Anschlag auf Sikh-TempelAttentäter wird Kronzeuge und belastet Abu Walaa

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Der Hassprediger Abu Walaa verdeckt sein Gesicht beim Prozess vor dem Oberlandesgericht Celle.

Düsseldorf – Jugendstrafanstalt Iserlohn im Frühjahr 2018: Yusuf T. erscheint im Vernehmungszimmer. Zwei Beamte des Landeskriminalamtes (LKA) NRW warten auf ihn. Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat der 18-jährige Sikh-Tempel-Attentäter von Essen eine neue Rolle eingenommen: Vom Bombenleger im Namen Allahs hin zum Kronzeugen der Bundesanwaltschaft.

Attentäter will aussteigen

Detailliert erzählt der Häftling, wer ihn radikalisiert hat. T. schildert, wie Fanatiker um den Hassprediger Ahmad Abdulaziz Abdullah A., genannt Abu Walaa, ihm die Dschihad-Doktrin einimpften; wie sie ihn manipulierten, bis er so weit war, im April 2016 mit zwei Komplizen Sprengsätze auf einen Sikh-Tempel zu werfen. Bei dem Anschlag wurden drei Menschen verletzt. Yusuf T. muss wegen des Attentats sieben Jahre absitzen, zwei hat er schon verbüßt.

Einst hatte er davon geschwärmt im Namen der Terror-Miliz „Islamischer Staat“ (IS) die Kuffar (Ungläubige) anzugreifen. Noch in seinem eigenen Prozess hatte er standhaft geschwiegen, inzwischen aber ist die Euphorie gewichen. Der Schulabbrecher strebt über das NRW-Salafisten-Aussteigerprogramm „Wegweiser“ ein normales Leben nach der Haft an. Über diesen Weg erfolgte auch der Kontakt zur Bundesanwaltschaft.

Yusuf T. fühlt sich ausgenutzt und betrogen

Yusuf T., so sagt er es in den Verhören, fühlt sich ausgenutzt, betrogen durch die Einpeitscher um den mutmaßlichen IS-Statthalter in Deutschland, Abu Walaa. Letzterer muss sich derzeit mit vier Getreuen vor dem Oberlandesgericht Celle verantworten. Laut Bundesanwaltschaft soll er der Chef eines Terrornetzwerks sein, das Dutzende junger Eiferer wie Yusuf T. in geheimen Koranschulen in Dortmund oder Duisburg einer dschihadistischen Gehirnwäsche unterzog und für den IS rekrutierte.

Auf dem Weg zum angeblichen Märtyrer konnten die Schüler wählen. Entweder sie schlossen sich den Kalifatsbrigaden in Syrien und im Irak an. Oder aber sie begingen in Deutschland Anschläge. So etwa Anis Amri, der Berliner Attentäter, oder eben der Essener Schüler Yusuf T. und seine Mitstreiter. Und so berichtet der Zeuge den Ermittlern, dass er Anfang 2016 eine Gruppe junger Radikaler gegründet hatte.

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In der Nähe des Tatorts gefilmt: Yusuf T. (l.) und ein Mitattentäter.

Von gleich zwei Führungspersonen des Abu-Walaa-Netzwerkes will er den Segen für den Anschlag bekommen haben: Zum einen bei einem Osterseminar 2016 durch den selbst ernannten Scheich persönlich. Dort soll dieser einerseits gemahnt haben, „dass ich aufpassen solle, mit wem ich das mache.“ Andererseits habe er sein Okay gegeben: „Verfolgt euer Ziel und fürchtet Gott. Bleibt standhaft.“

Abu Walaas enger Vertrauter aus Duisburg, der mitangeklagte Hasan C., habe Freudentränen in den Augen gehabt, als er von den Anschlagsplänen gehört habe, erzählt T. weiter. Der „Hoca“ (Lehrer) habe ihn als „Ashbal“, jungen Löwen, bezeichnet. „1000 Leute wie Du“, habe er gesagt, „und ihr würdet islamische Flaggen tragen, Allahu Akbar rufen und Duisburg in Stunden erobern. Ihr müsstet noch nicht einmal kämpfen, Staatsgewalten würden sich in die Hose machen vor Angst. Ganz Deutschland würde vor Angst erbeben.“

Seine Mentoren hätten ihn regelrecht „geil gemacht, dass wir mit Knarren die Leute abknallen“. Es sei gesagt worden, „dass wir nichts wert sind, wenn wir nicht für Allah kämpfen“, berichtet Yusuf T..

Rekruten sind jung und aus sozialen Brennpunkten

Es sind höchst brisante Aussagen gegen die mutmaßliche Spitze des deutschen IS-Netzwerkes. Zum ersten Mal belastet einer der drei Sikh-Tempel-Attentäter in dem zähen Staatsschutzprozess in Celle die Abu Walaa-Clique schwer. Welches Gewicht das Gericht der Aussage beimisst, beweist der Umstand, dass acht Verhandlungstage für den neuen Kronzeugen im August reserviert sind. Auf mehreren Hundert Seiten schildert er die Methoden der salafistischen Bauernfänger. Die Nummer eins der deutschen IS-Connection sei Sheikh Abu Walaa, berichtet der jugendliche Terrorist, gefolgt von dem ebenfalls angeklagten Logistiker Boban S. aus Dortmund und Hasan C., einem Reisebürobetreiber aus Duisburg.

