„Wo sind unsere Kinder?“Das sind die 8 rätselhaftesten Vermisstenfälle Europas

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Ein junges Mädchen, das mit einer Gruppe Jugendlicher unterwegs ist, klebt in einem Park zwischen den U-Bahnhöfen Johannisthaler Chaussee und Britz-Süd Flugblätter an einen Laternenpfahl. Mit ihnen wollen sie um Hinweise im Fall der vermissten Rebecca bitten.

Die 15-jährige Schülerin Rebecca Reusch aus Berlin wurde am 18. Februar 2019 als vermisst gemeldet. Bis heute wird nach ihr gesucht.

Ob Rebecca Reusch, Lars Mittank, Maddie McCann oder Emanuela Orlandi: Diese ungeklärten Fälle bewegen die Menschen bis heute.

Immer wieder verschwinden Menschen auf mysteriöse Weise. Besonders wenn Kinder oder Jugendliche verschwinden, ist die Anteilnahme groß. So löste zuletzt im Februar und März das Verschwinden des deutschen Touristen Nick F. in Kapstadt große Bestürzung aus. Der Vermisstenfall Daniel K. konnte nach vier Jahren im März 2023 endlich geklärt werden – mit einem positiven Ausgang.

Glücklicherweise tauchen Kinder in gut 99 Prozent der Fälle wieder wohlbehalten bei ihren Eltern auf. Doch einige wenige bleiben verschwunden – oft über Jahrzehnte. Wir erinnern an acht der rätselhaftesten Fälle, zu denen es nach Jahren oder Jahrzehnten immer wieder Neuigkeiten gibt.

Deutschland: Rebecca Reusch, vermisst seit Februar 2019

Die 15-jährige Schülerin Rebecca Reusch aus Berlin wurde am 18. Februar 2019 als vermisst gemeldet. Trotz intensiver Suche durch Polizei und freiwillige Helfer konnte ihr Aufenthaltsort bisher nicht ermittelt werden. Die Polizei geht davon aus, dass sie Opfer eines Verbrechens geworden ist. Im Zusammenhang mit dem Verschwinden von Rebecca Reusch wurde frühzeitig gegen ihren Schwager Florian R. ermittelt. Die Polizei verdächtigte ihn aufgrund von Indizien und Zeugenaussagen. Es konnten jedoch keine belastenden Beweise gefunden werden, die eine Anklage gerechtfertigt hätten.

Die Familie von Rebecca Reusch glaubte fest an die Unschuld des Schwagers und kritisierte die Veröffentlichung von Fotos von Florian R., unter anderem in der Fahndungssendung „Aktenzeichen XY“. Sie argumentierte, dass die Veröffentlichung der Bilder seine Unschuldsvermutung untergrabe und den laufenden Ermittlungen schade. 2019 sprach Rebeccas Schwester Vivien über den Fall bei Markus Lanz.

Im November 2021 produzierte RTL eine zweistündige True-Crime-Dokumentation, in der die Moderatorin Nazan Eckes Interviews mit Rebeccas Eltern und ihrer Schwester Vivien führte. Bis heute fehlt von Rebecca jede Spur. Im April 2023 berichteten die dpa und RTL über eine erneute Hausdurchsuchung bei Rebeccas Schwager.


Portugal: Madeleine Maddie McCann aus Großbritannien, vermisst seit Mai 2007

Kaum ein Vermisstenfall der letzten 20 Jahre hat die Menschen so bewegt, wie das Schicksal der dreijährigen Madeleine McCann, die am 3. Mai 2007 aus einem Ferienhaus im portugiesischen Praia da Luz verschwand. Obwohl es viele Verdächtige und Spuren gab, wurde „Maddie“ nie gefunden und das Verschwinden bleibt eines der größten ungelösten Rätsel der modernen Kriminalgeschichte. Weltweite Bekanntheit erlangte der Fall durch die Suchaktionen der Eltern Kate und Gerald McCann, die lange Zeit selbst verdächtigt wurden, etwas mit dem Verschwinden ihrer Tochter zu tun zu haben, und das anhaltende Medieninteresse.

Ein kleiner Junge vor dem Bild der vermissten Maddie McCann.

