langsam anrollte. Wie von Geisterhand bewegte sich das Lenkrad. Der Blinker leuchtete, wir bogen rechts ab in die Powell Street, auf der auch die berühmten Cable Cars verkehren. Irgendwie war ich froh, keiner Straßenbahn zu begegnen. Dafür gab es freilich eine Reihe anderer Autos. Chocolate fädelte sich ein, stoppte an einer roten Ampel und bog erneut rechts ab. Insgesamt schien er mir ein umsichtiger und vorsichtiger Fahrer zu sein.

In der Sacramento Street, kurz vor der Kathedrale, lauerte das erste Hindernis. Ein Lastwagen lugte aus einer Ausfahrt und versperrte die Fahrspur. Chocolate schwenkte aus, fuhr kurz über die Busspur und kehrte dann auf die normale Strecke zurück. An einer Vorfahrtsstraße ließ er einem Auto von rechts den Vortritt.

Auch einen Four-Way Stop, den man in der Reihenfolge des Eintreffens kreuzen darf, meisterte er ohne Probleme. Beim abermaligen Abbiegen von der belebten Polk in die Clay Street ließ er Fußgänger höflich über die Straße und beachtete einen Skateboarder, der von hinten rechts aus dem toten Winkel heran geschossen kam.

Gerade wollte ich mich entspannt zurücklehnen und die halb überwältigende, halb unheimliche Science-Fiction-Fahrt durch die Nacht genießen, als ein parkender grauer SUV die Fahrspur versperrte. Der Wagen stand in der zweiten Reihe, er hatte die Warnblinker angeschaltet. Man konnte ihn von weitem sehen und über den Busstreifen ausweichen, wie dies die Fahrer in den anderen Autos machten. Chocolate aber fuhr so dicht auf das Hindernis auf, als sei es ein unvermeidlicher Stau, und schaltete seine Warnblinkanlage an. Dann blieb er schicksalsergeben stehen. Einfach so.

Probleme im Straßenverkehr

Minutenlang passierte gar nichts. „We’re still helping your car through this spot“ (Wir helfen ihrem Wagen noch immer an dieser Stelle) versprach eine Anzeige auf dem Monitor. Es ruckelte ein bisschen. Der Computer schien ein Ausweichmanöver zu erwägen. Aber Chocolate war eingekeilt zwischen dem parkenden SUV und dem fließenden Verkehr. Ich dachte an die Pappardelle und wurde nervös. Nach einer gefühlten Ewigkeit fuhr der SUV endlich los. Kurz darauf rollten auch wir wieder.

Probleme wie dieses scheinen nach zehn Jahren Forschung und Entwicklung zu den Kinderkrankheiten der Robo-Taxis zu gehören. Während der Pride Parade Ende Juni blieben zwei Fahrzeuge von Waymo wegen einer Straßensperrung einfach mitten auf einer Kreuzung stehen. Es bildete sich ein kilometerlanger Stau. Nach einer Viertelstunde war endlich ein Techniker der Firma vor Ort, der die Hindernisse wegfuhr – jeweils mit einem Strafzettel über 108 Dollar unter dem Scheibenwischer.

Deutlich gefährlicher war die Lage zwei Wochen zuvor nach einer Schießerei im Stadtteil Mission gewesen, bei der neun Menschen verletzt wurden. Ein Cruise-Fahrzeug blockierte eine Spur für Rettungsfahrzeuge. Auf einem Video im Netz kann man sehen, wie ein Polizist wild gestikulierend auf den imaginären Fahrer ein brüllt, bis er fassungslos feststellt, dass niemand hinter dem Steuer sitzt.

Ähnliche Zwischenfälle registrieren die Rettungskräfte in San Francisco inzwischen fast jeden Tag. „Wir haben bislang noch verdammt viel Glück gehabt“, warnt Feuerwehr-Chefin Jeanine Nicholson: „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis etwas wirklich, wirklich Katastrophales passiert.“ In einem Interview schlug die Beamtin vor wenigen Wochen Alarm: „Ich habe gar nichts gegen diese Technologie. Aber sie ist einfach nicht reif für die Hauptverkehrszeiten.“

Faszination und Frust

Auch die Bevölkerung schwankt zwischen Faszination und Frust. Als Ende Mai ein Hund von einem Waymo-Jaguar überfahren wurde, ging ein empörter Aufschrei durch die Stadt. Allerdings war das Tier plötzlich zwischen zwei parkenden Autos hervorgesprungen, und auch ein Test-Ingenieur, der in diesem Fall hinterm Steuer des Robo-Taxis saß, konnte den Unfall nicht verhindern. Kurz darauf fuhr ein autonomes Cruise-Fahrzeug einen Labrador an.

Das Tier wurde nicht ernsthaft verletzt, aber seine Eigentümerin empörte sich auf dem Nachbarschaftsportal Nextdoor: „Als ob es nicht genug gäbe, was einen in dieser Stadt besorgt: Jetzt sind wir schutzlos diesen gefährlichen Computern ausgeliefert.“ Die Aktivistengruppe Safe Street Rebel hat inzwischen eine regelrechte Guerilla-Taktik gegen die selbstfahrenden Autos entwickelt: Sie drapiert orangefarbene Verkehrsleitkegel auf die Kühlerhauben der Fahrzeuge. Dann können diese nicht mehr navigieren.

Betreiber machen sich stark für das Projekt: „Menschen sind furchtbare Fahrer“

Die Betreiber halten entschieden dagegen. „Wir sind sehr stolz auf unsere Sicherheitsbilanz“, betont eine Cruise-Sprecherin: Bei mehr als drei Millionen fahrerlosen Meilen an den Teststandorten San Francisco, Phoenix und Austin sei kein einziger Mensch lebensgefährlich verletzt oder getötet worden. Das Unternehmen hofft, dass die nationale Verkehrssicherheitsbehörde der USA in den nächsten Wochen ein neues Taxi-Modell zulässt: Der Kleinbus Cruise Origin kann bis zu sechs Menschen transportieren. Anders als der Chevy Bolt hat er weder Fahrersitz, noch Rückspiegel, Lenkrad oder Brems- und Gaspedal.

„Menschen sind furchtbare Fahrer“, wirbt die GM-Tochter in ganzseitigen Anzeigen in der New York Times und behauptet, ihre fahrerlosen Autos seien in 92 Prozent weniger Unfälle verwickelt als herkömmliche Fahrzeuge: „Sie sind nie abgelenkt, schläfrig oder betrunken.“

Das Argument wiegt schwer. Aber der Mensch ist nicht nur ein Risikofaktor. Nach der Zwangspause hinter dem SUV hatte mich Chocolate sicher durch Nob Hill gefahren, ohne auch nur einmal die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 25 Meilen pro Stunde zu überschreiten, als er vor einer roten Ampel auf der Pacific Avenue stoppte. Auf der anderen Seite an der Ecke Mason Street konnte ich  schon die rote Markise des AltoVino sehen, wo zu dieser späten Stunde die letzten Bestellungen aufgenommen werden.

Die Ampel sprang auf Grün. Chocolate fuhr mit Schwung über die Kreuzung, an dem Lokal vorbei und den Berg hinunter. „Halt“, hätte man jetzt einem menschlichen Fahrer zugerufen: „Hier ist es!“ Aber die künstliche Intelligenz hat ihren eigenen Willen. Erst fünf Häuser weiter beendete sie die Geisterfahrt. „Wir haben Ihr Ziel erreicht“, behauptete die Anzeige im Monitor selbstbewusst. Ich sprang schnell heraus: Wer weiß, wo der nächste Halt gewesen wäre?

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