Vor allem jung mussten die Schüler der Gruppierung sein, „damit man sie besser formen kann“, hieß es. Oft stammten die Jugendlichen aus sozialen Brennpunkten im Ruhrgebiet, waren labil, suchten nach Orientierung und fielen auf die Gut-und-Böse-Ideologie der Angeklagten herein. So wie Yusuf T.: „Die haben uns in unserer Lebenskrise ausgenutzt“, beteuert der Attentäter.

Geradezu euphorisch schwärmten Yusufs Lehrer demnach von den Ausbildungscamps des IS in Syrien. Boban S., die mutmaßliche Nummer zwei in der Hierarchie, sei der Rekrutierer gewesen, jemand der Glaubensgenossen nach Syrien entsendet oder „sie zu Anschlägen motiviert“. Er soll die Jugendlichen angefeuert haben: Jeder könne sich entscheiden, entweder für den Kampf an der Front oder für den Tod als Märtyrer. Im letzteren Falle, so soll S. seinen Zuhörern erzählt haben, dürfe man die letzten Tage vor dem Selbstmordanschlag in einer Villa verbringen – mit Sklavinnen, Kebab und jede Menge Luxus.

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Aufräumarbeiten nach dem Anschlag  vor dem Gebetshaus der Sikh

Für die jungen Gläubigen sei Abu Walaa, der Imam aus Hildesheim mit Wohnsitz im nordrhein-westfälischen Tönisvorst, ein Held gewesen, eine unumstößliche geistliche Instanz. Wenn Yusuf T. sich Videos des Hasspredigers anschaute, fühlte er sich nach eigenen Angaben so „gestärkt, dass man eine ganze Armee bekämpfen kann.“ Die Nummer drei in dem Netzwerk sei Hasan C. gewesen: Der mitangeklagte Prediger habe den jungen Männern im Hinterzimmer seines Reisebüros in Duisburg die arabische Sprache beigebracht, zugleich habe er sie mit der IS-Ideologie infiziert. „Du gehst in das Reisebüro rein und wenn Du wieder rauskommst, dann willst Du den Leuten den Kopf abschlagen“, erinnert sich Yusuf T..

Peter Krieger, Verteidiger Abu Walaas, bezeichnete die belastenden Aussagen „als hochgradig konstruiert. Da versucht jemand mit vagen Behauptungen vorzeitig aus der Haft herauszukommen und sich das Wohlwollen der Justiz zu erkaufen“. Für seinen Kollegen Michael Murat Sertsöz zeigen die Äußerungen, dass „die Belastungszeugen aus der Szene, die die Ankläger in dem Prozess in Celle aufführen, allesamt widersprüchliche Angaben machen, um ihre Haut zu retten.“ Im Fall von Yusuf T. komme hinzu, „dass der Zeuge unter erheblichen psychischen Problemen leiden soll, das macht seine Aussage zusehends unglaubwürdig“, folgert Sertsöz.

Weiteres Verfahren gegen Yusuf T.

Tatsächlich droht Yusuf T. weiterer Ärger mit den Strafverfolgern: Wie aus Justizkreisen zu erfahren war, führt die Bundesanwaltschaft ein weiteres Verfahren gegen ihn wegen Bildung einer inländischen terroristischen Vereinigung. Die Ermittlungen richten sich nicht nur gegen die drei Sikh-Tempel-Bomber, sondern auch gegen weitere Mitglieder ihrer Zelle, die etwa bei Probesprengungen dabei gewesen waren.

Yusuf T. zumindest sieht sich als Opfer, verführt durch die Abu Walaa-Gruppe – er sei damals ein Kind gewesen, gerade 14 Jahre alt. Und er wolle jetzt verhindern, dass noch andere Muslime auf die hiesigen salafistischen Demagogen hereinfallen: „Die machen uns alle zu dummen Bombenlegern.“

Islamistenprozess in Celle

Über 40 Verhandlungstage, Dutzende Zeugen, zahlreiche Beweisanträge – seit einem halben Jahr verhandelt der Staatsschutzsenat in Celle den brisanten Islamisten-Prozess. Die Bundesanwaltschaft stuft Ahmad Abdulaziz Abdullah A. (34), alias Abu Walaa, der in einer Hildesheimer Radikalen-Moschee predigte und in Tönisvorst lebte, als obersten deutschen Emir der Terror-Organisation Islamischer Staat (IS) ein. Mit seinem Netzwerk um die vier Mitangeklagten, den Reisebürobetreiber Hasan C. (52) aus Duisburg, den Logistiker Boban S. (38) sowie die Gehilfen Mahmoud O. (29) und Ahmed Fifen Y. (28) aus Hildesheim soll Abu Walaa Dutzende junger Muslime radikalisiert und zu den IS-Brigaden nach Syrien und in den Irak geschleust haben. Brisant ist, dass sowohl der Berliner Attentäter Anis Amri als auch die Sikh-Tempel-Bomber um den damals 17-jährigen Yusuf T. in engem Kontakt zu den Angeklagten standen.

Die Bundesankläger aus Karlsruhe stützen ihre Vorwürfe im Wesentlichen auf zwei Kronzeugen: IS-Rückkehrer Anil O. aus Gelsenkirchen (23) und auf „Murat“, einen Spitzel, den das Landeskriminalamt (LKA) in die Islamisten-Szene in NRW eingeschleust hatte. Trotz einiger Ungereimtheiten bei den Aussagen hielt der Senat am dringenden Tatverdacht gegen die Angeklagten fest. Die Angaben des Sikh-Tempel-Attentäters Yusuf T. dürften die Schuldfrage weiter erhärten. (xl)

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