Viereinhalb Jahre nach der Flut können Züge jetzt wieder durchgehend auf der Ahrtal-Strecke fahren.
Ahrtahl-FlutZerstörte Bahnlinie wieder eröffnet – 15 Brücken saniert oder neugebaut

Alexander Schweitzer (M, SPD), Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, bei der der Inbetriebnahme der Ahrtalbahn. Die von der Flut zerstörte Teilstrecke an der Mittelahr wird nach viereinhalb Jahren Wiederaufbauzeit wieder eröffnet.
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Und sie kann es doch, pünktlich sein, die Deutsche Bahn. Bis zum Jahresende 2025, so hatte das Unternehmen versprochen, werde der beim Jahrhundert-Hochwasser an der Ahr völlig zerstörte Streckenabschnitt zwischen Walporzheim und Ahrbrück wieder aufgebaut.
Und siehe da: Die Verantwortlichen haben tatsächlich Wort gehalten. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Alexander Schweitzer (SPD) sagte am Freitag bei der offiziellen Eröffnung, nun kehre ein „zentrales Stück Alltag und Zukunft in die Region zurück“. Ab Sonntag beginnt der planmäßige Betrieb.
Viereinhalb Jahre, nachdem die Flut über Dutzende Kilometer Gleise weggeschwemmt sowie Brücken und Bahnhöfe erheblich beschädigt oder zerstört hat, können Züge jetzt wieder durchgehend auf der Ahrtal-Strecke fahren. Bei der Katastrophe im Sommer 2021 starben in Rheinland-Pfalz 136 Menschen, 135 davon im Ahrtal. Ein Mensch gilt noch als vermisst. In Nordrhein-Westfalen starben zudem 49 Menschen.
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600 Kilometer Gleise zerstört
Die Wassermassen rissen auch Tausende Häuser sowie Straßen und andere Infrastruktur mit sich. Kurz nach der Flut teilte die Deutsche Bahn mit, insgesamt seien Gleise auf einer Länge von rund 600 Kilometern von den Unwetterfolgen betroffen. Ende Juli 2021 hieß es, es könne in einigen Regionen Monate und an einigen Stellen Jahre dauern, bis alles wieder repariert sei.

Die von der Flut zerstörte Eisenbahnbrücke über die Ahr zwischen Mayschoss und Rech.
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Die Bahn schätzte die Schäden an Strecken, Bahnhöfen und Fahrzeugen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen auf insgesamt rund 1,3 Milliarden Euro. Die Flut habe die Infrastruktur „in historischem Ausmaß getroffen“. 50 Brücken, 40 Stellwerke, 180 Bahnübergänge und mehr als 100 Bahnhöfe seien beschädigt oder zerstört worden. Teilweise komme der Wiederaufbau einem Neubau gleich.
15 Brücken saniert oder neugebaut
Insbesondere der westliche Teil der Ahrtalbahn wurde komplett zerstört. Bevor am 12. September 2023 der erste Spatenstich für den Wiederaufbau erfolgte, musste zunächst einmal zwei Jahre lang aufgeräumt und geplant werden. Innerhalb von 27 Monaten wurde die 18 Kilometer lange Strecke zwischen Walporzheim und Ahrbrück dann erneuert.
Dafür mussten 15 Brücken neu gebaut werden, sieben wurden saniert, fünf Tunnel wurden wiederhergestellt, alle Stützbauwerke saniert, Bahndämme in großem Umfang wiederhergestellt, alle Gleise neu verlegt und sechs Bahnstationen wieder aufgebaut. Um die gesamte Strecke wiederherzustellen, war ein enormer Materialeinsatz nötig: Unter anderem 28.000 Schwellen, 60.000 Tonnen Schotter, fünf Kilometer Kabel sowie 36.000 Meter Schienen.
Die Bahn ist wieder da, aber andernorts wird der Wiederaufbau noch Jahre in Anspruch nehmen. Es gibt zwar auch Stellen, da ist er bereits abgeschlossen. Da erinnert an die Katastrophe nur noch die Wasserlinie am Nachbarhaus. An vielen Stellen entlang der Ahr aber klaffen immer noch offene Wunden.
An der Ahr klaffen noch zahlreiche offene Bauwunden
In der stark von Zerstörung betroffenen Gemeinde Schuld waren vor wenigen Monaten noch 134 Neubau-Maßnahmen nicht abgeschlossen oder noch gar nicht begonnen. Beispielsweise der Wiederaufbau des Bürgerhauses inklusive Jugendheim. Ein Grundstück dafür sei ausgewählt, berichtete Ortsbürgermeister Helmut Lussi dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Aber die Arbeit sei mühsam und kompliziert. Ein Architekt solle nun konkrete Pläne zu Papier bringen. Zudem werde endlich wieder ein Bäcker in Schuld aufmachen. „Das Gebäude stand ein Jahr im Rohbau da, weil die Bürokratie zugeschlagen hat. Doch die Hürden sind nun genommen, die Förderung ist zugesagt.“

