Im Krieg geborenWas mit Babys von ukrainischen Leihmüttern passiert

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Oksana und Gero Berndt aus Ostwestfalen halten rund zwei Wochen vor Kriegsausbruch ihr Baby im Arm, das von einer Leihmuittter ausgetragen wurde.

  • Aus ganz Europa, aber auch aus den USA, Indien oder China kommen Paare in die Ukraine, um sich mit Hilfe einer Leihmutter ihren Kinderwunsch zu erfüllen.
  • Ein Paar aus Ostwestfalen konnte sich mit seiner wenige Wochen alten Tochter aus dem umkämpften Kiew retten.
  • Wie viele Babys von Leihmüttern derzeit in der Ukraine zur Welt kommen und nicht abgeholt werden können, ist nicht bekannt.

Berlin/Porta Westfalica – Frauen mit Neugeborenen in Luftschutzkellern, Babys auf dem Arm von Soldaten bei der Evakuierung, stillende Mütter auf der Flucht: Die Bilder aus Kiew und anderen ukrainischen Städten und aus dem Grenzgebiet erschüttern. Um ihre Kinder bangen nach Kriegsausbruch nicht nur Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer, sondern auch Hunderte sogenannte Wunsch-Eltern weltweit, denn die Ukraine gilt als ein Zentrum der kommerziellen Leihmutterschaft.

Gero und Oksana Berndt aus dem ostwestfälischen Porta Westfalica sind im Januar mit Hilfe einer Leihmutter Eltern geworden. Als in der Ukraine die Ausreise-Aufforderung für alle Deutsche kam, wollten sie nicht ohne ihr Baby Amy das Land verlassen. Zwei Tage vor Kriegsbeginn waren dann endlich alle Papiere für die kleine Tochter zusammen, der Rückflug von Kiew nach Hamburg gebucht.

„Ich weiß jetzt, was es heißt, um sein Leben zu rennen“

Doch dann erfuhr das Paar am frühen Donnerstagmorgen vom Angriff der Russen. Aus ihrem Appartement im siebten Stock mussten sie mit anderen Bewohnern des Wohnblocks nachts in den Keller, hörten Bombeneinschläge. Wegen der Ausgangssperre gab es zunächst kein Entkommen. Schließlich ergatterten sie ein Zugticket und übernachteten im Bahnhof, um am 1. März den Zug nach Lwiw zu erwischen. Freunde holten sie von der polnischen Grenze ab.

"Ich weiß jetzt, was es heißt, um sein Leben zu rennen", sagt der 50-jährige Gero Berndt. "Ich bin sehr froh, dass unsere Tochter jetzt in Sicherheit ist", sagt die 40-jährige Oksana Berndt, die aus der Ukraine stammt. Doch sie habe große Angst um ihre Mutter, die in der Nähe von Tschernobyl lebt, und um Freunde und Bekannte, die es bisher nicht aus dem Kriegsgebiet heraus geschafft hätten.

Agenturen informieren mit Youtube-Videos

Das Paar hatte jahrelang mit Kinderwunschbehandlungen in Deutschland vergeblich versucht, ein Baby zu bekommen. Leihmutterschaft ist in Deutschland wie in vielen anderen Staaten verboten. Deshalb weichen Paare auf das osteuropäische Land aus, wenn zum Beispiel eine Krankheit oder Operation eine Schwangerschaft unmöglich machen. Wie viele Babys von Leihmüttern derzeit in der Ukraine zur Welt kommen und nicht abgeholt werden können, ist nicht bekannt. Wie die Leihmütter-Agentur VittoriaVita am 3. März mitteilte, befinden sich die meisten ihrer Leihmütter „in sicheren Regionen des Landes“ und werden medizinisch und psychologisch betreut.

Die Reproduktionsklinik Biotexcom informiert ihre Kundschaft aus dem Ausland auch per Youtube-Videos und Facebook-Posts. Die Klinik gewährleiste weiterhin die Sicherheit der Babys, heißt es auf ihrer Internetseite. Der Chefarzt hole die Neugeborenen „eigenhändig“ nach der Entbindung ab und bringe sie an einen sicheren Ort, wo sie von Babysitterinnen rund um die Uhr betreut würden – zum Beweis dafür gibt es ein Video. Bereits am 28. Februar warnte die Firma Wunsch-Eltern davor, Leihmütter wegen des Krieges für die Geburt ins Ausland zu holen. Dies sei nicht legal.

Keine Strafen für deutsche Paare oder Leihmütter

Zwar ist in Deutschland die Leihmutterschaft verboten, bestraft werden Wunsch-Eltern, die ins Ausland gehen, und deren Leihmütter aber nicht. Das erläutert der Fachanwalt für Medizinrecht, Holger Eberlein. Dagegen müssten hier tätige Vermittler und behandelnde Ärzte mit Strafen rechnen. Eberlein ist im Vorstand des Bundesverbands Reproduktionsmedizinischer Zentren. "Sie könnten die schwangeren Leihmütter aus der Ukraine rausholen und bei sich aufnehmen, aber das machen nicht viele», schätzt der Jurist. Wenn die Leihmutter in Deutschland das Kind bekomme, sei sie erst einmal rechtlich die Mutter des Kindes. "Der Prozess über die Adoption wird dann schwerer."

Stiefkind-Adoption trotz biologischer Verwandschaft

Allerdings muss auch Oksana Berndt für ihr Baby trotz vollständiger ukrainischer Papiere in Deutschland noch das Verfahren der Stiefkind-Adoption durchlaufen – dabei ist sie die biologische Mutter und ihr Ehemann der biologische Vater.  Die Leihmütter in der Ukraine sind mit dem Kind, das sie austragen, nicht genetisch verwandt – ihnen werden ein Embryo oder mehrere Embryonen eingesetzt, die durch künstliche Befruchtung erzeugt wurden.

Die Spermien beziehungsweise Eizellen können von den Wunsch-Eltern stammen, das Baby kann aber auch ganz andere biologische Eltern haben. Die Auftraggeber haben die Möglichkeit, eine Eizellenspenderin beziehungsweise einen Samenspender über Datenbanken auszusuchen.

Transnationaler Markt für Leihmutterschaft

Die Kulturgeografin Carolin Schurr von der Universität Bern beschäftigt sich seit Jahren mit dem transnationalen Markt für Leihmutterschaft und den geopolitischen Rahmenbedingungen, die Länder zu Hotspots werden lassen. Sie fordert ein internationales Abkommen vergleichbar mit der 1993 verabschiedeten Haager Konvention zur Regulierung internationaler Adoptionen. „Nationale Regelungen greifen zu kurz“, sagt die Professorin. Notwendig seien internationale Standards, etwa wie Leihmütter im Fall von gesundheitlichen Schäden abgesichert werden.

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„Die transnationale Leihmutterschaft in der Ukraine findet im Rahmen eines globalen kapitalistischen Wirtschaftssystems statt, das von der billigen Verfügbarkeit der reproduktiven Arbeit der Leihmütter in Krisenregionen wie dem Donbass profitiert“, sagt die Wissenschaftlerin. Ein Komplettpaket mit einem von einer Leihmutter ausgetragenen Baby wird in der Ukraine für rund 40.000 Euro angeboten.

Die Leihmütter erhalten nach Recherchen von Schurr ein Drittel bis ein Viertel davon. In der jetzigen Situation müssten nicht nur die Wunsch-Eltern, die um ihre Babys bangen, in den Blick genommen werden, betont die Forscherin. Vielmehr sollte das Leben der Leihmütter und deren eigener Familien im Vordergrund stehen. (dpa)

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