Der Vermisstenfall Madeleine„ Maddie“ McCann sorgte weltweit für Schlagzeilen. (Archivbild)

Seit Juni 2020 steht der Deutsche Christian B. im Verdacht, etwas mit dem Verschwinden von Madeleine McCann zu tun zu haben. Das Bundeskriminalamt und die Staatsanwaltschaft Braunschweig teilten damals mit, dass der inhaftierte Christian B. des Mordes verdächtigt wird. Der 45-Jährige verbüßt derzeit in Oldenburg eine mehrjährige Haftstrafe, weil er 2005 eine Frau in ihrem Haus in der Nähe von Praia da Luz vergewaltigt haben soll. 2020 war der Fall Maddie McCann auch Thema bei „Aktenzeichen XY“. Mehrere Dokumentarfilme haben sich darüber hinaus mit dem Fall befasst, unter anderem auf Netflix, Apple TV+ und zuletzt RTL+, die im Sommer 2022 ausgestrahlt wurde. Maddie würde 2023 ihren 20. Geburtstag feiern.


Italien: Emanuela Orlandi aus dem Vatikan, vermisst seit dem Juni 1983

Seit vier Jahrzehnten ist das Schicksal von Emanuela Orlandi, einer 15-jährigen Schülerin aus Rom, die die vatikanische Staatsangehörigkeit hatte, ungeklärt. Das plötzliche Verschwinden der lebensfrohen und talentierten jungen Frau nach einer Musikstunde erschüttert Italien seit dem Juni 1983. Trotz umfangreicher Ermittlungen und zahlreicher Theorien, was der Tochter eines Hofdieners von Papst Johannes Paul II. zugestoßen sein könnte, bleibt ihr Verschwinden ungeklärt. Drei der bekanntesten Theorien, die in Dokus, Büchern und zahllosen Artikeln diskutiert wurden:

  • Entführung im Auftrag des Vatikans: Eine der bekanntesten Theorien besagt, dass Emanuela Orlandi entführt wurde, um politischen Druck auf den Vatikan auszuüben.
  • Beteiligung krimineller Banden wie der Mafia: Einige glauben, dass die Entführung im Zusammenhang mit Schutzgelderpressung oder Menschenhandel steht.
  • Verbindung zur Banco Ambrosiano: Es wurde spekuliert, dass Emanuela Orlandi in Verbindung zu einem Skandal bei der italienischen Bank Banco Ambrosiano steht, die kurz vor ihrem Verschwinden Pleite ging.

Die Ermittlungen im Fall der verschwundenen Emanuela Orlandi wurden im Mai 2012 wieder aufgenommen, nachdem frühere Versuche erfolglos geblieben waren. Im Oktober 2015 wurden die Ermittlungen von der italienischen Justiz eingestellt, aber im Juli 2019 erneut aufgenommen, jedoch ohne Erfolg.

Pietro Orlandi, der Bruder der verschwundenen Vatikanbürgerin Emanuela Orlandi, hält am 14. Januar 2023 in Rom, Italien, ein Transparent seiner Schwester hoch.

40 Jahre nach dem Verschwinden von Emanuela Orlandi hat der Vatikan die Eröffnung einer Untersuchung in einem der berühmtesten ungeklärten Vermisstenfälle angekündigt. Pietro Orlandi, der Bruder von Emanuela Orlandi, hält am 14. Januar 2023 in Rom ein Transparent mit dem Bild seiner Schwester, während er von Unterstützern begrüßt wird.

Im Januar 2023 kündigte die vatikanische Staatsanwaltschaft an, ein offizielles Ermittlungsverfahren einzuleiten. Das war vermutlich auch eine Reaktion auf das weltweite Interesse an einer mehrteiligen Netflix-Dokumentation über den Vermisstenfall, die im Oktober 2022 veröffentlicht wurde. Die Doku zeigt die jahrelange Suche ihrer Familie nach Antworten und beleuchtet mögliche Theorien hinter dem Fall. Dabei wird auch ausführlich auf eine mögliche Verstrickung des Vatikans in dem Fall eingegangen. Emanuela Orlandi bleibt verschwunden.


Bulgarien: Lars Mittank aus Deutschland, vermisst seit Juli 2014

Der deutsche Kraftwerker Lars Mittank ist zum Zeitpunkt seines mysteriösen Verschwindens im Juli 2014 mit Freunden im Urlaub in Bulgarien. Wenige Tage vor Ende der Reise wird der 28-Jährige in eine Schlägerei verwickelt, bei der sein Trommelfell reißt und er auf Anraten eines Arztes nicht mehr nach Hause fliegen kann. Seine Freunde fliegen ohne ihn zurück. Lars bleibt in einem örtlichen Hotel, wo Sicherheitskameras sein seltsames und offenbar paranoides Verhalten aufzeichnen. Er ruft mehrmals seine Mutter an, behauptet, dass Männer kommen würden, um ihn zu töten, und bittet sie, seine Kreditkarten zu sperren.

Sandra Mittank an ihrem Laptop.