30.07.2021, Rheinland-Pfalz, Kreuzberg: Bahngleise liegen in der Nähe des Bahnhofs im Ahrtal quer auf der Bahnstrecke. Die Strecke im Ahrtal wird für einen längeren Zeitraum nicht befahrbar sein.
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Auch der Tourismus ist wieder auf Touren gekommen. Nach Angaben der rheinland-pfälzischen Landesregierung sind 85 Prozent der von der Katastrophe betroffenen touristischen Betriebe inzwischen wiederaufgebaut. Etwa Dreiviertel der zuvor verfügbaren Bettenkapazitäten stünden wieder zur Verfügung, berichtete der Geschäftsführer des Ahrtal-Tourismus, Andreas Lambeck, im Sommer dieses Jahres. Bei den Übernachtungen seien 55 Prozent des Niveaus von vor der Katastrophe wieder erreicht.
Knapp drei Milliarden Euro Aufbauhilfe bewilligt
Ministerpräsident Alexander Schweizer betont die Fortschritte. Es werde nicht einfach „nur“ wiederaufgebaut oder saniert. „An vielen Orten werden Gebäude energieeffizient, Brücken hochwasserangepasst und Sportplätze multifunktional gebaut“, so der SPD-Politiker: „Sie stehen für nachhaltige, moderne und resiliente Lebensräume und tragen dazu bei, dass die Menschen in ihrer alten und zugleich neuen Heimat nach vorne schauen können.“
Nahezu alle 1540 gestellten Infrastruktur-Anträge seien mittlerweile genehmigt worden, was einem „Bewilligungsvolumen“ von mehr als einer Milliarde Euro entspreche. Für geschädigte Privatleute stünden rund 772 Millionen Euro zu Verfügung, wovon etwa 145 Millionen für verlorenen Hausrat überwiesen wurden. Der Wiederaufbau von Unternehmen werde mit 669,8 Millionen Euro unterstützt, die Wasserwirtschaft und der Hochwasserschutz mit 355,4 Millionen Euro zur Verfügung, Krankenhäuser und Rehakliniken mit 126,7 Millionen Euro und Landwirte erhielten etwa 26 Millionen Euro, um 920 Hektar ihrer Äcker und Weingebiete wiederherzustellen. Insgesamt addiere sich die Summe der bewilligten Aufbauhilfen auf knapp drei Millionen Euro.
Zahlreiche Menschen könnten ohne die Fehler der Behörden noch leben
Wirtschaftlich geht es voran, aber die menschlichen Wunden sind noch lange nicht verheilt. Johanna Orth lebte im Untergeschoss einer Wohnung in Bad Neuenahr, etwa 300 Meter von der Ahr entfernt. Als der Fluss am 14. Juli 2021 beim Jahrhunderthochwasser über die Ufer trat, war die 22-Jährige zu Hause. Ihre Eltern, die auf Mallorca in Urlaub waren, verfolgten die Nachrichten und bekamen von Freunden erste Videos von der oberen Ahr zugeschickt.

