Flugblatt-AffäreAiwanger beantwortet Söders Fragen und sieht „keinen Grund für eine Entlassung“

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ARCHIV - 28.06.2022, Bayern, München: Markus Söder (CSU, r), Minsterpräsident von Bayern, steht im unteren Hofgarten an der Staatskanzlei mit Hubert Aiwanger (Freie Wähler), Wirtschaftsminister, bei der Pressekonferenz nach der Kabinettssitzung. (zu "Söder bestellt Aiwanger zu Sonder-Koalitionsausschuss ein") Foto: Stefan Puchner/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Markus Söder (r.) und Hubert Aiwanger (Freie Wähler) bei einem Auftritt im Juni 2022. Wird Söder Aiwanger im Zuge der Flugblatt-Affäre entlassen?

Das von Söder geforderte Dokument ist in der bayerischen Staatskanzlei eingegangen. Werden dem CSU-Chef die Erklärungen Aiwangers ausreichen?

Hubert Aiwanger hat die 25 Fragen, die Markus Söder ihm zur Beantwortung aufgetragen hatte, beantwortet. Die bayerische Staatskanzlei bestätigte der ARD am Freitagabend den Eingang des Schriftstücks. Unterstützung für Aiwanger kam am Freitag unterdessen vom ehemaligen SPD-Chef Sigmar Gabriel.

Aiwanger selber bekräftigte am Samstagmittag erneut, nicht zurücktreten zu wollen. Er sagte der „Bild“: „Ich habe alle 25 Fragen von Markus Söder beantwortet. Ich weiß nicht, zu welcher Einschätzung der Ministerpräsident kommt, aber ich sehe nach meinen Antworten überhaupt keinen Grund für einen Rücktritt oder eine Entlassung. Meine Wähler stehen hinter mir, die Empörung über diese Kampagne ist groß.“

Markus Söder will 25 Fragen von Hubert Aiwanger beantwortet haben

Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte vom Chef der Freien Wähler am Dienstag bei der Sitzung des bayrischen Koalitionsausschusses verlangt, sich umfassend zum antisemitischen Flugblatt aus Aiwangers Jugend zu äußern. 

Ausgangspunkt der Affäre um das hetzerische Pamphlet waren Enthüllungen der „Süddeutschen Zeitung“ gewesen, denen zufolge der bayerische Vize-Regierungschef im Alter von 17 Jahren bei einem Geschichts-Wettbewerb Opfer des NS-Regimes verhöhnt haben soll. In der Folge räumte Aiwanger ein, im Besitz des Schriftstücks gewesen zu sein, bestritt aber eine Autorenschaft. Sein Bruder Helmut meldete sich und behauptete, das Flugblatt verfasst zu haben. In den vergangenen Tagen hatten sich immer neue Zeugen bei verschiedenen Medien gemeldet und berichtet, dass Aiwanger in seiner Jugend durch Hitlergrüße und antisemitische Witze aufgefallen sein.

Hubert Aiwangers Erklärung stößt auf Unverständnis

Aiwanger hatte sich tagelang nicht in der Sache zu Wort gemeldet, sondern unbeirrt seine Auftritte durch bayerische Festzelte fortgesetzt. Dann äußerte er sich am Mittwoch vor TV-Kameras und sagte, er sei „seit dem Erwachsenenalter, die letzten Jahrzehnte: kein Antisemit, kein Extremist – sondern ein Menschenfreund“ gewesen. 

Diese Erklärung hatte ein verheerendes öffentliches Echo ausgelöst, denn damit räumte Aiwanger ja indirekt ein, in seiner Jugend ein Antisemit gewesen zu sein.

Der Druck auf den 51-Jährigen wurde so stark, dass er sich am Donnerstag zu einer offiziellen Erklärung genötigt sah. Fragen von Journalisten waren nicht zugelassen. Aiwanger entschuldigte sich für „Gefühle“, die er durch sein Verhalten in der Jugend bzw. durch seinen Umgang mit der Affäre verletzt haben könnte. Gleichzeitig bestritt er erneut, Verfasser des Flugblatts gewesen zu sein. An Hitlergrüße könne er sich auch nicht erinnern.