Sandra Mittank, die Mutter von Lars Mittank, hört nicht auf nach ihrem Sohn zu suchen. (Archivbild)

Zuletzt wird Lars am 7. Juli 2014 gesehen, als er vom Flughafen Varna zu einer nahe gelegenen Wiese läuft. Laut Zeugenaussagen und Aufzeichnungen der Überwachungskameras soll Lars über den hohen Stacheldrahtzaun des Flughafens geklettert sein. Seit diesem Tag fehlt von Lars jede Spur. Die Polizei in Deutschland und Bulgarien sucht ebenso nach ihm wie seine Familie, die über soziale Netzwerke und eine eigene Internetseite Suchaufrufe gestartet hat. Seine Mutter hat unzählige Versuche unternommen, bis hin zu Fernsehauftritten in Bulgarien, um auf den Vermisstenfall aufmerksam zu machen. Das Interesse an dem Fall ist ungebrochen: 2020 erscheint auf YouTube eine Dokumentation, die über zwei Millionen Mal aufgerufen wird. Offizielle Facebook-Seite zum Vermisstenfall Lars Mittank


Österreich: Aeryn Gillern aus den USA, vermisst seit Oktober 2007

Ein junger Mann rennt panisch und splitternackt aus einer Schwulensauna in der Wiener Innenstadt. Seither fehlt von ihm jede Spur. Der Vermisstenfall Aeryn Gillern gehört zweifellos zu den rätselhaftesten Kriminalfällen Europas. Umfangreiche Fahndungsmaßnahmen der Polizei, unter anderem mit Bildern von Überwachungskameras und Zeugenaussagen, bleiben erfolglos. Gab es einen Streit, wurde jemand zudringlich oder wurden Aeryn heimlich Drogen verabreicht? Niemand weiß genau, was am 29. Oktober 2007 mit dem damaligen UNIDO-Mitarbeiter geschehen ist.

Im Jahr 2011 wird der erste Dokumentarfilm „Gone“ über den Vermisstenfall Aeryn Gillern gedreht, an dem seine Mutter Kathryn Gilleran mitwirkt. Sie hält jahrelang am 29. Oktober vor den Toren der Wiener Franziskanerkirche und der Kaiserbründl-Sauna Mahnwachen für ihren vermissten Sohn ab. Zuletzt tut sie dies 2018, danach macht das hohe Alter ihrer über 100-jährigen Mutter und die Corona-Pandemie dies unmöglich. Dadurch gerät der Fall leider auch in den Medien immer mehr in Vergessenheit. Auf der Website, die Kathryn für ihren Sohn eingerichtet hat, meldet sie sich 2021 zum letzten Mal zu Wort. Im selben Jahr erscheint im „Kurier“ ein Artikel über den Fall, in dem Kathryn, selbst ehemalige Polizistin, schwere Vorwürfe gegen die Erstermittler erhebt.


Spanien: Amy Fitzpatrick aus Irland, vermisst seit Januar 2008

Das Verschwinden von Amy Fitzpatrick ereignet sich am Neujahrstag 2008. Um 22 Uhr verabschiedet sich die 15-jährige Irin von ihrer Freundin Ashley Rose, auf deren Bruder sie in einem Haus in Mijas Costa im spanischen Malaga aufgepasst hatte. Amy hätte wenige Minuten später bei ihrer Familie zu Hause sein sollen, denn der Weg ist nur wenige Minuten lang. Sie kommt jedoch nicht an und wurde seit dieser Nacht nicht mehr gesehen. Eine sofortige Suche mit Hunderten von Helfern bleibt erfolglos. Monate später wird in das Büro des Anwalts der Familie eingebrochen und ein Handy und ein Laptop mit wichtigen Informationen über den Vermisstenfall gestohlen.

Obskure Anrufe mit angeblichen Hinweisen auf Amys Verbleib, die sich als Betrug herausstellen, falsche Fährten und etliche Tragödien in der Familie bringen dem Fall große Aufmerksamkeit in den Medien in Spanien, Irland und Großbritannien. So wird Amys 23-jähriger Bruder Dean Fitzpatrick 2013 in Coolock, Dublin, während eines Streits mit Dave Mahon, dem Lebensgefährten seiner Mutter, erstochen. Mahon wird des Totschlags für schuldig befunden und inhaftiert. Zuletzt berichtet u. a. der deutsche Express im Januar 2023 über den Fall, da erneut ein anonymer Anrufer Hinweise auf Amys Verbleib gibt. Ihr Vater und ihre Tante starten daraufhin eine Petition zur Wiederaufnahme des „Cold Case“.