Johanna Orth (links) mit ihrer Mutter nach der bestandenen Gesellinnenprüfung als Konditor. Die 22-Jährige ist während der Flut im Ahrtal ertrunken.
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„Es wäre noch so viel Zeit gewesen, die Leute zu evakuieren", sagt Vater Ralph Orth. Doch die Gefahr sei vollkommen unterschätzt worden. Abends habe die noch über Lautsprecherdurchsagen dazu geraten, zu Hause zu bleiben, Türen und Fenster geschlossen zu halten und lediglich Keller zu meiden.
Das letzte Lebenszeichen kam um 0:30 Uhr
Das letzte Lebenszeichen ihrer Tochter war ein Anruf gegen 0:30 Uhr. Da stand das Wasser schon in der Wohnung, Johanna habe die Tür zum Treppenhaus nicht mehr öffnen konnte. Die Eltern versuchten ihre Tochter noch zu beruhigen, doch nach eineinhalb Minuten brach die Verbindung ab. Die Feuerwehr fand die Leiche der jungen Frau zwei Tage später in der Tiefgarage des Wohnkomplexes.

Ralph und Inka Orth und Rechtsanwalt Christian Hecken(l) haben die Unterlagen zu einem Klageerzwingungsverfahren beim Oberlandesgericht in Koblenz eingereicht.
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Ihre Eltern haben kürzlich einen sogenannten Klageerzwingungsantrag beim Oberlandesgericht Koblenz eingereicht. Stellvertretend für die 135 Hochwasser-Toten und 777 Verletzte, teilte ihr Anwalt mit. 4.200 Seiten habe das Papier, fünf Monate sei daran gearbeitet worden, berichtet Ralph Orth.
Eltern der Verstorbene wollen, dass der Ex-Landrat sich vor Gericht verantworten muss
Seine Frau und er wollen damit erreichen, dass sich der ehemalige Ahr-Landrat Jürgen Pföhler (CDU) und ein weiterer Mitarbeiter der Technischen Einsatzleitung vor Gericht wegen zahlreicher Fehler und Versäumnisse verantworten müssen, ohne die ihre Tochter noch leben könnte. „Aber es geht uns auch darum, - für aktuelle Haftungsträger oder auch künftige - , dass da mal ein Zeichen gesetzt wird, dass Verantwortung oder eben nicht ausgeübte Verantwortung Konsequenzen hat,“ so Orth: „Wie das jetzt im Moment aussieht, so geht das doch nicht. “
Denn das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren gegen den Ex-Landrat und dessen Mitarbeiter wurde Mitte April eingestellt. Dagegen reichten Hinterbliebene bereits eine Beschwerde ein, die die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz im Oktober dieses Jahres zurückwies. Dabei heißt es im Ermittlungsbericht zum Disziplinarverfahren Pföhler, der CDU-Politiker habe damals sehr wohl „gravierend gegen beamtenrechtliche Pflichten verstoßen“.
„Die Unterlassungen und Verhaltensweisen vor, während und nach der Naturkatastrophe im Ahrtal werden hiernach als Verstoß gegen das Rechtmäßigkeitserfordernis, gegen die innerdienstliche Wohlverhaltenspflicht sowie die im Beamtenstatusgesetz normierte Einsatzpflicht gewertet", hieß es im Bericht. Nach dem aktuellen Stand der Ermittlungen sei „davon auszugehen, dass vonseiten des Innenministeriums anschließend Disziplinarklage mit dem Ziel der Aberkennung der Ruhegehaltsansprüche zu erheben ist". Als vorläufige Maßnahme sei deshalb beabsichtigt, bereits ein Drittel des monatlichen Ruhegehalts des Ex-Landrates einzubehalten.