Gleichzeitig beklagte er in der Erklärung, er sei Opfer einer politischen und medialen Kampagne geworden. „Ich habe den Eindruck, ich soll politisch und persönlich fertig gemacht werden“, sagt er. Die Verfehlungen seiner Jugend würden jetzt gegen ihn und seine Partei „instrumentalisiert“.

Hubert Aiwanger in Karpfham: Bin „aufrechter Demokrat“

Nach der Erklärung setzte Aiwanger seinen Wahlkampf durch die bayerische Provinz fort und bekam bei seinen Auftritten viel Applaus. Am Donnerstagabend  im Festzelt von Aschau im Chiemgau war die Flugblatt-Affäre kein Thema für Aiwanger. 

Bei einer Rede in Karpfham im Landkreis Passau nahm er dann Bezug auf die Vorwürfe gegen ihn: „Ich habe Mist gemacht, ich habe Scheiß gebaut – aber ich denke, jeder Mensch tut irgendwas im Leben, dass er am liebsten rückgängig machen würde, weil er sich so für die eigene Blödheit schämt“, so Aiwanger laut der Publikation „Bayerisches Landwirtschaftliches Wochenblatt“. Er bezeichnete sich als „aufrechter Demokrat“., seine Aussagen kamen beim Publikum offenbar gut an. 

Hubert Aiwanger beantwortet Fragen – Ball liegt bei Söder

Es bleibt nun nach Übermittlung des Fragenkatalogs an Söder spannend in der Affäre um Aiwanger. Zunächst einmal stellt sich die Frage, ob es überhaupt neue Erkenntnisse geben wird. Dass Aiwanger einräumt, das Flugblatt selber geschrieben zu haben, ist unwahrscheinlich. Vermutlich wird es um Details gehen, wie das Schriftstück den Weg in seine Schultasche fand. Eine Distanzierung von rechtsextremen Positionen hatte Aiwanger in seiner Erklärung von Donnerstag bereits vorgenommen. 

Markus Söder muss nun entscheiden, ob er seinen Stellvertreter im Amt lässt. Es bleibt abzuwarten, ob Aiwangers möglicherweise ungenügende Antworten ihm nun einen offiziellen Grund liefern, den in der Bevölkerung durchaus beliebten Wirtschaftsminister zu entlassen. Am 8. Oktober wird in Bayern ein neuer Landtag gewählt, und eigentlich wollte Söder mit den Freien Wählern weiter koalieren. Diesen wird ein Ergebnis zwischen 11 und 14 Prozent vorhergesagt.

Möglicherweise kommt Söder die Affäre aber auch nicht ungelegen, um sich in einem Befreiungsschlag eines immer stärker werdenden Konkurrenten zu entledigen.

Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel stellt sich hinter Hubert Aiwanger – Antwort von Jan Böhmermann

Unerwartete Unterstützung für Aiwanger gab es unterdessen aus der SPD – allerdings nicht von einem aktiven Politiker. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte sich vergangene Woche kritisch geäußert und eine umfassende Aufklärung von Aiwanger verlangt.

Der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel signalisierte jedoch am Freitag seine Unterstützung und schrieb auf der Nachrichtenplattform X, ehemals Twitter: „Warum sollen junge Neonazis aus der rechtsextremistischen Szene aussteigen, wenn sie am Beispiel Hubert Aiwanger erleben, dass man auch 35 Jahre später noch für den Wahnsinn der eigenen Jugend öffentlich gebrandmarkt wird?“ Dann könne man sich „die ganzen Aussteigerprogramme sparen“, meint Gabriel.

Gabriel erhält daraufhin zahlreiche kritische Kommentare. Es gehe nicht allein um Aiwangers Vergangenheit, sondern um seinen aktuellen Umgang damit, heißt es.

Der Kölner Satiriker Jan Böhmermann schreibt ironisch, für Aiwanger gehe es um ein Aussteigerprogramm als stellvertretender bayerischer Ministerpräsident.

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