Finnland: Raisa Räisänen, vermisst seit Oktober 1999

Ein 16-jähriges Mädchen verschwindet nach einer Party im finnischen Tampere spurlos. Und das, obwohl in der Stadt ein Sondergipfel des Europäischen Rates stattfindet und die Polizeikräfte verstärkt werden. Der 16. Oktober 1999 geht in die finnische Kriminalgeschichte ein, denn seit diesem Tag fehlt von der Schülerin Raisa Maria Räisänen jede Spur. Die Vermisstenstelle geht mehr als 3.000 Hinweisen nach, lokale Seen werden abgesucht, doch die Suche erweißt sich als äußerst schwierig, da es in der Region Tampere etwa 2.500 Seen gibt. Es gibt mehrere vielversprechende und glaubwürdige Zeugen, aber die ultimative Spur ist nicht darunter.

Ende 2022 wird der Fall in den finnischen Medien neu aufgerollt. Inzwischen gibt es Hinweise darauf, dass Raisa ein weiteres Opfer der finnischen Bodybuilderin und Doppelmörderin Virpi Butt gewesen sein könnte. Butt stirbt 2021 nach ihrer Haftentlassung. Raisa wird fünf Jahre nach ihrem Verschwinden für tot erklärt, doch ihr Fall ist bis heute ungelöst. Sie würde 2023 30 Jahre alt werden.


Irland: Die Mädchen und Frauen des „Vanishing Triangle“, vermisst zwischen 1993 und 1998

In Deutschland ist der Fall der acht vermissten Mädchen und Frauen, die zwischen 1993 und 1998 im Umkreis von 80 Meilen (ca. 129 Kilometer) um Dublin spurlos verschwinden, so gut wie unbekannt. In Irland und Großbritannien sorgen die Frauen des „Vanishing Triangle“ („Vermissten-Dreieck“), immer wieder für Schlagzeilen, denn auch gut 25 Jahre nach dem letzten Verschwinden in der Region warten die Familien der Frauen auf eine Antwort, was mit ihnen geschehen ist. 

  • Annie McCarrick, 26, aus Long Island, New York, wird seit einem Kneipenbesuch am 26. März 1993 in Glencullen vermisst. Sie lebte erst seit fünf Jahren in Irland.
  • Eva Brennan, 39, wird seit dem 25. Juli 1993 nach einem Mittagessen mit ihrer Familie vermisst.
  • Imelda Keenan, 22, aus Mountmellick, wird seit dem 3. Januar 1994 vermisst. Sie verabschiedet sich von ihrem Verlobten, um zu einer Postfiliale in Waterford zu gehen.
  • Josephine „JoJo“ Dullard, 21, aus Callan, wird seit dem 9. November 1995 vermisst. Sie wird zuletzt in der Nähe eines dunklen Toyotas gesehen. Das Fahrzeug oder der Fahrer können nie ermittelt werden.
  • Fiona Pender, 25, aus Tullamore, Co. Offaly, wird seit dem 23. August 1996 vermisst. Die hochschwangere Frau wird zuletzt von ihrem Freund gesehen. 2008 wird ein kleines Kreuz mit ihrem Namen am „Slieve Bloom Way“ gefunden.
  • Ciara Breen, 17, aus Dundalk, Co. Louth, wird seit dem 13. Februar 1997 vermisst. Die jüngste Vermisste lebt noch bei ihrer Mutter, die sie zuletzt abends daheim gesehen hat. Ciara verschwindet nachts spurlos aus ihrem Zimmer.
  • Fiona Sinnott, 19, aus Rosslare, Co. Wexford, wird seit dem 8. Februar 1998 vermisst. Die junge Mutter eines elf Monate alten Babys wird ebenfalls zuletzt in einer Kneipe gesehen. 
  • Deirdre Jacob, 18, aus Newbridge, Co. Kildare, wird seit dem 28. Juli 1998 vermisst. Sie studiert eigentlich in London, kehrt aber für den Sommer nach Hause zurück. Mehrere Zeugen sehen sie noch in der Nähe ihres Elternhauses, bevor sie spurlos verschwindet.

Die irischen Behörden haben sich sehr bemüht, die Fälle aufzuklären, aber bis heute ohne Erfolg. Was ist mit den Frauen geschehen? Aufgrund der Ähnlichkeit der Fälle wird oft angenommen, dass sie auf das Konto eines oder mehrerer Serienmörder gehen, die in dieser Zeit in der Gegend aktiv waren. Mehrere Bücher und Dokumentationen haben sich dem Fall angenommen. Ende 2022 berichten irische Medien, dass der Fall mit dem Schauspieler Allen Leech („Downton Abbey“) als Sechsteiler verfilmt wird. 

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